Rezension über:

Hendrikje Carius: Recht durch Eigentum. Frauen vor dem Jenaer Hofgericht (1648-1806) (= bibliothek altes Reich (baR); Bd. 12), München: Oldenbourg 2012, 355 S., ISBN 978-3-486-71618-4, EUR 49,80
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Rezension von:
Peter Oestmann
Institut für Rechtsgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Peter Oestmann: Rezension von: Hendrikje Carius: Recht durch Eigentum. Frauen vor dem Jenaer Hofgericht (1648-1806), München: Oldenbourg 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 2 [15.02.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/02/22508.html


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Hendrikje Carius: Recht durch Eigentum

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Für ihre frühneuzeithistorische Dissertation nimmt sich Hendrikje Carius viel vor. Es geht ihr darum, "die behauptete Prädominanz von Geschlecht über Recht kritisch zu überprüfen" (49). Die Verfasserin wendet sich gegen eine inzwischen angegraute ältere Geschlechtergeschichte, die leichthin und ohne größere Quellenstudien überall Ungleichheit und Benachteiligung aufgrund des weiblichen Geschlechts entdeckt haben wollte. In der Strafrechtsgeschichte bzw. der historischen Kriminalitätsforschung hatte man mit den Hexenverfolgungen freilich Beispiele vor Augen, die solche Auffassungen weithin zu bestätigen schienen. Der Schwerpunkt des Rechts lag aber seit je im Zivilrecht, und auch der Großteil der Gerichtsverfahren betraf zu allen Zeiten Zivilsachen und gerade nicht das Strafrecht.

Wie sah es also im Bereich der Zivilrechtspflege aus? Schlagwörter wie die Geschlechtsvormundschaft über Frauen sind schnell zur Hand und lassen sich mit der zeitgenössischen Literatur gut belegen. Doch der Blick auf die Praxis ließ lange auf sich warten. Zum einen blieb ungeklärt, inwieweit Frauen auch ohne Geschlechtsvormund als Partei vor Gericht auftraten. Zum anderen stellte sich die Frage, ob die rechtliche Auseinandersetzung der gelehrten Schriftsatzverfasser auf das Geschlecht zurückgriff oder ob sich gar im Prozessausgang Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts zeigten. Es gab dazu in den vergangenen Jahren bereits einige Vorarbeiten. Nach der Lektüre von Carius lässt sich das klare Ergebnis kaum mehr bezweifeln: Frauen waren im frühneuzeitlichen deutschen Gerichtsverfahren nicht nur partei-, sondern weithin auch prozessfähig, teils mit, teils auch ohne Beiordnung eines Kurators. Und auf die Urteilstätigkeit der zeitgenössischen Gerichte hatte das Geschlecht der Parteien kaum, wenn nicht gar keinen Einfluss. Solche Selbstkorrekturen der Genderforschung sind beruhigend und bieten sicherlich eine gute Grundlage für den künftigen Austausch zwischen Rechtsgeschichte und allgemeiner Geschichte im Bereich des frühneuzeitlichen Privatrechts.

Die Verfasserin erzielt ihr Ergebnis auf der Grundlage von Prozessakten des Hofgerichts Jena. Mit großem Fingerspitzengefühl entfaltet sie zunächst die Gerichtsverfassung und Verfahrensgrundsätze des für mehrere Territorien zuständigen Obergerichts (111-133). Das geht weit über bisherige Annäherungen hinaus und gehört zu den stärksten Abschnitten des Buches. Die Quellenauswahl umfasst privatrechtliche Streitigkeiten, an denen auf mindestens einer Seite eine Frau beteiligt war. Nach Sachgesichtspunkten ordnet Carius ihre Fälle in Auseinandersetzungen um Eigentum, Ehegüterrecht, Erbrecht, Schuldforderungen und Nachbarschaftsangelegenheiten. Der im Titel angegebene Untersuchungszeitraum von 1648 bis 1806 ist dabei leicht irreführend. Der Schwerpunkt liegt deutlich im 18. Jahrhundert, vielfach sogar im späten 18. Jahrhundert. In den einzelnen Abschnitten stellt Carius jeweils einige Leitfälle vor, die sie ausführlich nacherzählt und dann im Hinblick auf ihre Fragestellung auswertet.

