Rezension über:

Peter Heather: The Restoration of Rome. Barbarian Popes and Imperial Pretenders, London: Macmillan 2013, XVIII + 470 S., 29 Farbabb., ISBN 978-0-230-70015-4, GBP 30,00
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Rezension von:
Clemens Gantner
Institut für Geschichte, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Clemens Gantner: Rezension von: Peter Heather: The Restoration of Rome. Barbarian Popes and Imperial Pretenders, London: Macmillan 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 10 [15.10.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/10/23931.html


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Peter Heather: The Restoration of Rome

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Peter Heather, einer der bekanntesten Forscher zur Völkerwanderungszeit und Experte für die Geschichte der Goten, wendet sich in der vorliegenden Publikation einem erweiterten Leserkreis über das geschichtswissenschaftliche Fachpublikum hinaus zu. Interessant ist gleich in der Einleitung (i-xix) die Relativierung seines fast zehn Jahre alten Buches zum "Untergang des römischen Reiches", denn nun hält er fest, dass das römische Konzept des Imperiums sowie (und das ist die wesentliche Neuerung seines Ansatzes) seine wichtigsten Strukturen das Ende des Reiches relativ unbeschadet überdauert haben (xvii f.). Heather braucht diesen Ansatz auch, entwickelt er doch nach der Einleitung zum spätrömischen Reich in vier Abschnitten seine Idee von vier möglichen Nachfolgern des römischen Westreiches. Wichtig ist dabei, dass der Autor den Gedanken von "empire" und imperium weiter als die deutsche Entsprechung "Kaiserreich" fasst.

Zunächst stellt der Autor Theoderich den Großen vor und schildert dessen Karriere bis zur Machtübernahme in Italien (3-51). Danach beschreibt er die Herrschaft Theoderichs ebenda (52-102). Er argumentiert, dass der Gotenkönig auf der Höhe seiner Macht in den ersten beiden Jahrzehnten des 6. Jahrhunderts den spätantiken Westkaisern nicht nachstand und seine Herrschaft somit als Fortsetzung des Westkaisertums zu betrachten sei. Die Gründe für das Scheitern des Reiches nach Theoderichs Tod sieht er vor allem im Scheitern der Bemühungen um einen geeigneten Nachfolger. Dieser erste ist zugleich der überzeugendste Abschnitt des Buches, wenn auch die Einflussmöglichkeiten des Gotenkönigs auf die anderen barbarischen Nachfolgereiche des Imperiums im Westen etwas überzeichnet werden, um die Vergleichbarkeit mit dem Römischen Reich zu stärken.

Fast nahtlos schließt der zweite Abschnitt über Kaiser Justinian an (105-204). Hier wird wesentlich weniger Wert auf den Werdegang des Protagonisten gelegt, dafür wird sehr ausführlich und durchaus gewinnbringend der Quellenwert der Historiographie zum 6. Jahrhundert analysiert. Im Gegensatz zu Theoderich zeigt Heather in der Folge vor allem die Limitierung der Herrschaft des Kaisers auf. Er weist auf die prekäre Stellung am Beginn des Kaisertums hin und relativiert die militärischen Erfolge, die er auch in Relation mit ihren Kosten für das Ostreich stellt. Dennoch sieht er Justinian als legitimen Erben auch des westlichen Imperiums.

Nachdem auch das Scheitern von Justinians Nachfolgern, das Heather vor allem in der Überbeanspruchung der Möglichkeiten des Oströmischen Reichs durch Justinian und im wenig später folgenden Aufstieg des Islam begründet sieht, knapp geschildert wird, folgt ein größerer Zeitsprung zu Abschnitt 3, der Karl dem Großen (The Father of Europe, 207-295) gewidmet ist. Knapp wird der Aufstieg der Franken und dann der Karolinger in Gallien geschildert, um dann unter Einbeziehung der Rolle der Päpste zum Kaisertum Karls des Großen zu gelangen - das alles auf 40 Seiten (207-247). Karl der Große wird in jeder Hinsicht als passender Nachfolger der Westkaiser präsentiert, was an sich schlüssig dargestellt ist, in der Kürze aber lückenhaft bleibt. Den Rest des Abschnittes (248-295) benötigt Heather um zu erklären, wieso das Kaisertum im Sinne einer christlichen und weltlichen Herrschaft den Nachfolgern Karls recht bald verlustig ging. Otto dem Großen billigt er zwar eine Erneuerung des Kaiserreichs zu, doch sieht er dessen Herrschaft als geographisch zu beschränkt für eine Nachfolge des Westreiches. Interessant ist, dass er dieselbe Einschränkung in der Kontrolle der westlichen ehemaligen Reichsgebiete bei Justinian nicht sieht, hier könnte man aber durchaus ähnlich argumentieren.

Im letzten Kapitel, das heilsgeschichtlich verbrämt mit "Second Coming" überschrieben ist, argumentiert Heather schließlich, dass das Westreich auf das Papsttum in Rom übergegangen sei (299-404). Zunächst wird aber lange die Vorgeschichte geschildert: Papst Leo etwa sei für Karl den Großen lediglich ein "senior vice president for prayer" der Kirche gewesen (342), das Papsttum auch im 9. Jahrhundert vor allem von der weltlichen Durchsetzungskraft verschiedener Karolinger abhängig gewesen. Das Chaos der karolingischen Teilreiche bedingt für den Autor dann auch den Niedergang des überregionalen Einflusses des Papsttums in der "Pornokratie", die er recht überzeugend von den römischen Frauen (Stichwort: Marozia) weg und auf den Einfluss des römischen Adels auf das Papsttum bis ins frühe 11. Jahrhundert umdeutet. Erst danach sieht er den Aufstieg des Papsttums zur Weltmacht, die im lateinischen Westen die theologischen und sozialen Normen vorgibt, was vor allem über das kanonische Recht erfolgt sei. Die entscheidenden Schritte dazu sieht Heather aber schon im frühen Mittelalter angelegt und zwar nicht von päpstlicher Seite, sondern von fränkischer, insbesondere in den Pseudo-Isidorischen Fälschungen, die dazu geführt hätten, dass der Papst in begrenztem Maße als oberste Instanz des Christentums zu gelten begann. In der Folge hätten dann die aus dem Norden stammenden Päpste des Reformpapsttums im 11. Jahrhundert bewirkt, dass sich auch das Papsttum selbst so zu sehen begann.

