Rezension über:

Dennis Hormuth: Livonia est omnis divisa in partes tres. Studien zum mental mapping der livländischen Chronistik in der frühen Neuzeit (1558-1721) (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa; Bd. 79), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, 248 S., ISBN 978-3-515-10097-7, EUR 44,00
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Rezension von:
Stefan Donecker
Institut für Mittelalterforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Donecker: Rezension von: Dennis Hormuth: Livonia est omnis divisa in partes tres. Studien zum mental mapping der livländischen Chronistik in der frühen Neuzeit (1558-1721), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 4 [15.04.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/04/25136.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Dennis Hormuth: Livonia est omnis divisa in partes tres

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Mit der vorliegenden Monografie, die auf seine 2011 fertiggestellte Dissertation zurückgeht, positioniert sich der Kieler Historiker Dennis Hormuth an der Schnittstelle zweier aktueller Forschungsfelder: Die Chronistik des frühneuzeitlichen Livland ist in den vergangenen Jahren zum Gegenstand intensiver Forschung vor allem seitens estnischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geworden. Piret Lotman hat für einen 2008 erschienenen Sammelband den bezeichnenden Titel Aetas historicorum (Das Zeitalter der Geschichtsschreiber) gewählt - eine treffende Formulierung, die den Umfang und die Bedeutung des historiografischen Schrifttums in Livland während des 16., 17. und frühen 18. Jahrhunderts herausstreicht. [1] Als charakteristisches und für die frühe Neuzeit typisches Genre der Geschichtsschreibung kommt der Chronistik dabei eine zentrale Bedeutung zu. Parallel dazu mehren sich in den letzten Jahren die Versuche, theoretische und methodische Anregungen des sogenannten spatial turn, der Hinwendung der Geistes- und Sozialwissenschaften zu einem verstärkten Bewusstsein von Räumlichkeit und deren kultureller Bedeutung, für die Geschichte des Ostseeraums aufzugreifen. [2]

Hormuth zieht nun die Konsequenz aus diesen Entwicklungen und verknüpft jene beiden Forschungsstränge, indem er nach Raumwahrnehmungen und kognitiven Landkarten (mental maps) in der frühneuzeitlichen livländischen Geschichtsschreibung fragt. Als Spezialist für die Geschichte Livlands während der Frühen Neuzeit ist Hormuth für diese forschungsrelevante Fragestellung hervorragend qualifiziert. Dass seine Arbeit aus dem 2009 zu Ende gegangenen Graduiertenkolleg "Imaginatio borealis. Perzeption, Rezeption und Konstruktion des Nordens" der Universität Kiel hervorgegangen ist, dem die deutschsprachige Forschung richtungsweisende Impulse zu Fragen der Raumkonstruktion und Raumwahrnehmung verdankt, stellt eine hohe Qualität der Untersuchung in Aussicht.

Diesen Erwartungen wird Hormuths Arbeit zweifellos gerecht. Als Quellenkorpus seiner Untersuchung wählt er acht Chroniken des späten 16., 17. und frühen 18. Jahrhundert: die Werke von Balthasar Rüssow, Salomon Henning, Moritz Brandis, Franz Nyenstede, Dionysius Fabricius, Thomas Hiärn und Christian Kelch sowie die Lode/Werner-Chronik in der Bearbeitung von Otto Fabian von Wrangell. Jene Texte - zweifellos die wichtigsten Werke der livländischen Historiografie während der Frühen Neuzeit - untersucht Hormuth hinsichtlich der räumlichen Bezugsebenen ihrer Verfasser: War für den jeweiligen Chronisten die Selbstverortung in einem lokalen (Stadt, Dorf, Kirchspiel, Landgut), einem kleinregionalen (Livland beziehungsweise dessen Landesteile), einem großregionalen/religiösen (Europa, Norden, Ostseeraum beziehungsweise lutherische oder katholische Konfession) oder einem politisch definierten Rahmen (Heiliges Römisches Reich, Deutscher Orden, Schweden, Polen-Litauen, Dänemark) entscheidend? Zwischen Chronisten wie dem Revaler Lokalpatrioten Rüssow, dem in Auftrag und Dienst der estländischen Ritterschaft schreibenden Brandis oder dem einsamen Katholiken unter den livländischen Geschichtsschreibern der Frühen Neuzeit, Dionysius Fabricius, arbeitet Hormuth eine beträchtliche Bandbreite unterschiedlicher räumlicher Selbstverortungen heraus. Als Fazit kann er festhalten, dass Livland selbst für die meisten Chronisten den Hauptbezugspunkt darstellte, obwohl ihr Wahrnehmungshorizont über die Landesgrenzen hinausreichte und auch größere Identitätsregionen [3], wie den Ostseeraum, den Norden, Europa oder die (konfessionell bestimmte) Christenheit mit einschloss (217).

