Rezension über:

Jakob von Falke: Hellas und Rom. Eine Culturgeschichte des klassischen Altertums. Mit einer Einführung von Kai Brodersen, Heidelberg: Lambert Schneider 2014, 480 S., 320 s/w-Abb, ISBN 978-3-6504-0097-0, EUR 129,00
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Rezension von:
Justus Cobet
Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Justus Cobet: Rezension von: Jakob von Falke: Hellas und Rom. Eine Culturgeschichte des klassischen Altertums. Mit einer Einführung von Kai Brodersen, Heidelberg: Lambert Schneider 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 2 [15.02.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/02/26061.html


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Jakob von Falke: Hellas und Rom

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"Hin zu dem heiligen Land, der hellenischen Wiege der Freiheit, Zu des Ilissos Gestad [Athen] ladet die Muse dich ein, Folge dem Ruf! - [1] Ja, Leser, folge uns zum Land und Volk der ewigen Schönheit, [...] das [..] bestimmt erscheint [...] die immer wieder in Materialismus versinkende Cultur der Welt immer aufs Neue wieder in das Reich des Ideals emporzuheben" (1). Im Zeitalter der Reproduzierbarkeit durch Digitalisate legen der Althistoriker Kai Brodersen und die Wissenschaftliche Buchgesellschaft die auf 777 nummerierte Exemplare "limitierte Prachtausgabe im Format des Originals [2º]" (Verlagsprospekt) der opulent mit s/w-Abbildungen ausgestatteten griechisch-römischen Kulturgeschichte des Jakob von Falke vor, die von 1878 bis 1880 in 35 Lieferungen erschienen war. Unvergleichlich ist die Anmutung des Originals mit dem leichten Braunton im Satz, der dem Text Leichtigkeit und den Abbildungen Tiefe verleiht. [2] Doch auch der Neudruck vermittelt die wuchtige Präsenz der Bilder. 317 Textillustrationen und 51 "Vollbilder" als Holzstiche nach Vorlagen bekannter Künstler wie Anselm Feuerbach (Iphigenie auf Tauris, vor 175) und Lourens Alma Tadema (ein Poet deklamiert vor gelagerter Aristokratin, vor 261) zeigen "Thongefässe aus Cypern aus Cesnola's Ausgrabungen, vorgeschichtliche Zeit" (13), "Eine römische Bäckerei. Nach den in Pompeji ausgegrabenen Trümmern reconstruirt" (227), "Toilettengefässe nebst Spiegel, Schaber und Fächer" (71), den "farnesischen Hercules als Heros der Athleten. Statue im Museum zu Neapel" (127), den von antiken Fußgängern belebten "Constantins-Bogen in Rom" (189); hinzu kommen Rekonstruktionen von Architektur, Stadt- und Kulturlandschaftsbilder, doppelseitig der als Leistungsbeweis der jungen deutschen Grabungsarchäologie gerade rekonstruierte "Festplatz von Olympia" (vor 129) und "Rom zur Zeit des Kaisers Aurelianus" (vor 221); dramatische Szenen zeigen "Ein Bachusfest Alexanders des Großen" (41), doppelseitig die Christen als "Lebende Fackeln des Nero" (vor 207) und ein "Wagenrennen im Circus maximus" (vor 287); schließlich finden wir Bilder der Vergangenheits- und Vergänglichkeitsromantik wie "Die Ebene von Troja in heutiger Zeit" (10) oder die Schlussvignette zu "Rom" (345), vor der Stadtsilhouette mit Peterskuppel und Engelsburg im Vordergrund Ruinensteine, ein Sarkophag, unter knorrigen Ölbäumen ein Eselsreiter mit Kind. Die Schlussvignette des Buches (346) zeigt Zeus fast als wilhelminischen Krieger, mit Fackel auf grimmigem Adler über dem Globus schwebend, der die Inschrift trägt: "PLUS ULTRA".

