Rezension über:

Denis Bruna (ed.): Fashioning the Body. An Intimate History of the Silhouette, New Haven / London: Yale University Press 2015, 271 S., 207 Abb., ISBN 978-0-300-20427-8, GBP 35,00
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Rezension von:
Romana Sammern
Abteilung Kunstgeschichte, Paris-Lodron-Universität, Salzburg
Redaktionelle Betreuung:
Philippe Cordez
Empfohlene Zitierweise:
Romana Sammern: Rezension von: Denis Bruna (ed.): Fashioning the Body. An Intimate History of the Silhouette, New Haven / London: Yale University Press 2015, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 11 [15.11.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/11/27407.html


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Denis Bruna (ed.): Fashioning the Body

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Seit den letzten Jahren rückt Kleidung stärker in den Fokus der Kultur- und Kunstgeschichte und hat sich von einer historischen Hilfswissenschaft zu einem eigenen Gegenstand der Kunstwissenschaft etabliert. [1] Einen bemerkenswerten Beitrag zu diesem Gebiet leistet das Buch "Fashioning the Body: An Intimate History of the Silhouette". Dabei handelt es sich um die englische Übersetzung des Katalogs zur Ausstellung "La mécanique des dessous: une histoire indiscrète de la silhouette", die 2013 am Pariser Musée des Arts Décoratifs zu sehen war. [2] Die Ausstellung wurde von Denis Bruna, Konservator für die Sammlung der Mode und Textilien am Pariser Musée des Arts Décoratifs und Professor an der École du Louvre kuratiert, der auch für den Katalog verantwortlich zeichnet. Die Übersetzung ist eine Initiative des Bard Graduate Centers in New York City, das die Schau vom 3. April bis 26. Juli 2015 zeigte.

Die Ausstellung drehte sich um das Repertoire der Unterbekleidung im europäischen Kulturkreis, das zur Formung der Silhouette des menschlichen Körpers zum Einsatz kam und kommt - Korsetts und Hüftgürtel, versteckte Einnäher und Polster, Kragengerüste und Reifrockgestelle (Paniere). Es geht also nicht um Unterwäsche, sondern vielmehr um jene unter der Oberbekleidung verborgenen Polsterungen und Stützen, die den Körper des Trägers oder der Trägerin zu formen, in einer Pose zu halten bzw. in der Beweglichkeit einzuschränken vermochten. Die Auswahl ist sammlungsbedingt französisch geprägt und erzählt im Zeitraum vom 14. bis zum 21. Jahrhundert eine Art langer Geschichte der körperlichen Silhouette sowohl von Männern als auch von Frauen. Damit ist sie zugleich eine Geschichte der Eliten, bis um 1800 vor allem der Aristokratie und danach der Bourgeoisie, da diese die Mittel besaßen, ihre Körper in kostspieligen Staffagen gewinnend in Form zu bringen sowie bewusst in Szene zu setzen. Entsprechend fordert der Kurator Denis Bruna, das in zahlreichen Modellen überlieferte Repertoire der körperformenden Unterbekleidung als ästhetisierenden Eingriff in den menschlichen Körper zu verstehen. Mit dem biologischen Körper und seiner Positur hat die Silhouette wenig gemeinsam: Mit der Ausstellung beweisen die Objekte, dass der Körper ein kulturelles Konstrukt ist. Um die Fülle der körperformenden Monturen einzugrenzen (medizinische und orthopädische Apparaturen sowie Sportausrüstung), wurde die Auswahl auf jene "mechanischen Kleidungsstücke" (mechanical garments, 20) beschränkt, die den Körper durch künstliche Formung, Dehnung, Schnürung, Pressung oder Hebung dem jeweiligen Schönheitsideal annähern sollten.

Fotografien der französischen Modefotografin Patricia Canino inszenieren die Objekte im Katalog zum Teil spektakulär vor schwarzem Hintergrund im Stil lichtempfindlicher Preziosen. Details von Drahtgewinden, robusten Jutegurten und in Leder gefassten Miederstäben lenken die Aufmerksamkeit suggestiv auf die Materialität der Stücke, ihre Stabilität und gewissenhafte Verarbeitung und lassen auf diese Weise nicht an ihrer Zuverlässigkeit zweifeln, passgenau auf die Form von Hüften und Taillen einzuwirken. Begleitet werden die Fotografien der Ausstellungsexponate von Farb- und Schwarz-Weiß-Abbildungen mit Beispielen aus der europäischen Malerei, Grafik und Fotografie, welche die präsentierten Objekte in möglichen Kontexten ihrer Anwendung zeigen. Wünschenswert wäre gewesen, hier die Bildauswahl stärker in die inhaltliche Argumentation der einzelnen Beiträge einzubinden.

