KOMMENTAR ZU

Wolfgang Dobras: Rezension von: Emidio Campi / Philipp Wälchli (Hgg.): Zürcher Kirchenordnungen 1520-1675, Zürich: TVZ 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 7/8 [15.07.2012], URL: http://www.sehepunkte.de/2012/07/20353.html


Von Philipp Wälchli

Werter Herr Dobras

Wer von Ihrer Rezension substantielle Informationen zu unserem Werk erwartet, wird leider enttäuscht: Es ist die Rede von Emil Eglis Aktensammlung (zweifellos ein wichtiges Werk, mit dem wir gar nie konkurrieren wollten), vom Repertorium der Policeyordnungen, von den EOK und vielem anderem, nur sehr am Rande von unserer Edition.

Der erste Vorwurf lautet, dass wir nicht das Repertorium der Policeyordnungen verwendet hätten. Warum hätten wir dies tun sollen? Sie kritisieren selbst, dass die Abgrenzung zwischen Policeyordnungen und Kirchenordnungen problematisch sei. Hätten wir einfach bloss einschlägige Texte, die dort erwähnt sind, abgedruckt, welcher Erkenntnisfortschritt ergäbe sich daraus? Zudem wurde unser Projekt in den Jahren 2003 und 2004 konzipiert und konnte sich auf eine ausführliche Vorstudie an den Quellen stützen. Als 2006 das Repertorium erschien, war die Arbeit an den Quellen bereits voll im Gange, eine wie auch immer geartete Richtungsänderung war gar nicht mehr möglich. Da die Daten im Vorwort erwähnt sind, wäre dies auch einem Aussenstehenden bemerkbar gewesen.

Der zweite wesentliche Vorwurf richtet sich gegen die Auswahl der Quellen. Das Nötige hierzu ist in der Einleitung bereits gesagt: Die vorhandenen Mittel erzwangen eine Beschränkung. Wenn Sie, werter Herr Dobras, über die nötigen Mittel verfügen, nehme ich diese gerne an und werde noch zehn Jahre weiter edieren, was sich nicht nur im Staatsarchiv, sondern auch in der Zentralbibliothek und weiteren Archiven und Bibliotheken des Kantons Zürich befindet. Auf der einen Seite kritisieren Sie fehlende Quellenstücke, auf der anderen Seite scheint ihnen nicht zu behagen, dass ich die Sammlung der handschriftlichen Mandate vollständig durchgearbeitet habe. Wenn die Bearbeiterin des Repertoriums damit überfordert war, so sehe ich darin keinen Grund, es ebenso zu halten. Wiederum muss ich fragen: Welcher Erkenntnisfortschritt hätte sich daraus ergeben, wenn ich dieses Quellencorpus nicht durchgearbeitet hätte, zumal sich darin eine ganze Reihe wichtiger und bisher m. W. in der Forschung kaum oder gar nicht bekannter Texte finden?

Der entscheidende, in der Einleitung auch genannte, in der Rezension aber unterschlagene Grund für die Beschränkung auf die Quellen des Staatsarchivs ist einerseits ein wissenschaftlicher, andererseits ein praktischer: Aus wissenschaftlichen Gründen ist ein formales Abgrenzungsmerkmal einem materiellen Vorzuziehen, weil es klarer, in diesem Fall sogar eindeutig ist. Zudem schien es aus praktischen Erwägungen heraus sinnvoller, die schwerer zugänglichen Dokumente im Staatsarchiv zu edieren, statt einzelne leichter zugängliche (und in der einschlägigen Forschungsliteratur zumeist bereits bekannte) Texte in der Zentralbibliothek in doch recht willkürlicher "Blütenlese" aufzunehmen.

Bei aller möglichen, uns wohl bewussten Kritik an dieser Abgrenzung garantiert unsere Auswahl immerhin, dass sich niemand ins Staatsarchiv bemühen muss, um wichtige Texte nachzuschlagen. Wären wir dem Rezept Dobras gefolgt, müsste man weiterhin sowohl das Staatsarchiv als auch die Zentralbibliothek konsultieren.

Zu der weiteren, diffuseren Kritik merke ich nur folgendes an: Um diese Edition nach Wünschbarkeit perfekt zu vollenden, hätte es Bearbeiter gebraucht, die mindestens gut ausgebildete Theologen, Historiker, Philologen, Germanisten, Rechtsgeschichtler, Volkskundler, Archiv- und Buchkundler gewesen wären, von Spezialgebieten wie Zürcher Namenskunde oder Metrologie einmal abgesehen. Von allen diesen Disziplinen kenne ich mich nur gerade in zweien einigermassen aus. Zudem standen mir keine einschlägige Infrastruktur, keine weiteren Mitarbeiter und keine vergleichbare Erfahrung zur Verfügung, wie dies bei der Arbeitsstelle der EOK der Fall ist. Um das Werk zu Ende zu bringen, habe ich zudem in mehrfacher Hinsicht teuer bezahlt: Nicht nur habe ich auf zehn Wochen Urlaub verzichtet, sondern bin seit mehr als anderthalb Jahren arbeitslos ohne die Aussicht auf eine neue wissenschaftliche Anstellung. Trotz dieser Umstände ist die Edition immerhin erschienen, was von verschiedenen Editionsprojekten, die bessere Bedingungen aufweisen, nicht behauptet werden kann.

Angesichts dieser Umstände wäre ich vielleicht berechtigt, von Ihrer Rezension enttäuscht zu sein. So aber halte ich lieber fest, dass sie zum Ausdruck bringt: Herr Dobras ist enttäuscht, weil er nicht gefunden hat, was er nach seiner bisherigen Kenntnis erwarten zu dürfen meinte. Dass sich Erwartungen aus der bisherigen Forschung nicht immer erfüllen, dies nennt man auch Erkenntnisfortschritt.

Anmerkung der Redaktion: Wolfgang Dobras hat auf eine Replik verzichtet.