Kai Brodersens Einführung ordnet "Hellas und Rom" in die monumentalen Lieferwerke des Verlages Wilhelm Spemann ein wie "Germania. Zwei Jahrtausende deutsche Kulturgeschichte" oder "Die Erde und ihre Völker". Der Autor (1825-1897) war - nach einem Philologiestudium - Kustos am Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg und später Kustos, schließlich Direktor des Museums für Kunst und Industrie in Wien und veröffentlichte Werke wie "Deutsche Trachten- und Modenwelt" (1858) oder "Geschichte des deutschen Kunstgewerbes" (1888). Der Herausgeber erklärt das seit der ersten Hälfte des Jahrhunderts für die hohen Auflagen von Illustrierten Blättern und Bildwerken perfektionierte Holzstichverfahren, das allerdings rasch von der effektiveren Autotypie abgelöst wurde; dafür nennt er Karl August Baumeisters dreibändiges Werk "Denkmäler des klassischen Altertums zur Erläuterung des Lebens der Griechen und Römer in Religion, Kunst und Sitte" von "Abraxas" bis "Zwölfgötter", erschienen 1884 bis 1888 mit rund 2400 Abbildungen. Brodersen zitiert aus einer überschwänglichen Rezension von "Hellas und Rom" Wilhelm Diltheys, der im Abitur 1852 über den Einfluss des griechischen Altertums auf die Jugend geschrieben hatte. Übersetzungen erschienen 1886 in New York und in drei Auflagen in Mailand 1886, 1892 und 1902. In Deutschland waren jedoch Wilhelm Wägners ebenso reich illustrierte zwei Bände "Hellas" von 1859 und drei Bände "Rom" von 1862 bis 1864 sehr viel erfolgreicher; erschienen in Otto Spamers Jugend- und Hausbibliothek waren sie "dazu bestimmt [...], des deutschen Volkes Hochsinnigkeit und Gemeinsinn zu wecken und zu nähren."[3] Dieses Werk wurde immer wieder neu bearbeitet; bis 1923 erschienen 11 bzw. 10 Auflagen; als Nack-Wägner begleitete es von 1955 bis 1976 die Bundesrepublik, Nachdrucke wurden zuletzt 2004 herausgebracht.

Mit dem Auftrag des Verlegers hatte Jakob von Falke "selber ein großes Vergnügen in der erneuerten eindringenden Beschäftigung mit den großen Alten" (12* Zitat aus den Lebenserinnerungen 1897). Er präsentiert seinen Gegenstand in einer hohen und der unverwechselbar selbstbewussten Sprache des 19. Jahrhunderts. Mit erzählerischer Verlebendigung und vielen Zitaten nicht zuletzt aus Friedrich Jacobs Anthologie breitet er auf je knapp 100 Seiten die Antiquaria des häuslichen und öffentlichen Lebens der Griechen und der Römer aus: Jugend, Kleidung, Frauen ("wahre Ideale edler und schöner Weiblichkeit", 73; "Wandel von der höchsten Sittenstrenge zur größten Verwilderung", 251), Haus und Hausrat, Gastlichkeit, Marktleben, Religion. "Wie der Morgen vorschreitet, steigen aus dem Dämmerlicht die öffentlichen Gebäude über die niedrigen, zerstreuten Häusermassen empor, Zeugen des Stolzes und der Herrlichkeit eines selbstbewußten Gemeinsinns", am Brunnen scherzen Sklavinnen in lebhaftem Gespräch (Hellas: 105 f). Im Rom der Kaiserzeit kehrten "trunkene Nachtschwärmer [...] aus den Stätten des Vergnügens, [...] von Sklaven begleitet, schaarenweise nach Hause. [...] Sobald der Tag zu dämmern begann, waren die Clienten die ersten, welche die Straßen belebten" (278 f); später ging es "zum Bade und dann zum Speisen" (282); "aber noch schwerer begreift sich die Lust des Römers an den Thier- und Menschenkämpfen" (287). "Kunst und Literatur" und Philosophie gelten, mit vielen abgebildeten Originalen und wenigen Zitaten, je 45 Seiten.

