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Jens Scheiner: Michael Cook (ed.): The New Cambridge History of Islam, Cambridge: Cambridge University Press 2010. Einführung, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 7/8 [15.07.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
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Michael Cook (ed.): The New Cambridge History of Islam, Cambridge: Cambridge University Press 2010

Einführung

Von Jens Scheiner

Eine neue Auflage der angesehenen Cambridge History of Islam weckt Erwartungen. Dieses Standardwerk, welches 1970 erstmals in einer zweibändigen Fassung [1] bzw. 1978 in einer vierbändigen [2] Ausgabe erschienen ist, hat seitdem zahlreichen Studenten und Wissenschaftlern als bedeutende Referenz gedient. Vor Kurzem nun wurde es neu geschrieben. Denis Diderot (gestorben 1748), der in seiner Encyclopédie das gesamte Wissen seiner Zeit sammeln wollte, sagte, dass jede (Gelehrten-) Generation ihre eigene, aktualisierte Enzyklopädie schreiben müsse, um den Fortschritt der Erkenntnis zu dokumentieren. Nach mehr als 30 Jahren, also grob gerechnet eine Gelehrtengeneration später, haben führende Vertreter der Islamwissenschaft und benachbarter Disziplinen unter Führung von Prof. Dr. Michael Cook als general editor nun diese bedeutende Aufgabe für die Islamwissenschaft übernommen.

In sechs umfassenden Bänden werden auf knapp 5.000 Seiten politische, kulturelle, religiöse und soziale Entwicklungen von der Spätantike bis in die heutige Zeit, d.h. vom 3.-21. Jahrhundert n. Chr., dargestellt. Dabei beleuchten die Bände 1-4 die prä-formative, die formative und post-formative, sowie die vormoderne Periode "des Islams" (ca. 250-1800 n. Chr.), während sich die Bände 5 und 6 mit der modernen Periode (1800-2010 n. Chr.) befassen.

Geographisch umfasst diese Gesamtdarstellung den Raum von der iberischen Halbinsel, Nordafrika inklusive des subsaharischen Afrikas und der arabischen Halbinsel, über den Nahen Osten und den Balkan, Iran, den Kaukasus, Zentralasien und Westchina bis nach (Nord-) Indien und Indonesien. Am Rande werden sogar Zentraleuropa und Nordamerika angesprochen.
Zusammengehalten werden diese Regionen durch die Präsenz von Menschen, die zwar unterschiedliche Muttersprachen aufweisen, zu zahlreichen Ethnien gehören, und in verschiedenen sozialen Systemen leben, aber die dennoch im Laufe der Zeit mit der Religion des Islams in Berührung kamen. Das geschah, entweder weil sie dieser Religion angehörten, weil sie von deren Angehörigen beherrscht wurden oder weil sie sich bewusst von ihr abgrenzten. Es geht also weder nur um "den Islam" als Religion, noch allein um "unter islamischer Herrschaft bzw. unter dem islamischen Recht stehende Personen", oder lediglich um von Muslimen geprägte Kulturen und Gesellschaften, aber doch auch um all diese Punkte zusammen.

So zeigen vier Bände der New Cambridge History of Islam (Bd. I, II, III, V) mehrheitlich historische Entwicklungen auf, während zwei weitere (Bd. IV, VI) nach Themen geordnet sind und kulturelle, soziale, politische, ökonomische, künstlerische und edukative Phänomene beschreiben. Die Klammer, welche all diese Themen zusammenhält ist "der Islam", obwohl es nie nur "einen Islam" zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gab. Zwar wird der Ausdruck Islam in keinem der Bände definiert (der Klappentext spricht von "Islamic civilization" und "Muslim world"), so dass er ungenau und diffus bleibt; dennoch hat er sich letztlich als verkürzender Ansatz im Titel "Die (Cambridge) Geschichte des Islams" durchgesetzt.

