Rezension über:

Shirley Ann Brown (Hg.): The Bayeux Tapestry. Bayeux, Médiathèque Municipale: MS. 1. A Sourcebook (= Publications of the Journal of Medieval Latin; 9), Turnhout: Brepols 2013, CVI + 318 S., ISBN 978-2-503-54917-0, EUR 85,00
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Rezension von:
Andreas Bihrer
Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Bihrer: Rezension von: Shirley Ann Brown (Hg.): The Bayeux Tapestry. Bayeux, Médiathèque Municipale: MS. 1. A Sourcebook, Turnhout: Brepols 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 10 [15.10.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/10/24435.html


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Shirley Ann Brown (Hg.): The Bayeux Tapestry

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Der Teppich von Bayeux ist nicht nur ein zentrales Zeugnis für die englisch-französische, ja europäische Geschichte des Mittelalters, das in beinahe allen mediävistischen Disziplinen intensiv behandelt wurde, sondern auch Teil der Populärkultur geworden. Über diese Ikone des europäischen Mittelalters kann aber kaum etwas Gesichertes ausgesagt werden - vielleicht höchstens, dass der Teppich von Bayeux eine 68m lange Wollstickerei auf Leinen ist, deren letzter Teil heute verloren ist. Man könnte sogar den Eindruck bekommen, dass die gründliche Erforschung des Teppichs dazu geführt hat, dass keine Einigkeit selbst über die Grundannahmen mehr möglich ist: Vermutlich stammt der Teppich von Bayeux aus dem letzten Viertel des 11. Jahrhunderts, wahrscheinlich wurde er in England gefertigt, und möglicherweise darf Bischof Odo von Bayeux als Auftraggeber gelten - aber auch alle diese basalen Forschungsthesen sind äußerst umstritten.

Shirley Ann Brown, emeritierte Professorin für Kunstgeschichte an der York University in Toronto, hat eine weitere Publikation zum Teppich von Bayeux verfasst, deren Untertitel "A Sourcebook" allerdings missverständlich ist: Brown legt keine Sammlung zeitgenössischer Quellen oder mittelalterlicher Rezeptionszeugnisse vor, sondern stellt die Positionen der modernen Forschung und die Produkte der Populärkultur seit der Wiederentdeckung des Teppichs im frühen 18. Jahrhundert vor. Treffender wäre wohl der Hinweis im Titel gewesen, dass es sich bei diesem Band um eine kommentierte Bibliografie zum Teppich von Bayeux handelt. Eine letzte solche umfassende Forschungsübersicht stellte 2006 Carola Hicks zusammen [1]; Brown ergänzt diese Arbeit durch eine breite bibliografische Erschließung der wissenschaftlichen Forschung und der Zeugnisse der Populärkultur, außerdem führt sie die Rezeptionsgeschichte des Teppichs von Bayeux bis zum Jahr 2013 fort.

Ihrer kommentierten Bibliografie stellt Brown ein umfassendes Vorwort voraus, in welchem sie eine äußere Beschreibung der Stickerei bietet, die Geschichte des Teppichs von Bayeux nachzeichnet und die Kuratoren des Kunstwerks in kurzen Viten vorstellt. Den Kern des Vorworts bildet die souveräne Übersicht über die Forschungen von 1720 bis 2013 zum Teppich von Bayeux, die übersichtlich nach zentralen Themenfeldern gegliedert ist: Neben den klassischen Fragestellungen zu Datierung, Patron, Absichten der Produzenten und des Auftraggebers sowie Wirkungen des Teppichs werden auch neuere Ansätze und populäre Adaptionen vorgestellt. Sehr hilfreich ist außerdem die Zusammenstellung der neuesten Editionen von mittelalterlichen Quellen, deren Inhalt in Bezug zum Teppich von Bayeux steht.

Die Bibliografie umfasst insgesamt 1035 Titel vom frühen 18. Jahrhundert bis zum Jahr 2013. Vollständigkeit konnte nicht angestrebt werden und war auch nicht von Brown intendiert. Neben der wissenschaftlichen Forschungsliteratur, die deutlich dominiert, finden sich populärwissenschaftliche Studien bis hin zu esoterischen Publikationen. Die bibliografischen Nennungen verzeichnen konsequent die exakte bibliografische Angabe, eine knappe Zusammenfassung des Inhalts sowie den Hinweis auf die im Register aufgeführten Schlagworte. Der Publikation sind außerdem Listen von archivalischen Quellen, von Reproduktionen des Teppichs von Bayeux und von populären Weiterentwicklungen beigegeben. Ein Register der Autoren und der Schlagworte zur Bibliografie erschließt den Band.

Shirley Ann Browns Veröffentlichung ist nur mit Einschränkungen als "research and reference tool" (xiii) zu benutzen. Dies liegt zum einen im sehr grobmaschigen Register begründet, in welchem zwar alle Verfasser aufgeführt werden, aber deren Publikationen in zu wenige Schlagworte aufgeschlüsselt sind. Die Registereinträge sind somit nur unscharf umgrenzt, so werden zum Beispiel zum Stichwort "history of BT" allein 183 bibliografische Einträge aufgeführt. Zum anderen hat Brown nur in Ansätzen die Rezeption des Teppichs von Bayeux in elektronischen Medien verzeichnet; auf die Aufnahme von Internet-Ressourcen verzichtet sie sogar ganz. Damit fehlt in der Bibliografie ein entscheidender Teil der jüngeren Forschungsarbeiten und der populären Adaptionen; die aktuelle Phase der Forschungs- und Wirkungsgeschichte des Teppichs von Bayeux wird damit nur ausschnittsweise erfasst. Schließlich ist kritisch anzumerken, dass keine elektronische Datenbank als Ergänzung zu dieser gedruckten Bibliografie geplant ist.

Für die Zeit bis in das späte 20. Jahrhundert bietet Shirley Ann Browns kommentierte Bibliografie aber einen hervorragenden Überblick über die Forschungsgeschichte mit ihren unterschiedlichen Fragestellungen und Methoden seit dem frühen 18. Jahrhundert. Auch die museale Geschichte des Teppichs seit seiner Wiederentdeckung und die Hauptlinien bei der Nutzung dieses Artefakts in der politischen Propaganda der letzten 300 Jahre sind bestens dokumentiert. Außerdem stellt Brown zahlreiche Aneignungen des Teppichs von Bayeux in der Populärkultur vor allem seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor. Ihre kommentierte Bibliografie eignet sich zwar nur eingeschränkt für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Teppich von Bayeux in dessen mittelalterlichem Entstehungskontext, aber sie ist umso nützlicher bei der Erforschung der Geschichte eines der zentralen Zeugnisse der modernen Mittelalter-Rezeption.


Anmerkung:

[1] Carola Hicks: The Bayeux Tapestry. The Life Story of a Masterpiece, London 2006.

Andreas Bihrer