Vorangestellt sind auf 42 Seiten "Geschichte und Staat" der Griechen und auf 33 Seiten "der Gang der Staatsgeschichte", kulminierend in "Rom, die Stadt und das Reich". Anders als Wägner und seine Fortsetzer interessiert Jakob von Falke irgendein Forschungsstand nicht. Interessant ist aber der Blick auf das umstandslose Narrativ im Fahrwasser von Hegel und Droysen. Die Griechen verloren 338 Freiheit und Schöpferkraft, aber ihre Saat ging auf. Alexander erfüllte den Auftrag der Geschichte. "Die griechische Cultur mischte sich [...] mit asiatischem Geiste, aber das wesentliche Element darin ist das hellenische, die neue Cultur darum eine hellenistische und keine asiatische." Mittels der Römer erfüllte sie ihren "civilisatorischen Weltberuf" (42) - "wie es vom Lenker der Weltgeschichte bestimmt war" (191). Die "frische Volkskraft [der Provinzen] vermählte sich mit griechisch-römischer Cultur" (203). "Die Niederlage des Lollius, die schwerere des Varus, [...] sie zeigten, wo Roms Macht seine Gränze fand" (204). In den Stürmen der Völkerwanderung bildeten "wohlgeschulte Germanen seine Vertheidiger, deutsche Fürsten waren seine Feldherren. [...] Warum sollten die Beschützer nicht seine Herren werden?" (214). Nicht ist allerdings von den Christen als der Zukunft die Rede, sondern von der translatio des Reiches an die "Deutschen". "Und doch, scheint es, kann sich die römische Geschichte nicht an Reiz mit der griechischen messen. [...] Fehlen ihr doch die Geister, welche der Cultur die Wege gewiesen und für die Ewigkeit die Muster geschaffen haben!": "une affinité élective" der Deutschen als Kulturnation. [4] Die Römer beherrscht "der kalte, unbarmherzige Verstand, gepaart mit zäher Ausdauer." (189). Ihnen verdanken die Deutschen das Imperium, den Griechen aber das Heilmittel gegen "die immer wieder in Materialismus versinkende Cultur der Welt" (1).

"Es können Zeiten kommen, [...] wo die Welt in Barbarei zurückzusinken scheint; wenn sie vorüber sind, wird es das classische Alterthum sein, welches die Cultur mit neuem Glanze wieder heraufführt", zitiert Brodersen den Verlagsprospekt von 1878 (6*). Auf der Preußischen Schulkonferenz 1890 forderte Kaiser Wilhelm II. hingegen von den Lehrern, sie sollten "junge Deutsche, und nicht junge Griechen und Römer" erziehen. [5] Wen könnte heute von Falkes Prachtwerk erreichen? Vor uns liegt das Dokument einer uns fremd gewordenen Zeit, in der die Rezeption des "classischen Alterthums" ein spezifisches Medium gesellschaftlicher Selbstverständigung war. Die Differenzierung zwischen Hellas und Rom berührte dabei einen offenbar wunden Punkt.


Anmerkungen:

[1] Anfang der der Vorrede vorangestellten Elegie Friedrich Jacobs auf Griechenland "An Katharina Gräfin von B**** 1803" in: derselbe: Vermischte Schriften 2, Leben und Kunst der Alten 1, Der griechischen Blumen 1.-6. Buch, Gotha 1824.

[2] In Bibliotheken vielfach nachgewiesen, im Antiquariat selten; aus der Bibliothek des Journalisten Gerhard Löwenthal wird ein Exemplar für 220 Euro angeboten.

[3] Adolf Merget: Geschichte der deutschen Jugendlitteratur, 3. Aufl. Berlin 1882 (ND Leipzig 1967), 221.

[4] Anthony Andurand: Le Mythe grec allemand. Histoire d'une affinité elective, Rennes 2013.

[5] Wilfried Nippel (Hg.): Über das Studium der Alten Geschichte, München 1993, 14.

Justus Cobet