Rezension über:

Christian Danz (Hg.): Schelling und die historische Theologie des 19. Jahrhunderts, Tübingen: Mohr Siebeck 2013, VIII + 263 S., ISBN 978-3-16-152931-3, EUR 59,00
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Rezension von:
Benjamin Dahlke
Universität Duisburg-Essen
Redaktionelle Betreuung:
Johannes Wischmeyer
Empfohlene Zitierweise:
Benjamin Dahlke: Rezension von: Christian Danz (Hg.): Schelling und die historische Theologie des 19. Jahrhunderts, Tübingen: Mohr Siebeck 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 5 [15.05.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/05/24769.html


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Christian Danz (Hg.): Schelling und die historische Theologie des 19. Jahrhunderts

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Seit dem 19. Jahrhundert sind die Disziplinen, die sich in Absetzung von den Natur- als Geisteswissenschaften verstehen, in einem umfassenden Historisierungsprozess begriffen. Das schließt die Theologie mit ein. So wird die Kontextbezogenheit der eigenen Disziplin immer mehr herausgestellt. Dies übernimmt die Theologiegeschichtsschreibung, die als ein neues Fach zur Kirchen- und Dogmengeschichte hinzutritt, aber zugleich auf die Dogmatik bezogen ist. Aufgrund des Bewusstseins der grundsätzlichen Bedingtheit sämtlicher Aussagen wird die Unterscheidung zwischen einem positiven und spekulativen, also einem darstellenden und neu konstruierenden Ansatz innerhalb der Dogmatik außerdem immer mehr eingeebnet. Zumindest in Umrissen entsteht damit das Programm einer genuin historischen Theologie. Eine solche begreift nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Gegenstand als grundsätzlich geschichtlich, folglich als wandelbar und steter Fortentwicklung unterworfen.

Diese auf mehreren Ebenen verlaufende (Selbst-)Historisierung der Theologie ist ohne die vielfältigen Anstöße aus der Klassischen Deutschen Philosophie undenkbar. Ihre Vertreter haben das Bewusstsein der Geschichtlichkeit wesentlich befördert. In diesem Zusammenhang ist etwa Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) zu nennen. Selbst aus einer schwäbischen Pfarrersfamilie stammend, hatte er zunächst im Tübinger Stift studiert, übrigens gemeinsam mit Friedrich Hölderlin und Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Wie Hegel wandte sich Schelling schließlich der Philosophie zu. Trotzdem blieben enge Verbindungen zur Theologie bestehen, ja es gab eine wechselseitige Wahrnehmung und Aneignung. Das zeigt der vorliegende Sammelband. Herausgeber ist Christian Danz, Professor an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Danz ist an der historisch-kritischen Edition von Schellings Werken beteiligt und hat bereits mehrere Tagungen initiiert, um dessen Denken zu erschließen. [1] Der Band dokumentiert die Beiträge eines Forschungssymposiums, das Ende 2012 in Wien stattgefunden hat.

Schelling war bleibend und in hohem Maße von den theologischen Debatten seiner Zeit geprägt. Darauf verweist Christian Danz in seinem einleitenden Beitrag (1-19), und Christopher Arnold zeigt dies mit Blick auf Schellings Mythenverständnis (21-43). Umgekehrt nahm er auf die Theologie Einfluss. Von besonderer Bedeutung sind hierbei seine frühen Werke. Das betrifft zumal die im Jahr 1803 veröffentlichten Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums. [2] Weniger prägend war hingegen die komplexe, einem breiten Publikum im übrigen erst postum zugängliche Spätphilosophie, die in zwei konzisen Beiträgen vorgestellt wird (Georg Neugebauer, 193-207; Malte Dominik Krüger, 209-231). Wichtige Theologen des 19. Jahrhunderts waren von Schelling geprägt, mag das jeweilige Ausmaß auch variieren. Auf evangelischer Seite sind Friedrich Schleiermacher (Ulrich Barth, 45-62), Ferdinand Christian Baur (Christof Landmesser, 131-149; Johannes Zachhuber, 151-170) und David Friedrich Strauß (Jan Rohls, 85-112; Oliver Wintzek, 113-129) zu nennen. Ferner setzten sich Katholiken intensiv mit Schelling auseinander (Georg Essen, 171-192).

