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Mohammad Gharaibeh / Abdelkader Al Ghouz: Islamische Welten: Nationalsozialismus, Faschismus und die muslimische Welt. Einführung, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 12 [15.12.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
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Islamische Welten: Nationalsozialismus, Faschismus und die muslimische Welt

Einführung

Von Mohammad Gharaibeh / Abdelkader Al Ghouz

Das FORUM "Nationalsozialismus, Faschismus und die muslimische Welt" greift ein Thema auf, das angesichts des andauernden Nahostkonflikts und des Aufkommens des internationalen islamistischen Terrorismus' von großem Interesse ist: die problematischen Beziehungen zwischen einigen islamisch geprägten Ländern auf der einen Seite und dem Nationalsozialismus und Faschismus auf der anderen. Erst kürzlich (am 20. und 21. Oktober 2015) sagte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, der palästinensische Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, habe Adolf Hitler zur Ermordung der Juden in Europa angestiftet. Damit griff er einen beliebten Topos auf, der die Geschichte in gefährlichem Maße instrumentalisiert. Darüber hinaus kann man immer wieder hören, dass antisemitische Einstellungen im arabischen Kulturraum weit verbreitet und letzten Endes im islamischen Glauben begründet seien. Diese Haltung bezeichnet vor allem die Wortneuschöpfung "Islamofaschismus" (Sajid über Wild). Eine solche Assoziationskette versperrt allerdings manchmal den Weg für eine objektive Beschäftigung mit den historischen Verbindungen zwischen Ländern wie dem NS-Regime und dem faschistischen Italien und dem Vorderen Orient. Die Autoren der rezensierten Studien legen den Grundstein für die Untersuchung dieser komplexen Verflechtungen und weisen auf die Gefahr des Missbrauchs historisch klingender Argumente hin.

Der arabische Kulturraum, die Türkei sowie der Balkan waren für die europäischen Achsenmächte seit den 1930er Jahren strategisch wichtig. Dementsprechend beabsichtigte vor allem Deutschland, über eine arabische NS-Propaganda diese Regionen für sich zu mobilisieren. Man suchte nach ideologischen Anknüpfungspunkten, um Elitegruppen in den Zielländern für sich zu gewinnen. Erfolgversprechend schien, zu diesem Zweck auf den weit verbreiteten Antibolschewismus und Antisemitismus zurückzugreifen (Spaan über Motadel und Conermann über Pekesen). Mit dem palästinensischen Mufti Hajj Amin al-Husseini stand für die Deutschen zudem ein Verbündeter zur Verfügung, welcher bereitwillig die NS-Propaganda auch mit theologischen Argumenten untermauerte. Jedoch - und das zeigen beinahe alle besprochenen Arbeiten - trafen die Aufrufe und Äußerungen des Muftis im Besonderen und die arabische NS-Propaganda im Allgemeinen auf nur wenig Resonanz im arabischen Raum und in der Türkei (Wild über Freitag/Gershoni und Wien über Gershoni/Nordbruch). Ein Grund für ihr Scheitern war unter anderem die Fehleinschätzung, den arabischen Kulturraum als homogene Einheit zu betrachten (Spaan über Motadel).

Leider finden sich in den zur Diskussion stehenden Werken bisweilen recht unangenehme Pauschalisierungen sowie das Fehlen notwendiger Differenzierungen zwischen einer antisemitischen und einer antizionistischen Haltung auf arabischer Seite. (Tirtan über Herf und Schnellenberg über Achcar). Gerade bei der Untersuchung der Erinnerungskultur und dem Umgang mit dem Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit muss diese Unterscheidung jedoch sauber getroffen werden. Bei der Analyse von Pressestimmen und öffentlichen Meinungsbildern (Gharaibeh über Höpp/Wien/Wildnagel) sowie der Rezeption europäischer Intellektueller im arabischen Raum (Schirrmacher über Kamil) führt dies auf jeden Fall zu wertvollen Erkenntnissen.

Neben Deutschland war, wie gesagt, auch Italien daran interessiert, seinen Einfluss im Nahen Osten zu vergrößern. Ob nun aus taktischen Gründen, wegen ideologischer und expansionistischer Programmatik oder auf Grund traditioneller außenpolitischer und kolonialer Erwägungen - die pro-islamischen und expansionistischen italienischen Bemühungen waren nach dem Osterabkommens von 1938 relativ schnell vorüber (Spiegel über Arielli).

Die Forschung über die komplexen Interaktionen zwischen dem Nationalsozialismus und Faschismus einerseits und dem arabischen Kulturraum und der Türkei anderseits hat bereits - das FORUM zeigt es - zu einer Reihe erstklassiger Veröffentlichungen geführt. Mit Spannung darf man auf kommende Publikationen warten, welche auf den rezensierten Studien aufbauen.

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