Wirft man einen kurzen Blick auf die sechs Bände, dann stellt man fest, dass die darin enthaltenen Beiträge sowohl von anerkannten Größen des Faches als auch von Nachwuchswissenschaftlern verfasst wurden. Da nicht alle 124 Beitragenden hier aufgelistet werden können (für die Gesamtliste siehe: http://www.cambridge.org/gb/knowledge/isbn/item2708002/?site_locale=en_GB), sollen im Folgenden nur einige bedeutende Vertreter des Faches beispielhaft namentlich genannt werden. Unter diesen dominieren die amerikanischen und britischen Kollegen, wobei gelegentlich auch deutsche und spanische Vertreter des Faches zu Wort kommen. Auffallend ist, dass kaum französische Wissenschaftler an diesem Werk mitgewirkt haben und dass gelegentlich, auch muslimische Wissenschaftler unterschiedlicher Nationalität zu Wort kommen.

So wurde beispielsweise der erste Band von Chase F. Robinson herausgegeben, der ebenso wie die anderen wichtigen Vertreter des Faches, etwa Josef Wiesehöfer, Hugh Kennedy und Fred Donner, einen Beitrag darin verfasst hat. Inhaltlich befasst sich dieser Band mit der politischen, religiösen und kulturellen Geschichte des Islams von der Spätantike bis zum 11. Jahrhundert n. Chr. im Raum des Nahen Ostens. Das heißt, dass darin die Entstehung des Islams, die umayyadische und ʿabbāsidische Dynastie und die Auflösung des ʿAbbāsidenreiches thematisiert werden. Zudem werden auch die literarischen, numismatischen und archäologischen Quellen vorgestellt und die Forschungskontroversen der frühislamischen Geschichte aufgezeigt.

Im zweiten Band, der von Maribel Fierro herausgegeben wurde, wirkten so namhafte Kollegen wie Ulrich Rebstock, Yaacov Lev und Suraiya Faroqhi mit. Inhaltlich befasst sich dieser Band mit der politischen, religiösen und kulturellen Geschichte des Islams der westlichen islamischen Welt vom 11. Jahrhundert bis etwa 1800 n. Chr. So werden die Fāṭimiden, die Almohaden und Mamlūken, aber auch die Osmanen behandelt und gemeinsame Themen, wie Staatsbildung, Konversion, Besteuerung und Militärwesen, angesprochen.

Der dritte Band wurde von David O. Morgan und A. Reid herausgegeben, wobei er auch Beiträge von Edmund Bosworth, Richard Bulliet und Reuven Amitai enthält. Inhaltlich wird die politische, religiöse und kulturelle Geschichte des Islams im östlichen Teil der islamischen Welt vom 11.-18. Jahrhundert n. Chr. abgedeckt, so dass Abhandlungen über die Seldschuken, die Ṣafawiden, Mogulen und islamischer Herrschaften in Süd-Ost-Asien darin zu finden sind. In diesem Band werden gemeinsame Themen, wie etwa Handel, der mystische Islam (taṣawwuf) und Konversionen, übergreifend betrachtet.

Auch der vierte Band, der von Robert Irwin herausgegeben wurde, versammelt einige namhafte Wissenschaftler, wie beispielsweise Farhad Daftary, Wael b. Hallaq und Julia Bray. Der Band hat den Anspruch, einen Überblick über die islamische Kultur vom Anfang bis 1800 zu geben. Dabei werden die Themen Religion und Gesetz, Politik, Literatur, Bildung, und Kunst behandelt.

Im fünften Band haben neben dem Herausgeber Francis Robinson auch Roman Loimeier, Vali Nasr und Charles Tripp mitgewirkt. Der Inhalt umfasst die politische, religiöse und soziale Geschichte der modernen muslimischen Gesellschaften von 1800 bis heute. In diesem Zusammenhang werden islamische Reaktionen auf die westliche Dominanz, etwa im Osmanischen Reich, in Ägypten, Iran und anderen Regionen dargestellt. Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit "dem Islam im Westen".

