Rezension über:

Sabine Arend (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Bd. 9: Hessen II. Die geteilte Landgrafschaft Hessen 1582-1618, Grafschaften Waldeck, Solms, Erbach und Stolberg-Königstein, Reichsstädte Frankfurt, Friedberg, Gelnhausen und Wetzlar (= Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts; Bd. 9), Tübingen: Mohr Siebeck 2011, XVI + 705 S., mit einer Ausklappkarte, ISBN 978-3-16-151027-4, EUR 199,00
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Rezension von:
Jan Martin Lies
Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Johannes Wischmeyer
Empfohlene Zitierweise:
Jan Martin Lies: Rezension von: Sabine Arend (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Bd. 9: Hessen II. Die geteilte Landgrafschaft Hessen 1582-1618, Grafschaften Waldeck, Solms, Erbach und Stolberg-Königstein, Reichsstädte Frankfurt, Friedberg, Gelnhausen und Wetzlar, Tübingen: Mohr Siebeck 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 5 [15.05.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/05/21057.html


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Sabine Arend (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Bd. 9: Hessen II

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Im Jahr 1965 erschien der von Hannelore Jahr bearbeitete erste Teil des achten Bandes der evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. In diesem wurden die gemeinsamen Ordnungen für die Landgrafschaft Hessen bis 1582 präsentiert. Es handelt sich um die "gemeinsamen Ordnungen", da die vier Söhne Landgraf Philipps des Großmütigen nach dessen Tod im Jahr 1567 zwar jeweils einen Landesteil der Landgrafschaft selbstständig regierten, aber dennoch versuchten, durch die jährlich abgehaltenen Generalsynoden eine einheitliche Religionspolitik für die nun in vier Teile gespaltene Landgrafschaft zu formulieren. Nachdem diese religionspolitische Einheit im Jahr 1582 jedoch endgültig zerbrach und die Generalsynoden nicht mehr einberufen wurden, entwickelten sich die vier Landesteile in verschiedene konfessionelle Richtungen. Es war vor allem die Haltung des überzeugten Lutheraners Landgraf Ludwig IV. von Hessen-Marburg, die die innerhessische religionspolitische Einheit zerbrechen ließ (31f), da sein Bruder Wilhelm IV. von Hessen-Kassel innerlich mehr der reformierten Konfession zuneigte und religionspolitisch die konfessionell offene Politik seines Vaters weiter vertrat (34). Ungeachtet dieser konfessionellen Differenzen versuchte die Generation der Söhne Philipps des Großmütigen aber, nach außen weiterhin ein Bild von Einigkeit zu vermitteln, um so das Gewicht von ganz Hessen in der Reichsreligionspolitik weiterhin einbringen zu können. Dies war auch territorialpolitisch ein Gebot der Notwendigkeit, da beispielsweise die Universität Marburg, von Landgraf Philipp testamentarisch verfügt, eine Samtinstitution darstellte, also von Ludwig und Wilhelm gemeinsam verwaltet werden sollte. Daher verboten die beiden Brüder den Professoren der Universität 1583 strikt, "auff zanck außlauffende phrases" zu verwenden (49); und noch 1592 verwiesen sie die Professorenschaft in der Abendmahlslehre ausdrücklich auf die zwischen der lutherischen und der zwinglisch-oberdeutschen Position vermittelnden "Wittenberger Konkordie" des Jahres 1536 als Vorbild (51), was seine Entsprechung in dem hessen-kasselschen Diensteid für die Pfarrer in der Niedergrafschaft Katzenelnbogen aus dem Jahr 1598 findet (55). Solche Bemühungen zur Vermittlung eines Bildes der Geschlossenheit nach außen endeten jedoch zu Beginn des 17. Jahrhunderts endgültig mit der Einführung des reformierten Bekenntnisses mittels der "Verbesserungspunkte" durch Wilhelms Sohn, Landgraf Moritz von Hessen-Kassel (69f).

Die Konzeption der Edition sah zunächst vor, diese Entwicklungen in der in vier Teile zerfallenen Landgrafschaft in einem zweiten Teil zum achten Band zu dokumentieren sowie darin die Ordnungen anderer kleinerer Territorien im hessischen Raum zu präsentieren. Das baldige Erscheinen dieses zweiten Teilbandes wurde bereits 1965 angekündigt. Leider verzögerten sich die Arbeiten daran jedoch immer weiter. Veränderte Planungen führten dann zu der Entscheidung, den verbleibenden Stoff nicht, wie vorgesehen, in einem Teilband, sondern in zwei separaten Bänden zu publizieren. Band IX der Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts sollte darum die hessischen Ordnungen der geteilten Landgrafschaft nach 1582, dem Jahr des Beginns einer konfessionell unterschiedlichen Religionspolitik der Söhne Landgraf Philipps, Band X die Ordnungen kleinerer Territorien im hessischen Raum umfassen (XI). Doch aufgrund anderer Verpflichtungen der mit der Edition betrauten Personen unterblieb die Veröffentlichung fast 50 Jahre. Nun endlich liegt Band IX vor, und auch Band X soll "in Jahresfrist" (XI) erscheinen. Dass dies jetzt möglich wird, verdankt die Forschung der Bearbeiterin, Sabine Arend, der dafür großer Dank gebührt.