Hormuth äußert sich allerdings kritisch zu der von der älteren Forschung, vor allem von Reinhard Wittram [4], vertretenen Ansicht, Livland sei bis ins 17. Jahrhundert als territoriale Einheit wahrgenommen und in der frühneuzeitlichen Historiografie als solche beschrieben worden. Stattdessen betont er, dass Livland primär als Sammelbezeichnung für die verschiedenen Landesteile und Provinzen - Estland, Kurland, Lettland und andere - verwendet worden sei und dass die Chronisten Livland als "Konglomerat mehrerer Teile" wahrgenommen hätten. Somit wird auch deutlich, wie die - auf den ersten Blick vielleicht etwas unmotiviert scheinende - Cäsar-Hommage im Titel des Buches zu verstehen ist: nicht als Definition konkreter Landesteile, sondern als Betonung des fragmentierten Charakters des Landes im untersuchten Zeitraum. Es ist zu hoffen und zu erwarten, dass Hormuths These Anlass zu neuen Diskussionen über den historischen Wandel des Landesnamens Livland bietet.

Bei der Auswahl der Quellen hat Hormuth seine Untersuchungen bewusst auf einen Teil der livländischen Historiografie des 16. und 17. Jahrhundert beschränkt: Herangezogen wurden ausschließlich gedruckt vorliegende Landeschroniken, die von gebürtigen Livländern oder von Einwanderern, die sich dauerhaft im Land niederließen, verfasst wurden. Somit werden die Werke auswärtiger Autoren ebenso wenig berücksichtigt wie die städtische Geschichtsschreibung, handschriftlich überlieferte Chroniken (zum Beispiel Jürgen Helms), historisch orientierte Hochschulschriften (Jacobus Scott, Olaus Hermelin) oder fragmentarische oder unvollendete landesgeschichtliche Versuche (Friedrich Menius, Johann Witte). Allerdings wäre es nach Ansicht des Rezensenten verfehlt, Hormuth die eingeschränkte Quellenauswahl zum Vorwurf zu machen [5]. Im Gegenteil: Indem er sich auf einen klar abgegrenzten Textkorpus beschränkt, gelingt es ihm, eine ins Detail gehende, inhaltlich überzeugende Untersuchung vorzulegen, die sonst kaum möglich gewesen wäre. Wenn Hormuths Studie zur Folge hat, dass in Zukunft auch andere Werke livländischer Historiografie einer ähnlich gründlichen Analyse ihrer räumlichen Wahrnehmungsschemata unterzogen werden, wäre das ein weiteres Verdienst seiner Arbeit.


Anmerkung:

[1] Piret Lotman (Hrsg.): Ajalookirjutaja aeg/Aetas historicorum, Tallinn 2008. Vgl. etwa auch Katri Raik: Eesti-ja liivimaa kroonikakirjutuse kõrgaeg 16. sajandi teisel poolel ja 17. sajandi alul [Die Hochphase der Chronistik Estlands und Livlands in der zweiten Hälfte des 16. und Anfang des 17. Jh.], Tartu 2004.

[2] Jörg Hackmann: Was bedeutet "baltisch"? Zum semantischen Wandel des Begriffs im 19. und 20. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Erforschung von mental maps, in: Heinrich Bosse / Otto-Heinrich Elias u.a. (Hgg.): Buch und Bildung im Baltikum. Festschrift für Paul Kaegbein zum 80. Geburtstag, Münster 2005, 15-39; Norbert Götz / Jörg Hackmann u.a. (Hgg.): Die Ordnung des Raums. Mentale Landkarten in der Ost­see­region, Berlin 2006; Jörg Hackmann / Robert Schweitzer (Hgg.): Nord­ost­euro­pa als Geschichtsregion. Beiträge des III. Internationalen Symposiums zur deutschen Kultur und Geschichte im europäischen Nordosten vom 20.-22. September 2001 in Tallinn (Estland), Helsinki / Lübeck 2006; Tatjana Niemsch: Reval im 16. Jahrhundert. Erfahrungsräumliche Deutungsmuster städtischer Konflikte, Frankfurt a.M. 2013.

[3] Hormuth erläutert das von ihm verwendete Konzept der Identitätsregion auf den Seiten 18-24 des rezensierten Bandes sowie in einem ein Jahr zuvor erschienenen Aufsatz: Dennis Hormuth: Im "treuherzigen Norden": Die Konstruktion von Identitätsregionen am Beispiel frühneuzeitlicher Historiographie über die Christianisierung Livlands, in: Sibylle Baumbach (Hg.): Regions of Culture - Regions of Identity. Kulturregionen - Identitätsregionen, Trier 2010, 17-31. Allerdings wäre es wünschenswert gewesen, die für die Frühe Neuzeit spezifischen Formen von Identität stärker herauszuarbeiten und von Identitätskonstruktionen des 19. und 20. Jahrhunderts abzugrenzen.

[4] Reinhard Wittram: Baltische Lande - Schicksal und Name. Umrisse der äußeren ge­schichtlichen Wandlungen seit dem 13. Jahrhundert im Spiegel des Landesnamens, in: Carl Engel (Hg.): Ostbaltische Frühzeit, Leipzig 1939, 480-495.

[5] Einzig im Falle der Lode/Werner-Chronik wäre es vorteilhaft gewesen, auch die hand­schriftliche Überlieferung aus dem 17. Jahrhundert miteinzubeziehen, anstatt die Intention Gus­tav von Lodes nur aus Wrangells späterer Fassung aus dem frühen 18. Jh. zu extrahie­ren (160-164).

Stefan Donecker