Rezension über:

Angelika Pöthe: Fin de Siècle in Weimar. Moderne und Antimoderne 1885 bis 1918 (= Schriftenreihe des Freundenkreises Goethe-Nationalmuseum e.V.; Bd. 4), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, X + 406 S., 24 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-20182-1, EUR 39,90
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Rezension von:
Stefanie Lieb
Köln
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Stefanie Lieb: Rezension von: Angelika Pöthe: Fin de Siècle in Weimar. Moderne und Antimoderne 1885 bis 1918, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8 [15.07.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/07/20898.html


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Angelika Pöthe: Fin de Siècle in Weimar

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Die vorliegende Publikation Angelika Pöthes, Privatdozentin für Germanistische Literaturwissenschaft an der Universität Jena, mag mit ihrer Thematik der Charakterisierung der Kulturszene des Fin de Siècle in Weimar nicht unmittelbar das kunsthistorische Spektrum betreffen, ist jedoch trotzdem eine wichtige Materialsammlung zur Kulturgeschichte Weimars um 1900, die Bezüge zu allen Kunstgattungen von der Architektur über die Literatur, Philosophie, Mystik, Tanz, Theater und Bildende Kunst aufweist.

Weimar erlebte eben nicht nur mit der Goethe-, Schiller- und Anna Amalia-Klassik sein "Goldenes Zeitalter" im 18. Jahrhundert, sondern daran schloss im 19. Jahrhundert die "Silberne Zeit" an. Geistesgrößen und Kulturschaffende der Jahrhundertwende wie Harry Graf Kessler, Rudolf Steiner, Henry van der Velde und Walter Gropius ließen sich in der Residenzstadt mit einem starken fürstlichen Mäzenatentum unter Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach nieder, weil dort der Weg für kulturellen Austausch und Diskurs geebnet war. Zwar schlug Kesslers Idee fehl, in Weimar ein "Zentrum der Weltkunst" (6) zu errichten, dennoch lassen sich auch für Weimar in der Zeit des Fin de Siècle parallel zu den Metropolen München, Berlin und Wien Ansätze einer sich wandelnden Kunstauffassung und Lebensgestaltung ausmachen. Wenn man so will, ist das Buch von Angelika Pöthe ein weiterer Baustein für die Forschung zu europäischen Kulturmetropolen um 1900.

Die Autorin hat sehr nah am erstmals gesichteten Quellenmaterial der Weimarer Archive gearbeitet - das ist auf der einen Seite sehr gut, da nun unverfälscht neue Namen und kulturhistorische Zusammenhänge aufscheinen, auf der anderen Seite geht jedoch durch die Kleinteiligkeit der Wiedergabe der Recherche-Ergebnisse der größere Rahmen und eine übergeordnete Fragestellung verloren. Aufgeteilt sind die herausgearbeiteten Themenbereiche in insgesamt sieben Kapitel, angefangen bei der Frauenbewegung, über die Weimarer Archive, Vereine und Feste, die höfische Kulturförderung, das literarische Weimar, bis hin zu Theater und der Situation Weimars im Ersten Weltkrieg. Das sind vielversprechende Überschriften, vertieft man sich aber in einzelne Passagen, verliert man sich leicht in Detailschilderungen und vermisst zusammenfassende Zwischenergebnisse. Hilfreich sind jedoch das ausführliche Personenregister sowie Literaturverzeichnis am Schluss, die die Auffindung von Namen sowie weiterführender Literatur ermöglichen.

Kunsthistorische Aspekte Weimars um 1900 entdeckt man natürlich unter den Stichworten wie "Harry Graf Kessler", "Henry van de Velde", "Rodin-Skandal", "Bauhaus" oder "Gropius". Ein wenig schade ist, dass in diesem Zusammenhang, auch hinsichtlich der am Schluss erwähnten Theaterreform, die Aspekte der Lebensreform und damit verbunden des Jugendstils, kaum zur Sprache kommen. Hier wäre ein Schlaglicht auf das Wechselspiel zwischen Literaturszene und Architektur um 1900 in Weimar spannend und ergebnisreich gewesen. In diesem Kontext sei darauf verwiesen, dass gerade eine architekturtheoretische Dissertation von Ole W. Fischer zu einem vergleichbaren Ansatz erschienen ist: hier wird am Beispiel der Gegenüberstellung von Henry van de Velde und Friedrich Nietzsche die Überlegung angestellt, inwieweit Philosophie und Architektur um 1900 sich gegenseitig programmatisch beeinflusst haben. [1]

Natürlich mag Angelika Pöthe in ihrem Buch nicht diesen methodischen Theorieansatz zum Kulturaustausch im Fin de Siècle verfolgt haben - ein wenig mehr Transfer und Reflexion basierend auf dem sehr gut erarbeiteten und dichten Quellenmaterial wäre dennoch wünschenswert gewesen.


Anmerkung:

[1] Ole W. Fischer: Nietzsches Schatten. Henry van de Velde - von Philosophie zu Form, Berlin 2013.

Stefanie Lieb