Der sechste und letzte Band wurde von Robert W. Hefner herausgegeben und enthält u.a. Beiträge von Nikki Keddie, L. Carl Brown und Muhammad Qasim Zaman. Darin wird die islamische Kultur und Gesellschaft von 1800 bis heute dargestellt, wobei auf gesellschaftliche Entwicklungen, Reformen, religiöse Theorien, das islamische Recht, Politik, Wirtschaft, Bildung und Kultur näher eingegangen wird. Ein weiteres Merkmal dieses Bandes ist die Beschäftigung mit den Muslimen in Europa und Nordamerika.

Alle Bände weisen einen gleichen Aufbau und eine sinnvolle Struktur auf, welche dem Leser - die Herausgeber haben hier "Studenten, Wissenschaftler und alle Wissbegierigen" vor Augen - einen sehr guten Leitfaden bietet. Entsprechend beginnen alle Bände mit einem Inhaltsverzeichnis, einer Übersicht über die Autoren, einigen Karten und einer Einleitung des jeweiligen Bandherausgebers. Nach den einzelnen Beiträgen, die in vier bis fünf Blöcke eingeteilt sind, stößt man auf einen Glossar, eine Bibliographie, die für jeden Beitrag praktischerweise in weiterführende Lektüre, Primärquellen und Sekundärquellen aufgeteilt ist, und einen Index.

In Konzept und Inhalt geht die New Cambridge History of Islam über ihren Vorläufer aus den 1970er Jahren hinaus. Das zeigt sich sehr deutlich, wenn man die Liste der Kritikpunkte durchgeht, welche der ersten Auflage in zahlreichen Rezensionen gemacht wurden. So kritisierte Roger Owen (1973) an der ersten Auflage, dass Nord-Afrika, Zentralasien und Indien unberücksichtigt blieben und dass sie "in Isolation der methodischen Fortschritte in anderen Feldern" verfasst wurde, und damit ein "seltsamerweise altmodisches Werk" bildete.[3] Donald Little (1973) bemängelte an der alten Ausgabe, dass sie die "historiographische Dimension" nicht berücksichtige, dass sie nach einer "vollen Einleitung schreie", und dass sie "gemessen am Standard der Lesbarkeit, als ein Misserfolg gewertet werden müsse".[4] Ira Lapidus (1971) hält der alten Ausgabe vor, nur die "politische Geschichte" zu berücksichtigen, der eine "verschwommene kulturelle Glasur" aufgesetzt wurde. Zudem gelänge es ihr nicht zu dem "Standardwerk zu werden, welches sie sein wolle".[5] Zu guter Letzt kritisiert Albert Hourani (1972), dass die alte Ausgabe fälschlicherweise konzeptionell zwischen "'zentralen' und 'anderen' islamischen Ländern" unterscheide.[6] Alle hier genannten Kritikpunkte gelten für die New Cambridge History of Islam nicht mehr, so dass man von einem deutlichen Fortschritt in Konzeption, Inhalt (und Preis !) zwischen beiden Ausgaben sprechen kann.

Ein Werk von einer solchen Bandbreite kann unmöglich von einer Person gewürdigt oder bewertet werden. Daher haben sich sechs deutsche Wissenschaftler zusammengetan, deren fachliche Expertise jeweils dem Schwerpunkt eines Bandes entspricht, um jeweils einen Band der New Cambridge History of Islam zu rezensieren. Die ausführlichen Inhaltsangaben und Bewertungen der einzelnen Bände finden sich weiter unten im Anschluss an dieses Vorwort.

Die Rezensenten sind Dr. Johann Büssow, Orient-Institut Beirut, Prof. Dr. Sebastian Günther, Georg-August-Universität Göttingen, Tilmann Kulke, M.A., European University Institute Florenz, PD Dr. Johanna Pink, Freie Universität Berlin, Prof. Dr. Jens Scheiner, Courant Forschungszentrum "Bildung und Religion (EDRIS)", Universität Göttingen, und Dr. Hans-Thomas Tillschneider, Universität Bayreuth. An dieser Stelle möchte ich allen Rezensenten meinen großen Dank für die Übernahme der Aufgabe und die ausgeprägte Kooperationsbereitschaft aussprechen.

