Rezension über:

Hans-Christian Grassmann: Die Funktion von Hypokausten und Tubuli in antiken römischen Bauten, insbesondere Thermen. Erklärungen und Berechnungen (= British Archaeological Reports International Series; 2309), Oxford: Archaeopress 2011, 57 S., ISBN 978-1-4073-0892-0 , GBP 22,00
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Rezension von:
Burkhard Meißner
Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Burkhard Meißner: Rezension von: Hans-Christian Grassmann: Die Funktion von Hypokausten und Tubuli in antiken römischen Bauten, insbesondere Thermen. Erklärungen und Berechnungen, Oxford: Archaeopress 2011, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 3 [15.03.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/03/24823.html


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Hans-Christian Grassmann: Die Funktion von Hypokausten und Tubuli in antiken römischen Bauten, insbesondere Thermen

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Die experimentelle Archäologie und Geschichte, insbesondere die experimentelle Untersuchung von Krieg, Militär und Rüstung, hat in den letzten drei Dezennien neben neuen Einsichten ein weit gestreutes Interesse an antikem Alltag, Lebenswirklichkeit und -gefühl mit sich gebracht. Neben den Möglichkeiten audiovisueller Medien zur Publizierung und Popularisierung der Ergebnisse solcher Bemühungen war ein wesentlicher Motor dieser Entwicklung die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Archäologen, Philologen, Historikern, Soziologen, Volkswirten, Technikern, Materialforschern, Anthropologen, Medizinern usw., die sowohl eine Verbreiterung wie eine Vertiefung von Fragestellungen, methodischen Ansätzen, Perspektiven und Theorien mit sich gebracht hat. Antike Phänomene werden regelmäßig auch mit Methoden moderner Natur- und Technikwissenschaften erschlossen und erklärt.

Innerhalb eines solchen Panoramas interdisziplinärer Forschung nimmt das hier besprochene Werk hinsichtlich seiner Methode wie seiner Ergebnisse gleichwohl eine Sonderstellung ein. Der Autor, ein pensionierter Elektrotechniker und Ingenieur für industrielle Heizanlagen, durchdenkt darin nämlich unser Wissen und unsere Zeugnisse über antike Heizanlagen, die Hypokaustensysteme, von der Warte moderner Heiztechnik aus. Die Ergebnisse, um dies vorwegzunehmen, sind überzeugend und weiterführend, und darum lohnt die Lektüre dieses knapp, konzis und präzise formulierten Bandes aus der renommierten Serie der "British Archaeological Reports" nicht nur für Technikhistoriker, sondern für alle an Kultur und Lebenswelt der römischen Antike Interessierten.

Das Buch ist in 11 Hauptteile gegliedert, die sich in drei große gedankliche Schritte teilen. Die Einleitung (I: 7f.) und der erste längere Abschnitt (II: 8-12) skizzieren das Problem und resümieren die wichtigsten literarischen Zeugnisse, archäologischen Befunde, experimentalarchäologischen und historischen Forschungsergebnisse. Vitruv 5,10 stellt den Bau von Hypokausten (8) dar; Kretschmer beschreibt die tubuli (Wandziegel für beheizte Wände), führte auf der Saalburg in einem Modellhypokaust Heizversuche durch und berechnete Brennstoffbedarf und Heizleistung der Heizung der Aula Palatina in Trier (8f.). Tony Rook übertrug die Ergebnisse der Versuche Kretschmers und die Verhältnisse Türkischer Bäder auf die römischen Bade- und Heizungsanlagen von Welwyn (9), und Heribert Hüser erkannte eine charakteristische streifenartige Wärmeverteilung an den Wänden durch Hypokausten beheizter Räume (10). [1] Anita Rieche und Tony Roock dokumentieren über eine Woche ausgedehnte Heizversuche in den Thermen von Xanten, deren hoher Brennstoffbedarf für lange Zeit das Bild des angeblich holzverschlingenden römischen Heizens geprägt hat. [2] Der Autor selbst hat in den 90er-Jahren mehrere Heizversuche in den Thermen von Weißenburg, Trier und Xanten durchgeführt bzw. durchführen lassen, deren Ergebnisse in das vorliegende Buch einfließen, und die jenes Bild von einer ressourcenverschwendenden römischen Thermen- und Heizkultur korrigieren (11f.). [3]