Verständlicherweise können von den Autoren längst nicht alle Rezeptionsstränge verfolgt werden. Ausgeklammert sind die Katholiken Ignaz von Döllinger, Franz Anton Staudenmaier, Johannes Evangelist von Kuhn (176 Anm. 16), und es fehlt Ignaz Thanner. Auf evangelischer Seite vermisst man etwa Isaak August Dorner. Lediglich erwähnt wird Carl Daub, der sich nach anfänglicher Begeisterung für Schelling dem Denken Hegels verschrieb (2). Daubs Beweggründe nachzuzeichnen, wäre nicht zuletzt deshalb wichtig, um die Grenzen von Schellings Denken zu sehen. Weiterzuverfolgen wären umgekehrt die immer wieder eingeflochtenen Überlegungen, weshalb sich Theologen überhaupt auf dieses einließen. War es Schellings Verhältnisbestimmung von abstraktem Begriff und konkreter Wirklichkeit, seine spezifische, von anderen Entwürfen der Klassischen Deutschen Philosophie unterschiedene "Verzahnung von Philosophie und Historie" (6)? Könnte es vielleicht sein, dass bei Immanuel Kant und Johann Gottlob Fichte der Begriff die Wirklichkeit kontrolliert, was in abgeschwächter Weise ebenfalls auf Hegel zutrifft? Demgegenüber belässt Schelling der mitunter sperrigen Wirklichkeit ihr eigenes Recht, etwa indem er das Mythologische rehabilitiert und der Religion ihr eigenes Recht zugesteht (Christian Danz, 233-253). Für christliche Theologen bot sich ein Bezug hierauf wohl an, um Offenbarung als eine geschichtliche Wirklichkeit denken zu können. Ähnlich wie Hegel geht Schelling allerdings davon aus, dass das menschliche Bewusstsein im Laufe der Geschichte zu sich selbst gelangt. Das wirft die Frage auf, ob Offenbarung dann überhaupt noch als Offenbarung verstanden werden kann. Doch das ist eine systematisch-theologische Frage, die zu diskutieren weder hier der Ort ist, noch Aufgabe eines Sammelbandes wie des vorliegenden. Durch die Bezugnahme auf Schelling bildete sich jedenfalls das Verständnis einer genuin historischen Theologie heraus (159f.). Diese noch weiter zu profilieren, stellt eine bleibende Aufgabe dar. Dabei gilt es, methodologisch reflektiert und auf der Höhe des Theoriediskurses zu verfahren (Michael Murrmann-Kahl, 63-83). Überhaupt formulieren einige Beiträge eher Desiderate künftiger Forschung als abschließende Ergebnisse zu präsentieren. Das ist indes kein Schaden, sondern verdeutlicht eher, dass der gesamte Themenkomplex stärkere Aufmerksamkeit verdient. So bieten die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes viele Anregungen für die weitere Erforschung des Historisierungsprozesses, der im 19. Jahrhundert begonnen hat und konfessions- wie disziplinenübergreifend ist. Sie beleuchten wichtige Aspekte sowohl der neueren Philosophie- als auch der Theologiegeschichte.


Anmerkungen:

[1] Einen Überblick bietet die Homepage: https://etfst.univie.ac.at/team/univ-prof-dr-christian-danz/#c268689. Eigens erwähnt sei Christian Danz (Hg.): Schelling und die Hermeneutik der Aufklärung, Tübingen 2012.

[2] Zu beachten ist hier außerdem Leonhard Hell: Entstehung und Entfaltung der theologischen Enzyklopädie, Mainz 1999, 187-200.

Benjamin Dahlke