Heather stellt schließlich im direkt auf das letzte Kapitel folgenden Epilog (405-414) das Papsttum des Hochmittelalters als letzten und dauerhaftesten Erben des Imperiums dar. Er schränkt zwar ein, dass die Päpste niemals eine weltliche Machtfülle wie die Römischen Kaiser entwickelten. Im Gegensatz zum Römischen Reich, das sich nur an die vor allem in Städten lebende Elite gerichtet habe, bescheinigt er dem Papsttum aber Durchgriffsgewalt auf allen Schichten der Bevölkerung des lateinischen Westens. Das sei ein Grund, wieso das Imperium des Papstes jenes der römischen Kaiser bereits um das doppelte an Lebensdauer übertroffen habe.

Besonders in seinem Schluss schießt Heather über das Ziel hinaus. Er bezieht in seinen Epilog weder die Verwerfungen in der Papstgeschichte des 14. und 15. Jahrhunderts ein, noch die Entwicklungen der Reformation, Gegenreformation und der Neuzeit. Auch sonst weist die Darstellung des Übergangs des Westreiches auf die Päpste einige argumentatorische Schwächen auf, weil er die tatsächlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Papsttums im Westen etwas zu hoch und den Einfluss der weltlichen Herrscher etwas zu niedrig ansetzt, wenn er auch deren Wichtigkeit betont. Tatsächlich konnte der Papst aber nie ohne diese Herrscher agieren, während die römischen Kaiser in keinem vergleichbaren Ausmaß auf Bischöfe angewiesen waren, ja sogar selbst die höchste Verfügungsgewalt über religiöse Fragen innehatten, wie Heather im Buch selbst herausarbeitet.

Auch kleinere inhaltliche Mängel finden sich im Text relativ häufig, vor allem in der zweiten Hälfte des Buches. Das augenfälligste Beispiel ist die Darstellung der Herrschaft Kaiserin Irenes in Byzanz. Heather stellt es so dar, als habe sie ihren Sohn Konstantin VI. bereits vor dem Zweiten Konzil von Nizäa blenden und von der Macht entfernen lassen (240). Tatsächlich fand diese Auseinandersetzung zwischen Mutter und Sohn aber erst 797 statt. Das ist problematisch, weil Heather daraus Schlüsse auf das Verhalten des karolingischen Hofes zwischen 787 und 800 zieht. Man muss aber festhalten, dass die im Buch angegebenen Daten und Fakten meist mit der gängigen Forschungsliteratur übereinstimmen. Leider gibt der Autor aber öfters nicht an, dass Einschätzungen umstritten sind. Beispielsweise folgt Heather in Datierung und Einordnung des Constitutum Constantini, der wohl berühmtesten Fälschung des Mittelalters überhaupt, ausschließlich Johannes Fried [1], dessen Werk aber trotz aller Meriten äußerst umstritten ist. [2] Zu Pseudo-Isidor wird keine Edition zitiert, nicht auf das neueste Editionsunternehmen der MGH hingewiesen und auch auf die Forschungen des verstorbenen Klaus Zechiel-Eckes verzichtet. Die Literaturauswahl ist generell relativ schmal, was aber wohl daran liegt, dass der Autor versucht, etablierten Monographien zu einem Thema weitgehend zu folgen. Daneben fallen auch formale Fehler auf, die dem Autor aber nur bedingt anzulasten sind: Neben öfters fehlenden Verweisen vermisst man besonders eine "Plate 00" (224) zum Schatz von Staffordshire und einen Stammbaum der Hasdingen (xvii). Das Buch verfügt sonst aber über reichhaltige Illustrationen und schöne Abbildungsteile.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass das Buch eine gewagte historische Hypothese aufstellt, die zwar in einigen Teilen durchaus schlüssig ist, aber in ihrem Fazit zu weit greift. Heather zeigt jedoch schön, wie lange die Mechanismen des römischen Imperiums auch im lateinischen Westen nachwirken konnten, wie sehr sie aber auch angepasst werden mussten, um Jahrhunderte nach 476 noch wirksam zu bleiben. Heathers Einschätzungen sind immer pointiert und meist schonungslos. Letztlich handelt es sich um eine unterhaltsame und gewinnbringende Lektüre, die es schafft, die Faszination der Spätantike und des Mittelalters in vielen Facetten zu zeigen. Für Studenten oder interessierten Laien ist das Buch aber dennoch nur eingeschränkt zu empfehlen, weil Teile der Theorie einseitig oder überzeichnet präsentiert werden, was schade ist, da das Buch sonst gerade für diese Zielgruppe besonders geeignet wäre.


Anmerkungen:

[1] Johannes Fried: Donation of Constantine and Constitutum Constantini. The Misinterpretation of a Fiction and its Original Meaning. Millenium-Studien zur Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr., Berlin 2007.

[2] Siehe Caroline Goodson/Janet L. Nelson, Review article: the Roman contexts of the "Donation of Constantine", in: Early Medieval Europe 18 (2010), 446-467.

Clemens Gantner