Dies geschieht in den Hauptabschnitten III-V der Arbeit, die vor allem die verschiedenen Heizversuche in den Herbergsthermen von Xanten darstellen und deuten (12-30). Bei diesen ausgedehnten Versuchen ergab sich eine größere Ähnlichkeit der Hypokaustenheizungen zu modernen, sparsamen Heizsystemen als man bis dato annahm. Hypokaustenheizungen nutzen die Wärme der Abgase einer zentralen Feuerstelle, um über die Bodenheizung und die tubuli (Heizkanäle) in den Wänden große Räume zu beheizen. Die Temperatur der Heizgase beträgt dabei im Durchschnitt 45°, hat also einen ähnlichen Wert wie die Vorlauftemperatur moderner sparsamer Zentralheizungen. Die geringe Temperaturdifferenz zur Außentemperatur bedingt geringe Abwärmeverluste und hohe Wirkungsgrade (im Falle der Hypokaustenheizungen mehr als 90% der eingesetzten Wärmeenergie) - bei allerdings hohen Verlusten in den antiken Feuerstellen selbst (12f.). Da es sich bei antiken Hypokausten um effiziente Niedertemperaturheizungen handelt, war ihre Funktion nicht aus den kurzfristigen älteren Heizversuchen, sondern nur in längerfristigem, wochenlangem Betrieb zu ermitteln. Dabei ließ sich eine Aufheizphase mit hohem Brennstoffverbrauch (120 kg pro Tag) und eine Phase der Erhaltung einer "Gleichgewichtstemperatur" nach ca. 6-8 Tagen mit einem Brennstoffverbrauch von ca. 50 kg Heizmaterial pro Tag unterscheiden (15).

Auf 14 Seiten dokumentiert Grassmann überzeugend mit Temperaturverlaufskurven die Ergebnisse seiner Auswertungen und Berechnungen der in Xanten im Sommer und Winter 1993/94 veranstalteten Versuche (16-29). Als Ingenieur konzipiert Grassmann ein Näherungsmodell für den Energie- und Holzbedarf im Dauerbetrieb. Die dabei berechneten Werte (im Sommer 65,6 kg Holz pro Tag, im Winter 101,8 kg) stimmen mit den gemessenen (62,7 kg und 102,0 kg) recht gut überein (30): Grassmanns Modell, dessen Kern ein im Anhang des Buches beschriebenes Computerprogramm zur Berechnung des Energie- und Wärmeumsatzes antiker Hypokaustenheizungen darstellt (49-57), kommt der Realität offenbar sehr nahe.

Weiter verfeinern lässt sich, so Grassmann, sein Modell, wenn sorgfältiger als in den in Xanten durchgeführten Versuchen auf die regelmäßigen Temperaturunterschiede zwischen den einzelnen Wandtubuli und den Höhenzonen dieser tubuli geachtet würde und die Folgen genauer gemessen würden, die diese für die Strömungsverhältnisse der heißen Gase in der Wand haben; tatsächlich nämlich strömen diese in den Wänden nicht nur aufwärts dem Kamin entgegen, sondern verbleiben in Auf- und Abwärtsbewegungen für mehrere Strömungszyklen in der Wand. Die folgenden Hauptteile VII und VIII der Arbeit Grassmanns stellen sich daher die Aufgabe, für die von Hüser auf der Saalburg durchgeführten Versuche, in deren Folge man auf diese Zirkularströmungen aufmerksam wurde, ein dynamisches Modell zu erstellen (32-42).