Offensichtlich ist die Grundkonzeption im Laufe der Jahrzehnte ein weiteres Mal verändert worden: Das Programm sah zunächst, wie erwähnt, vor, die Ordnungen der vier Landgrafschaften nach 1582 sowie die Ordnungen anderer Territorien im hessischen Raum in je einem Band abzudrucken. Diese Einteilung hätte den Vorteil einer klaren politischen Gliederung besessen und wäre umso sinnvoller gewesen, da die Edition der Kirchenordnungen der behandelten Grafschaften und Reichsstädte im hessischen Raum notwendigerweise bis in die Anfangsjahre der Reformation zurückgreifen musste; für die Landgrafschaft Hessen war dies durch das Vorhandensein von Band VIII,1 überflüssig. Im vorliegenden Band werden nun aber neben den vier Landgrafschaften nach dem Jahr 1582 zudem die Ordnungen der Grafschaften Waldeck, Solms, Erbach und Stolberg-Königstein sowie der Reichsstädte Frankfurt, Friedberg, Gelnhausen und Wetzlar präsentiert. In Band X sollen dann die Ordnungen der Grafschaften Hanau-Münzenberg, Nassau und Ysenburg erscheinen (XIII). Die neue Aufteilung erfolgte aus Praktikabilitätsgründen, um den Umfang der beiden Bände "möglichst ausgewogen zu gestalten" (XIII). Dieser Schritt bedingte allerdings auch eine neue inhaltliche Konzeption. So werden in Band IX neben den vier Landgrafschaften zusätzlich die Ordnungen vornehmlich lutherisch gesinnter Reichsstände im hessischen Raum publiziert, während in Band X die Ordnungen der hauptsächlich reformierten Stände veröffentlich werden sollen. Dass diese Aufteilung nicht stringent durchgehalten werden konnte, wird von der Bearbeiterin selbst gesehen (XIII). So hätten die Ordnungen der französisch-reformierten und der englisch-reformierten Gemeinde in der Reichsstadt Frankfurt oder auch die Ordnungen der Linien der Adelshäuser reformierten Bekenntnisses in Band X abgedruckt werden müssen, was zwangsläufig zu Unübersichtlichkeit führen würde.

Gerade durch die politische Zersplitterung des Raums in vielfach dynastisch geteilte Herrscherhäuser mit unterschiedlicher konfessioneller Ausrichtung ergaben sich bei der Bearbeitung zusätzlich ganz praktische Probleme, da Hausarchive nicht immer öffentlich zugänglich waren (vgl. 309 zu Solms-Lich; auch ein kirchliches Archiv ist gegenwärtig nicht öffentlich zugänglich: 666, Anm. 18 zu Wetzlar). Überdies erschwerten Kriegsverluste die Bearbeitung und brachten es mit sich, dass der Abdruck von Texten nicht anhand des Originals, sondern von späteren Abschriften oder von vorhandenen Abdrucken erfolgen musste (vgl. 412f. zu Erbach; 463 zu Stolberg-Königstein; 472 zu Frankfurt; 621 zu Friedberg).

Hieran wird deutlich, wie heikel sich die Überlieferungslage von Kirchenordnungen im hessischen Raum darstellt und wie bedeutsam daher die Zusammenstellung der noch vorhandenen Texte ist. Ist die Grundlagenarbeit von Editionsprojekten für die Forschung per se überaus wertvoll, wird dadurch doch eine systematische Erhebung der Texte durchgeführt und eine langfristige Sicherung vorgenommen, so tritt diese Bedeutung im vorliegenden Fall durch die problematische Quellenlage nur umso eindeutiger zutage. Wie wertvoll die Bereitstellung des Gesamtbestands an Kirchenordnungen im hessischen Raum ist, lässt sich auch daran bemessen, dass nun eine systematische Erforschung der wechselseitigen Einflüsse (wie dies z.B. für die Landgrafschaft Hessen und die Grafschaft Waldeck teilweise schon geschehen ist und noch intensiver geschehen kann, vgl. 161-163, 166-168) deutlich erleichtert wird.

Die Darbietung der hier edierten Stücke unterscheidet sich kaum von der Art der Präsentation in der Ausgabe von 1965. Alle behandelten Territorien werden in einer kurzen historischen Einleitung mitsamt den Stammbäumen der regierenden Fürsten dem Editionsteil vorangestellt. Der Inhalt der edierten Ordnungen wird in den jeweiligen Einleitungsteilen mal länger mal kürzer referiert und dabei in Beziehung sowohl zu innerterritorialen Entwicklungen als auch zu entsprechenden externen Vorgängen gesetzt. Eine nützliche Neuerung gegenüber der Edition von 1965 stellt die Aufnahme von Worterklärungen in den Sachapparat dar. Dem Band beigegeben ist zusätzlich eine Karte aller Territorien, die in ihm und in dem bald erscheinenden Band X behandelt werden. Mit Spannung darf auf diesen Band X: Hessen III gewartet werden, der die lange geplante Edition der Kirchenordnungen im hessischen Raum endgültig abschließen wird.

Jan Martin Lies