Rezension über:

Lenka Šindelářová: Finale der Vernichtung. Die Einsatzgruppe H in der Slowakei 1944/45 (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart; Bd. 22), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, 360 S., ISBN 978-3-534-25973-1, EUR 49,90
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Rezension von:
Tatjana Tönsmeyer
Wuppertal / Essen
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Tatjana Tönsmeyer: Rezension von: Lenka Šindelářová: Finale der Vernichtung. Die Einsatzgruppe H in der Slowakei 1944/45, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11 [15.11.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/11/23049.html


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Lenka Šindelářová: Finale der Vernichtung

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In ihrer Dissertation "Finale der Vernichtung" befasst sich Lenka Šindelářová stellvertretend für die Verbrechen der Spätphase der Shoah mit der Einsatzgruppe H, die zur Bekämpfung des Widerstandes im Spätsommer 1944 in die Slowakei kam. Ihr Anliegen ist es, die in den letzten Kriegsmonaten "improvisierte, aber dennoch schonungslose Verfolgung bzw. Vernichtung der slowakischen Juden" (8) im Rahmen der Tätergeschichtsschreibung zu beleuchten und dabei auch auf die strafrechtliche Aufarbeitung dieser Verbrechen einzugehen.

Die konkreten Fragen, denen die Verfasserin in ihrer Studie nachgeht, zeigen, dass sie ihr Buch eher als Rekonstruktion vergangenen Geschehens denn als im engeren Sinne analytische Arbeit anlegt, stehen doch im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit zunächst die Aktivitäten dieser Einheit, sodann das Sozialprofil der Täter, schließlich die juristische Aufarbeitung. Diesem rekonstruierenden Anliegen trägt die Gliederung Rechnung. Auf die Darlegung der Struktur der Einsatzgruppe H (Leitung, Stäbe, Kommandos, Stützpunkte) folgen die verschiedenen Tätigkeitsfelder, wobei dem Gegenstand entsprechend Verbrechen und speziell Mord im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. In zwei Teilkapiteln kommen auch slowakische und volksdeutsche Akteure zur Sprache.

Daran schließt ein zweites Großkapitel an, in dem die Verfasserin die Täter genauer in Augenschein nimmt. Es geht ihr dabei darum, diese aus der Anonymität zu holen. Dazu erstellt sie für Josef Witiska als den Chef der Einsatzgruppe und für die 13 Kommandoführer Kurzbiographien. Überwiegend der Kriegsjugendgeneration angehörend, eröffnete auch ihnen - wie wir das aus anderen Zusammenhängen der Täterforschung ebenfalls kennen - der Aufstieg des Nationalsozialismus einen spezifischen Machthorizont, der sie, die vielfach studiert waren, ihren Weg in den Polizeidienst bzw. den SD finden ließ. Als sie 1944 in die Slowakei kamen, hatten sie als immer noch junge Männer Karriere in der Sicherheitspolizei gemacht: Fast alle waren sie an Massenmorden, etwa beim BdS Krakau oder beim BdS Ukraine, beteiligt gewesen. Zusätzlich zu dieser engeren Gruppe erstellt die Verfasserin außerdem ein Sozialprofil von insgesamt 100 Angehörige der Einsatzgruppe H. Einmal mehr bestätigt Lenka Šindelářová dabei die Einschätzung von Gerhard Paul, dass keine Alterskohorte und kein Herkunftsmilieu sich gegenüber der terroristischen Versuchung als resistent erwies. Ferner versammelt die Verfasserin Daten zu 50 Angehörigen aus der Gruppe der Unterführer und Mannschaften: Auch sie waren im "Osteinsatz" vielfach direkt am Massenmord beteiligt gewesen.