Auch dieses Modell der Strömungen in den Wandkanälen eines Hypokaustums ist als Computermodell angelegt; seine Voraussagen über die Temperaturverteilungen an der Oberfläche der Wände des Hypokaustums stimmen mit den gemessenen Werten gut überein (34). Die Rechenwerte werden im Anhang des Buches in ausführlichen Tabellen dokumentiert (43-46): Besonders wichtig ist Grassmanns Erkenntnis und Berechnung des Einflusses großer Tubulusquerschnitte auf die Effizienz der Heizung und der Wirkung der Querverbindungen zwischen den einzelnen senkrecht stehenden Heizgasröhren auf eine widerstandsarme zirkuläre Strömung der Heizgase (35-39).

Aus der Zusammenschau beider Modelle - des Modells der Hypokaustenheizung und des Modells der Tubulusströmung - gewinnt Grassmann im Grunde genommen ein ganz neues technisches Verständnis römischer Heiztechnik. Grassmann kann für die ihm auch baugeschichtlich besonders vertrauten Themen von Weißenburg so nachweisen, wie kompliziert und bei schwankenden Außentemperaturen schwer zu steuern eine Hypokaustenheizung mit für verschiedene Räume einheitlicher Feuerstelle ist, denn das sensible Verhältnis zwischen der Wärmeabgabe aus Boden- und Wandheizungen stellt sich hier immer wieder anders ein. Mit diesem berechenbaren, aber praktisch nicht lösbaren Problem erklärt er plausibel den in Weißenburg beobachtbaren späteren Umbau der Anlage zu einer mit mehreren Feuerstellen (Präfurnien) (39f.).

Den Abschluss des Buches bildet ein drittes Modell, mit dem Grassmann das "Wohlbefinden" der Raumnutzer nachbildet. Darin wird die in Sommer und Winter unterschiedliche Luft- und Raumfeuchte abgebildet und die Belüftungsnotwendigkeiten zu deren Beherrschung (40ff.). Als Ergebnis ergibt sich ein in dem Modell der Xantener Thermen im Sommer um ca. 16%, im Winter um 5%, in Weißenburg in beiden Jahreszeiten um ca. 13% erhöhter Wärmebedarf für die Aufheizung der zur effizienten Herabsetzung der Raumfeuchte notwendigen Zuluft.

Die erhebliche konzeptuelle und systematische Leistung des Autors besteht darin, die ganz unterschiedlichen Bauten ausgewählter römischer Thermen in Deutschland - dessen Klima Thermen mit ihren Heizungen für einen römischen Lebensstil besonders notwendig machte - durchdacht und verglichen zu haben, die in experimentalarchäologischen Versuchen ermittelten Werte sorgfältig geprüft und durchgerechnet zu haben und auf dieser Basis ein Modell der Thermenheizung erstellt zu haben, das das Verständnis dieser Technik auf ein neues Niveau hebt: Wer künftig über Thermen, Badeanlagen und Heizungen, aber auch über die Holzwirtschaft, den Brennholzverbrauch und die Kultur behaglichen Badens in der Antike forscht und lehrt, wird kaum an diesem knappen sowie sauber und sorgfältig aufgebauten und berechneten Buch vorbeigehen können. Wer sich technischen Phänomenen der Antike rekonstruktiv oder hermeneutisch nähert, der wird methodisch von Grassmanns Vorgehen und seiner Begründung dieses Vorgehens sehr viel lernen.


Anmerkungen:

[1] Tony Rook: The development and operation of Roman hypocausted baths, in: Journal of Archaeological Science 5 (1978), 269-282; Heribert Hüser: Wärmetechnische Messungen an einer Hypokaustenheizung in der Saalburg, in: Saalburg-Jahrbuch 36 (1979), 12-30.

[2] Anita Rieche / Tony Rook: Fuel trials at Xanten, in: Balnearia 2 (1993), 2-6.

[3] Hans-Christian Grassmann: Wirkungsweise und Energieverbrauch antiker römischer Thermen, ermittelt mit modernen wärmetechnischen Methoden für die Großen Thermen in Weißenburg, in: Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 41 (1994), 297-321.

Burkhard Meißner