Rezension über:

Gordon Wilson (ed.): A Companion to Henry of Ghent (= Brill's Companions to the Christian Tradition; Vol. 23), Leiden / Boston: Brill 2011, XI + 430 S., ISBN 978-90-04-18349-0, EUR 150,00
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Rezension von:
Henrik Wels
Institut für Philosophie, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Henrik Wels: Rezension von: Gordon Wilson (ed.): A Companion to Henry of Ghent, Leiden / Boston: Brill 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/20925.html


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Gordon Wilson (ed.): A Companion to Henry of Ghent

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Als 23. Band der Reihe "Brill's Companions to the Christian Tradition" ist nun der erste Band, der einen Denker jenes geistigen, im Zentrum der Hochscholastik stehenden Triumvirats behandelt, erschienen. Damit erlangt der Denker Heinrich von Gent innerhalb dieser Reihe eine Priorität, die ihm innerhalb der Rezeptionsgeschichte des Denkens und der Werke jener drei großen, auf lange Sicht prägenden Autoren der Hochscholastik gegen Ende des 13. Jahrhunderts - Thomas von Aquin, Heinrich von Gent, Johannes Duns Scotus - nicht vergönnt war. Anders als jene beiden ihn biographisch und wirkmächtig einrahmenden Denker gehörte Heinrich keinem Orden an, und insofern fehlte ihm jene mächtige Lobby, die sein Denken und seine Werke bis in die frühe Druckgeschichte und Schulbildung hinein förderte und vorantrieb. Dementsprechend verzögert verlief die Veröffentlichung seiner Werke. Zwar erfuhren die beiden bedeutendsten Werke, eine Sammlung von 15 zwischen 1276 und 1291, also nach dem Tod des Aquinaten und vor der wesentlichen Lehrtätigkeit des Scotus, entstandener "Quodlibeta" und die auf seine ordentlichen Vorlesungen zurückgehende "Summa", schon zu Lebzeiten Heinrichs eine große Aufmerksamkeit, wie der Herausgeber Gordon A. Wilson in seinem Beitrag zu "Henry of Ghent's Written Legacy" ausführt, jedoch verflacht diese im Vergleich zu Thomas und Scotus in der Druckgeschichte. Die "Quodlibeta" werden 1518 und die "Summa" 1520 bei Badius in Paris gedruckt. Die Ausgaben des 17. Jahrhunderts ("Quodlibeta", Venedig 1608 und 1613; "Summa", Ferrara 1646) gehen auf diese Postinkunabeln zurück. Vergleicht man die zahllosen Ausgaben etwa des Thomas im selben Zeitraum, so handelt es sich doch um eine geringe Anzahl. Ebenfalls ist kein philosophischer oder theologischer Cursus ad mentem Henrici überliefert, obgleich man dies sogar für Autoren wie Johannes Baconthorpe nachweisen kann. Aber zu diesen Ehren kamen nur Autoren, deren Orden später daran interessiert waren, ordenseigene Autoritäten für die philosophische und theologische Ausbildung zu schaffen. Allein Heinrich von Gent gehörte eben keinem Orden an, und insofern sind schon diese wenigen Drucke eine Seltenheit. Dem doctor reverendus oder solemnis, wie seine mittelalterlichen Ehrentitel lauteten, wurde dagegen sogar die Ehre einer modernen Werkausgabe zu Teil, was kaum ein anderer mittelalterlicher ordensunabhängiger Philosoph oder Theologe von sich behaupten kann. Seit 1979 erscheinen in Leuven in einer für Werkausgaben recht raschen Folge Bände seiner Opera omnia.

Neben jenem Beitrag, der das schriftstellerische Vermächtnis Heinrichs behandelt, finden sich in dem "Historical Perspectives" betitelten Abschnitt des Bandes noch drei weitere instruktive Beiträge, die die historische Situation, die Voraussetzungen und Zusammenhänge von Heinrichs Denken näher beleuchten. Der zweite Beitrag von Robert Wielockx ist der einschneidenden Verurteilung von 1277 gewidmet. Heinrich saß in der von Bischof Tempier einberufenen Theologenkommission, die die Liste mit 219 Artikeln vorbereitete, als er selbst Opfer der in Paris zu dieser Zeit um sich greifenden Zensur wurde, denn einige Zeit nach der Verurteilung wurde er selbst vorgeladen. Wielockx spürt den Spuren dieser Ereignisse in Werk und Denken Heinrichs mit großer Detailkenntnis nach. Wie bedeutsam die Verurteilung von 1277 war, lässt sich daran erkennen, dass sich das Ereignis wie ein roter Faden durch fast alle Beiträge des Bandes zieht.