In ihrem letzten Kapitel geht die Verfasserin der Strafverfolgung nach 1945 nach, wobei die Mehrzahl der Angehörigen der Einsatzgruppe H, die vor Gericht standen, sich dort wegen Verbrechen an anderen Orten als der Slowakei zu verantworten hatten. Für Verbrechen auf dem Gebiet der Slowakei wurden insgesamt zwei von etwa 700 Angehörigen der Einsatzgruppe H in Anwesenheit verurteilt: Helmut Hoppe in der (Tschecho-)Slowakei zu 20 Jahren Haft (er konnte bereits 1955 in die Bundesrepublik übersiedeln) und Werner Schönemann in Österreich. Schönemann hatte sich zunächst selbst bezichtigt, Leiter einer Spionageabteilung in Wien gewesen zu sein, da ihn eine Verurteilung vor der Auslieferung in die Tschechoslowakei schützte, wo ihm im Falle eines Prozesses als ehemaligen Stützpunktleiter des Einsatzkommandos 13 die Todesstrafe drohte. Ende 1947 in Wien verurteilt, stellte er 1949, als keine Auslieferungen mehr erfolgten, nicht nur erfolgreich einen Antrag auf Wiederaufnahme seines Verfahrens, sondern klagte auch (erfolglos) auf Entschädigung wegen der ungerechtfertigten Verurteilung. Auf freien Fuß gesetzt wurde er allerdings nicht, sondern wegen der Verbrechen in der Slowakei verurteilt. Da aber aufgrund der Anrechnung seiner bisherigen Haftzeiten die Strafe als verbüßt galt, wurde er bald in die Bundesrepublik abgeschoben. Weitere Verfahren in verschiedenen Ländern wurden eingestellt bzw. es ergingen Urteile in Abwesenheit.

In der Summe richtet Lenka Šindelářová mit ihrer Studie über die Einsatzgruppe H den Blick auf Verbrechen in der Spätphase des Zweiten Weltkrieges, die bisher wenig Aufmerksamkeit gefunden haben und das, obwohl in der Slowakei eine hohe Zahl an Opfern zu beklagen war, sowohl unter der jüdischen, als auch insgesamt unter der lokalen Bevölkerung. Schade ist jedoch, dass die Verfasserin nicht nur einem veralteten Kollaborationsbegriff, sondern mit Blick auf die deutschen Täter auch einer früheren Richtung dieser Forschung verhaftet bleibt. Sie bestätigt einmal mehr, dass die Täter, und so auch die Männer der Einsatzgruppe H, nicht vom Rande der deutschen Gesellschaft stammten und dass sich auch hier keine (soziologisch bestimmbare) Gruppe ausmachen lässt, die sich als immun gegenüber der Bereitschaft zum Töten erwiesen hätte. Vielmehr führt sie uns Männern vor Augen, die, als sie 1944 in die Slowakei kamen, fast alle über praktische Erfahrungen am Massenmord verfügten.

Gerade diese Tatsache ist es, die an einer Konzentration der Arbeit auf die Slowakei Zweifel aufwirft. Denn: Aus der jüngeren Täterforschung wissen wir, dass Menschen grundsätzlich infolge ihrer Definition einer Situation handeln, dass somit die subjektive Deutung entscheidend dafür ist, welche Handlung vollzogen wird. Auch den Tätern der Shoah erschien ihr Handeln situativ als sinnhaft. Nahezu alle der hier genauer untersuchten Personen waren zuvor in anderen Einsatzgruppen eingesetzt, sie kannten jene situativen sozialen Settings der Entgrenzung und Brutalisierung, die den Zweiten Weltkrieg ausmachten und hatten die damit zusammenhängenden Sozialisationsprozesse durchlaufen, in denen die Normen der Gruppe durch Kommunikation und beispielgebendes Handeln stabilisiert worden waren. Anders ausgedrückt: In die Slowakei kamen 1944 "Profis", die die verschiedenen Stationen der Sozialisierung und Brutalisierung bereits durchlaufen hatten, die das Morden aus erster Hand kannten, die es auch zuvor schon praktiziert hatten. In einer erfahrungsgeschichtlichen Berücksichtigung dieser spezifischen Sozialisierung der Einsatzgruppen-Angehörigen und einem mikrohistorischen Blick auf die jeweiligen situativen Settings in der Slowakei hätte darum eine große Chance gelegen. Sie wurde leider nicht genutzt.

Tatjana Tönsmeyer