Genau an dieser Stelle beginnen aber die Verständnisschwierigkeiten für einen rechtshistorisch vorbelasteten Leser. Je weniger sich nämlich das Geschlecht als sinnvoller Untersuchungsgegenstand für die Betrachtung der Quellen erweist, umso stärker verschiebt sich die Fragestellung. Im Schlusskapitel geht es dann sogar vorrangig und zunächst geschlechtsneutral um die "Frage nach der Bedeutung von Eigentum für die Rechtsposition von Rechtsuchenden vor Gericht, dessen Prävalenz es gegenüber anderen, die ständische Gesellschaft strukturierenden, Kategorien zu zeigen galt" (285). Schon die Gliederung untermauert die Unsicherheit und belegt die Themenverschiebung während der Bearbeitung. Die Fallschilderung, also die eigentliche Quellenarbeit, beginnt erst auf Seite 149. Genau die Hälfte des Buches betrifft damit die einleitenden Teile, methodische und thematische Hinführung, Gefolgschaft gegenüber bestimmten Modeströmungen und Sprachgepflogenheiten. Die achtjährige Bearbeitungsdauer, davon zum größten Teil in Forschungsverbünden, hat hier sichtbare Spuren hinterlassen. Und genau damit macht es Carius dem Leser sehr schwer. Trotz der vorbildlichen prozessualen Grundlegung verabschiedet sie sich zunehmend von den rechtlichen Feinheiten. So sollen etwa Schuldforderungen "im weiteren Sinn unter den Typus der Eigentumskonflikte subsumiert" werden können (192). Doch dann verliert Eigentum jede feste Bedeutung, wenn es als Schlagwort für das gesamte bürgerliche Vermögensrecht herhalten muss. Aber auch der Unterschied von Rechtsfähigkeit, Geschäftsfähigkeit und Prozessfähigkeit spielt keine Rolle (63). Ganz verzerrte Behauptungen sind die Folge, etwa dass "Menschen aufgrund ihres Status" vom Eigentum ausgeschlossen seien (69). Doch das waren sie gerade nicht, sie durften nur nicht eigenständig Rechtsgeschäfte abschließen. Carius spricht von "Aktiv- und Passivschulden" (210), betrachtet "Exekutivprozesse" (199), sieht "Schuldforderungen argumentativ an Eigentumspositionen" gebunden (89). Hier wird die Verständlichkeitsgrenze überschritten. Ob es diese Denkfiguren in der zeitgenössischen oder heutigen Rechtssprache gab oder gibt, scheint jedoch gleichgültig zu sein. Mit großer Begeisterung lehnt sich das Buch, wo immer es nur geht, an neuere Vorschläge an, alle rechtlichen Auseinandersetzungen als Aushandlungsprozesse zu deuten. Selbst wenn ein einzelner Anwalt in einem einzelnen Schriftsatz mehrere Gesichtspunkte anführte, werden daraus sofort "Justiznutzungsstrategien" (253). Die überladene und mit Fremdwörtern durchtränkte Sprache tut ihr Übriges. So will die Verfasserin "resümieren, dass die Aushandlungsprozesse vor Gericht über Dynamiken verfügten, die bei aller Subsumtion unter idealtypische Leitkategorien und Grundkonflikte immer auch durch die Diversität individueller Praktiken und Referenzgrößen (Topiken) konturiert wurden" (267).

Mit ihren unscharfen Begriffen und der abgeschotteten Schreibweise verbaut sich die Verfasserin leider das Gespräch mit der Privatrechtsgeschichte, das sich bei ihrem Thema geradezu aufdrängt. Das ungezwungene Miteinander von Historikern und Rechtshistorikern hat sich in der Verfassungs- und Strafrechtsgeschichte seit längerem bewährt. Doch in der Privatrechtsgeschichte haben beide Seiten noch einen weiten Weg zu gehen. Die Dissertation von Hendrikje Carius bietet damit Anlass darüber nachzudenken, wie sich Geschichte und Rechtsgeschichte aufeinander zubewegen können.

Peter Oestmann