Die zwei folgenden Beiträge von Jules Janssens beschäftigen sich mit dem Einfluß Avicennas und Averroes' auf Heinrich von Gent. Ersterer stellt "a key source in the elaboration of Henry's thought" (64) dar, obgleich "the precise impact of Avicenna on Henry's theory of creation has still to be defined" (79). Anders dagegen die Zitate aus Werken des Averroes: sie haben eine sehr eingeschränkte Bedeutung "or very little impact on Henry's deepest insights" (87). So kommt Janssens zu dem wenig überraschenden Ergebnis: "For Henry, Avicenna was undoubtedley a better thinker than Averroes." (99)

Auf diesen die Vorläufer und Umstände von Heinrichs Denken behandelnden Teil folgen die zwei das Gravitationszentrum des Bandes bildenden systematischen Abschnitte zu Heinrichs Theologie und Philosophie. Während Ludwig Hödl "The Theologian Henry of Ghent" in den Fokus seiner Untersuchungen stellt, widmet Juan Carlos Flores sich der Trinität im Denken Heinrichs. "Since Henry developed a consistent account of reality based on the Trinity, the connections between his Trinitarian discussion and the other aspects of his thought and influence are a fruitful focus of research, about which there is still much to be learned." (150)

Es kann für sich sprechen, dass den zwei Beiträgen zu Heinrichs Theologie sechs Beiträge gegenüberstehen, die seine Philosophie aufarbeiten, obgleich die scharfe Abgrenzung beider Bereiche voneinander nicht unbedingt einfach zu bewerkstelligen ist. Je zwei Beiträge sind der Metaphysik, der Epistemologie und - für Heinrichs Philosophie eher ungewohnt - der Moralphilosophie gewidmet.

Der Band schließt mit einem Abschnitt zu Heinrichs Einfluss auf spätere Autoren. Tobias Hoffmann behandelt die Wirkung auf Duns Scotus. Bekanntermaßen arbeitet letzterer sich in vielen Punkten an Heinrich ab, übernimmt manches kritisch und wendet sich gegen anderes. Gemeinsam ist beiden nach Hoffmann, dass sie "do not develop a metaphysics of participation." (366) Amos Edelheit schlägt den Bogen zu jener bemerkenswerten Tatsache, dass Giovanni Pico della Mirandola von seinen 900 Thesen, die er in Rom diskutieren wollte, 13 Heinrich von Gent zuschreibt. Durch die Rückführung dieser Thesen auf das Werk Heinrichs lässt sich ein gewisser Einfluss auf Picos opera geltend machen.

Der Band erfüllt das im Vorwort genannte Ziel: "Each article, though, can be helpful to introduce the reader to Henry of Ghent in his historical circumstances and influences, as well as to his philosophical and theological thought." (X) Der Band ist als Einführung gedacht und diesen Zweck erfüllt er, in den behandelten Themen ist er absolut auf der Höhe des Forschungsstandes oder fasst diesen gewinnbringend zusammen. Zugleich sind die selbst benannten Mängel bedauerlich, denn beispielsweise erführe man gerne mehr über "Henry's notion of human rights" (X) oder den Parmenides-Kommentar Ambrogio Flandinis, "where one can find many important references to Henry's works" (397). Gerade weil der Band einen einführenden Charakter hat, wäre es hilfreich gewesen einen kurzen biographischen Abriss oder eine Zeittafel mit den wichtigsten Daten beizufügen. Da das Hauptaugenmerk auf der Philosophie, im besonderen der Metaphysik Heinrichs liegt, bleibt leider auch der kulturgeschichtliche Wert mancher Quästionen, etwa wenn in der Summa gefragt wird, utrum mulier possit esse doctrix theologiae, auf der Strecke.

Henrik Wels