Die 19 Katalogbeiträge sind in vier Epochen gegliedert. Dabei wechseln sich Überblicksdarstellungen mit Essays zu einzelnen Objektgruppen ab. Aufsätze etablierter Experten ergänzen die Texte von Studierenden der École du Louvre. Jeden Abschnitt zu einer Epoche leitet ein Überblick über die Entwicklung der Kleidung in ihrem sozialen und kulturellen Kontext ein. Eingehend widmen sich die Texte darauf einzelnen Objektgruppen wie Miedern und Panieren, wobei auf die Ausgewogenheit der Beiträge zu Kleidungsstücken für Frauen und Männer geachtet wurde. Wenn auch die Abschnitte über die Reifrockgestelle und Mieder der Moderne zuweilen etwas repetitiv sind, richten die Beiträge des Katalogs das Augenmerk immer wieder auf das Verhältnis der Unterkleidung zum Körper, deren körperbildende Funktion und vor allem auf ihre Auswirkungen auf den Bewegungsspielraum: Kleidung, so lässt sich daraus schließen, hat neben ihrer formbildenden Aufgabe eine umfassende ästhetische Funktion, die nicht nur in Farbe und Form, sondern auch in der Bewegung aufzugehen hatte. Die ausladenden Kragengestelle des späten 16. und 17. Jahrhunderts erforderten beispielsweise, den Hals steif zu halten und auch die engen Justaucorps der 1680er-Jahre am Hof von Ludwig XIV. betonten in Schnitt und Polsterung den Rücken und besonders das Gesäß und erforderten eine ganz gerade Haltung; das schwere und weit ausladende Rockgestell der Krinoline erlaubte es zwischen 1845 und 1870 nur mit Schwierigkeiten, sich hinzusetzen oder durch Türöffnungen zu gelangen. Eindrücklich stellen die gezeigten Objekte damit ihre disziplinierende Funktion vor Augen, die von den Trägerinnen und Trägern verlangte, rigide Körperhaltungen einzunehmen und Bewegungen nur vorsichtig und gemessen auszuführen.

Damit leistet der Katalog einen wichtigen Beitrag zur Geschichte mechanischer Einwirkung auf den Körper als kulturelles Gebilde, der gerade durch den begrüßenswert langen Zeitraum vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart erhellend und als Überblicksdarstellung wertvoll ist. Die Grundlagen der weiblichen Silhouette wurden zum Beispiel mithilfe von Mieder und Korsett bereits im Spätmittelalter gelegt, indem sie das Geschlecht überformten und auf diese Weise verbargen, während umgekehrt Wams und Schamkapsel bis ins 16. Jahrhundert die männliche Virilität betonten. Die Apparaturen der Einschränkung und Einschnürung des Körpers zum Zweck seiner Verschönerung reichten weit und waren äußerst ausgefeilt, wie vor allem in der langen Dauer von Miedern und Korsetts vom Fischbeinkorsett des 15. bis zur Shapeware des 21. Jahrhunderts deutlich wird. Mehr oder weniger rigide Korsetts sorgten nicht nur für eine artifiziell gebildete Taille und eine betont aufrechte Haltung von Frauen und Männern. Die Korsetts selbst konnten bis ins Detail anspruchsvolle Artefakte sein, wie die erstaunlichen Schnitzreliefs mit Inschriften auf Fischbeinstäben aus dem späten 17. Jahrhundert des Musée des Arts Décoratifs eindrücklich belegen.

Die bekannte Darstellung von sozialem und ökonomischem Status sowie von Geschlecht und Standeszugehörigkeit durch die Kleidung wird durch "Fashioning the Body" auf diese Weise um die Dimension der Bewegung erweitert: Die ideale Silhouette erforderte nicht nur die richtige Kleidung, sondern auch langjährige Übung in angemessenen Bewegungen. Und doch widmet sich das Buch nicht einer Sozialgeschichte der Kleiderordnungen oder etwa ihrer medizinischen Folgewirkungen. Vielmehr situiert es die Kleidungsstücke im Sinn einer historischen Anthropologie in der Geschichte des Körpers, die diesen über seinen bildhaften Status hinaus als lebendiges, sich bewegendes Wesen bzw. in seiner selbstauferlegten Unbeweglichkeit ernst nimmt.


Anmerkungen:

[1] Richtungsweisend Anne Hollander: Seeing Through Clothes, New York 1978 sowie Anne Hollander: Sex and Suits, New York 1994. Stellvertretend für die Erforschung der Kleidung in der visuellen Kultur, siehe mit weiterführender Literatur die von Tristan Weddigen herausgegebene Reihe Textile Studies im Verlag Imorde, von der bis 2015 sieben Bände erschienen sind.

[2] Denis Bruna (éd.): La mécanique des dessous: une histoire indiscrète de la silhouette, Ausstellung Paris, Musée des Arts Décoratifs 5. Juli bis 24. November 2013, Paris 2013.

Romana Sammern