Rezension über:

Tristan Coignard: L'apologie du débat public. Réseaux journalistiques et pouvoirs dans l'Allemagne des Lumières, Bordeaux: Presses universitaires de Bordeaux 2009, 336 S., ISBN 978-2-86781-585-0, EUR 25,00
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Rezension von:
Susanne Lachenicht
Facheinheit Geschichte, Universität Bayreuth
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Lachenicht: Rezension von: Tristan Coignard: L'apologie du débat public. Réseaux journalistiques et pouvoirs dans l'Allemagne des Lumières, Bordeaux: Presses universitaires de Bordeaux 2009, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 7/8 [15.07.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/07/18030.html


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Tristan Coignard: L'apologie du débat public

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In seiner Apologie du débat public, hervorgegangen aus einer an der Universität Bordeaux 3 entstandenen Doktorarbeit unter der Leitung von Jean Mondot, fragt Tristan Coignard nach dem Maß an Pressefreiheit, das im Alten Reich des 18. Jahrhunderts herrschte. Im Zentrum der Analyse stehen die Publizisten Peter Adolph Winkopp, Johann Baptist von Bentzel, Peter Philipp Wolf und Joseph Milbiller, die in den 1780er Jahren gemeinsam mit anderen Journalisten eine Reihe von Zeitschriften auf den deutschsprachigen Markt brachten, unter anderem die Bibliothek für Denker und Männer von Geschmack und den Deutschen Zuschauer. Coignards Hypothese ist, dass der oft für diese Zeit festgestellte Antagonismus zwischen Obrigkeiten und Journalisten, der zwangsläufig zu Konflikten und Repressionen geführt habe - so die ältere Forschung -, vielleicht doch zu relativieren sei. Diese Hypothese ist nicht nur nicht neu, sondern ist bereits verifiziert worden, wie beispielsweise die 1989 erschienene Studie Monika Neugebauer-Wölks zu den Brüdern Cotta differenziert gezeigt hat. [1] Dass weitere Einzelarbeiten zu diesem Thema der Grenzen von Zensur und Pressefreiheit im Alten Reich durchaus relevant sind, um unsere Kenntnisse hier weiter zu differenzieren, und Coignards Arbeit durchaus ein Desiderat füllt, versteht sich von selbst. Dass Coignard allerdings diese Arbeiten wie auch Studien zu anderen Teilaspekten seiner Arbeit nicht kennt, stellt ein Problem dar.

Kapitel 1 der Arbeit beschäftigt sich mit der Biographie Peter Adolph Winkopps und ordnet diese ein in den Kontext der Aufklärung in Erfurt und Berlin. Coignard zeichnet die Verbindungen Winkopps in die Schweiz nach und versucht die Netzwerke Winkops zu rekonstruieren. Kapitel 2 widmet sich dem publizistischen Werk Winkopps, Wolfs und Milbillers mit dem Ziel, ihre vorjournalistischen Schriften als wegweisend für ihre spätere journalistische Tätigkeit zu begreifen. Integriert in diesen Abschnitt ist auch eine kurze Übersicht über das Pressewesen im Alten Reich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Im dritten Kapitel untersucht Coignard dann, inwieweit Winkopp & Co Periodika benutzten, um nicht nur ihre Ansichten über Religion, Politik und Gesellschaft zu verbreiten, und hierfür auch Konflikte mit der Obrigkeit in Kauf nahmen, sondern auch, wie sehr sich Winkopp et al. bewusst waren, welchen Stellenwert ihre Publizistik in der Spätaufklärung als gesellschaftsverändernde Medien einzunehmen vermochte. Kapitel V widmet sich dem "Aushandeln" von 'Pressefreiheiten' im Fall von Winkopp & Co.

Aufgrund der oben bereits erwähnten lückenhaften Aufarbeitung des neueren Forschungsstandes geht Coignard immer wieder von falschen Voraussetzungen aus, die die Argumentation problematisch machen, so etwa, wenn er von der "omniprésence de la censure préalable et, le cas échéant, la réaction intransigeante des autorités après la publication" (21) spricht, eine These, die Coignard in Kapitel IV etwas nuanciert. Ebenso fehlen wichtige Bezüge zu anderen Publizisten der radikalen Spätaufklärung, Eulogius Schneider, Friedrich Cotta und vielen anderen. Diese hätten dann auch den Nexus zur Französischen Revolution und den deutschen Jakobinern bzw. zur napoleonischen Zeit besser herstellen bzw. Winkopps & Co's Haltung zu Politik und Religion als typische Diskurse der deutschen Spätaufklärung identifizieren können. [2] Dass Winkopp sich vom moralisierenden Mahner, der die Obrigkeiten bzw. Fürsten auffordert, ihre Macht vernünftig zu gebrauchen, zu einem vehementen Kritiker der sozialen und politischen Ordnung entwickelt (293), ist typisch für viele Publizisten der deutschen Spätaufklärung. Ähnliches ist auch beim Bruder des Stuttgarter Verlegers Johann Cotta, Friedrich, zu belegen. Eine Einordnung der in Coignards Studie gewonnenen Erkenntnisse in den bereits verfügbaren Kenntnisstand zum Thema wäre hier mehr als sinnvoll gewesen und hätte geholfen, die Relevanz der Arbeit hervorzuheben: als eine weitere notwendige Analyse zur deutschsprachigen Publizistik im späteren 18. Jahrhundert und zum Wandel bzw. der Radikalisierung, der diese unterlag.

Ein abschließendes Wort zu einer leider in französischen Publikationen immer wieder gebrauchten sehr unübersichtlichen Form der Bibliographie, die nicht, untergliedert in Quellen und Sekundärliteratur, eine Gesamtübersicht der verwendeten Literatur darstellt, sondern nach Teilsachgebieten geordnet ist: Nicht nur kommt es hier zu überflüssigen Doppelungen, sondern es ist schwierig, sich einen Überblick über die verwendete Literatur zu verschaffen. Leserfreundlich ist dies nicht.


Anmerkungen:

[1] Monika Neugebauer-Wölk: Revolution und Constitution. Die Brüder Cotta: eine biographische Studie zum Zeitalter der Französischen Revolution und des Vormärz, Berlin 1989.

[2] Siehe u.a. Susanne Lachenicht: Information und Propaganda. Die Presse deutscher Jakobiner im Elsaß (1791-1800) (= Ancien régime, Aufklärung und Revolution, Bd. 37), München 2004.

Susanne Lachenicht