Die genannten Rezensenten betonen bei der Bewertung der New Cambridge History of Islam regelmäßig die hohe Qualität der einzelnen Beiträge und kommen durchweg zu einem positiven Urteil, auch wenn sie gelegentlich kritische Worte für einige Sachverhalte, wie etwa die Dominanz der anglo-amerikanischen Wissenschaftler und überwiegend ausgewertete Sekundärliteratur, finden. Bd. I erweist sich als ein "solides Handbuch" mit einem "erstklassigen Überblick" (Jens Scheiner), während man aus Bd. II "seinen Nutzen ziehen" kann, da die "Themenbereiche solide abgehandelt" werden (Hans-Thomas Tillschneider). Auch Bd. III ist "verständlich und informativ", "erstklassig" und "ohne Vorbehalt zu empfehlen" (Tilmann Kulke). Bd. IV erweist sich als eine "lebendige und fundierte Gesamtschau", die zudem "gut lesbar" ist (Sebastian Günther). Bd. V ist ebenfalls ein "verlässliches Referenzwerk", das eine "hohe Qualität" besitzt (Johann Büssow), während Bd. VI "eine Anzahl hervorragender Überblicksdarstellungen, die [...] neue Impulse zu setzen in der Lage sind," enthält (Johanna Pink).

Somit sind die hohen Erwartungen, die an diese Publikation als Nachfolger der alten Cambridge History of Islam gerichtet waren, zum allergrößten Teil erfüllt worden. Die neue Ausgabe der Cambridge History of Islam weist daher alles auf, was ein erstklassiges Standardwerk braucht, um für die nächsten 30 bis 40 Jahre als allgemeine Referenz zu dienen.


Anmerkungen:

[1] Peter M. Holt / Ann K. Lambton / Bernard Lewis (eds.): The Cambridge History of Islam. 2 Bde. Cambridge 1970.
[2] Peter M. Holt / Ann K. Lambton / Bernard Lewis (eds.): The Cambridge History of Islam. 4 Bde. Cambridge 1978-1980.
[3] Roger Owen: Studying Islamic History. Rezension zu: The Cambridge History of Islam. Edited by Peter M. Holt, A. K. S. Lambton, and Bernard Lewis (Cambridge, Cambridge University Press, 1970). Vol. I: The Central Islamic Lands 815 pp. $ 19.50; Vol. II: The Further Islamic Lands and Islamic Society and Civilization 966 pp. $19.50. In: Journal of Interdisciplinary History 4 (1973), S. 287-298. Dieser Einwand wurde allerdings schon in der erweiterten, vierbändigen Fassung der Cambridge History of Islam von 1978 behoben.
[4] Donald P. Little: Rezension zu: The Cambridge History of Islam. Edited by Peter M. Holt, A. K. S. Lambton, and Bernard Lewis. Vol. I: The Central Islamic Lands. Vol. II: The Further Islamic Lands and Islamic Society and Civilization. Cambridge University Press. 1970. In: Journal of the American Oriental Society (JAOS) 93 (1973), 104-107.
[5] Ira M. Lapidus: Rezension zu: The Cambridge History of Islam, ed. by P. M. Holt, A. K. S. Lambton, and Bernard Lewis. Cambridge: At the University Press 1970. In: International Journal of Middle East Studies (IJMES) 2 (1971), 378-379.
[6] Albert H. Hourani: Rezension zu: The Cambridge History of Islam. Edited by P. M. Holt, Ann K. S. Lambton, and Bernard Lewis. (2 vols. Cambridge: Cambridge University Press, 1970. £6 and £7). In: The English Historical Review 87 (1972), 348-357.

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