Rezension über:

Christina Brauner: Kompanien, Könige und caboceers. Interkulturelle Diplomatie an Gold- und Sklavenküste im 17. und 18. Jahrhundert (= EXTERNA. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven; Bd. 8), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, 670 S., ISBN 978-3-412-22514-8, EUR 89,90
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Rezension von:
Christof Jeggle
Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Christof Jeggle: Rezension von: Christina Brauner: Kompanien, Könige und caboceers. Interkulturelle Diplomatie an Gold- und Sklavenküste im 17. und 18. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 5 [15.05.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/05/27619.html


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Christina Brauner: Kompanien, Könige und caboceers

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Die Geschichte der Diplomatie gehört zu den klassischen Feldern der Geschichtswissenschaft. Während diplomatische Beziehungen europäischer Mächte nach wie vor im Mittelpunkt stehen, finden im Rahmen globalhistorischer Perspektiven transkulturelle Beziehungen mit außereuropäischen Kulturen zunehmendes Interesse. Eine gewichtige Studie dazu hat Christina Brauner mit ihrer 2014 in Münster angenommenen Dissertation über die interkulturelle Diplomatie an der westafrikanischen Gold- und Sklavenküste im 17. und 18. Jahrhundert vorgelegt. Die Arbeit entstand im Rahmen des SFB 496 'Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution' und wird von der Autorin in der Neuen Diplomatiegeschichte verortet.

Ausgangspunkte sind die Fragen nach dem Funktionieren von Diplomatie im interkulturellen Kontext und der Rolle von Handelsgesellschaften als diplomatischen Akteuren, womit verschiedene Forschungstraditionen verbunden werden. Kulturelle Praktiken und Kulturtransfer sollen im Rahmen einer Kulturgeschichte des Politischen untersucht und dazu diskursanalytische und praxeologische Ansätze mit dem Ziel einer Wahrnehmungs- und Interaktionsgeschichte verbunden werden. Dementsprechend lehnt Brauner holistische Kulturkonzepte ab, sondern sieht kulturelle Grenzen dort, wo Fremdheitserfahrungen gemacht oder konstruiert werden können. Inter- und Transkulturalität werden als Perspektiven zur situationsbezogenen Untersuchung der Begegnungen an diesen Grenzen und deren Überschreitung durch Prozesse des Transfers von Praktiken verstanden. Hinsichtlich der Darstellung wird keine systematisch-erschöpfende Sachanalyse angestrebt, sondern eine methodisch-konzeptionelle Ausrichtung verfolgt.

Ein gerade für diesen Ansatz grundlegendes methodisches Problem besteht im weitgehenden Fehlen schriftlicher Überlieferung von afrikanischer Seite. Genuin afrikanische Perspektiven können daher kaum eingenommen werden. Seitens der Europäer liegt umfangreiches Material in zahlreichen Sprachen vor. Die Studie basiert auf Reiseberichten, ausgewählten Kompilationen und Pamphleten, der archivalischen Überlieferung von in Westafrika aktiven Handelskompanien aus den Niederlanden, England und Frankreich sowie den diplomatischen Akten der Regierungen. Weitere Kompanien wie die Brandenburgische und die Dänische werden auf Grundlage von Editionen einbezogen. Wesentliche Textstellen sind im Original in den Anmerkungen wiedergegeben, sodass die Interpretationen nachvollzogen werden können.

Die methodischen, materiellen und historischen Grundlagen der Arbeit werden in der umfangreichen Einleitung in kritischen Diskussionen ebenso dargestellt wie die verschiedenen Positionen zur Geschichte Westafrikas in der atlantischen Welt. Dabei wird deutlich, dass sich derzeit viele Fragen, wie die Auswirkungen des Sklavenhandels auf die afrikanischen Gesellschaften, nur näherungsweise klären lassen und räumliche wie zeitliche Differenzierungen notwendig sind. Darüber hinaus wird in die Geschichte der verschiedenen europäischen Handelsgesellschaften als Akteure in den Außenbeziehungen eingeführt.

Die Untersuchung selbst ist in vier Hauptteile gegliedert, um einen multiperspektivischen Blick auf die diplomatische Praxis zu ermöglichen. Der erste Hauptteil befasst sich ausgehend vom Problem der transkulturellen Wahrnehmung politischer Ordnungen mit der Analyse der historischen Semantik. Die Europäer versuchten, die politischen Ordnungen der Afrikaner mit ihren Kategorien wie Königtum oder Republik zu verstehen, wobei diese Wahrnehmungen von innereuropäischen Konflikten überlagert wurden. Der zweite Hauptteil widmet sich den symbolischen Interaktionen am Beispiel der Audienzen, bei denen für beide Seiten trotz möglicherweise abweichender Interpretationen, beispielsweise hinsichtlich Status und Hierarchie, akzeptable Interaktionsformen gefunden und das sprachliche Problem der Verständigung gelöst werden mussten. In einer langfristigen Perspektive wird deutlich, dass die ursprünglich ständische Wahrnehmung von einer rassistischen überlagert und der zeremonielle Blick durch einen ethnografischen abgelöst wird. Im dritten Hauptteil wird die symbolische Kommunikation mit Forschungen zur materiellen Kultur, es werden einige erhaltene Objekte einbezogen, anhand von Geschenkverkehr und Gabentausch verbunden. Neben den ausdifferenzierten Ökonomien des Schenkens konnten Gaben auch als Tribut verstanden werden. Der vierte Teil setzt sich mit Fragen normativer Ordnungen auseinander. Brauner betrachtet das Recht als spezifische normative Ordnung neben anderen und das Völkerrecht als politische Praxis. In den spezifischen Konstellationen an den afrikanischen Küsten entstand demnach ein geteiltes Ensemble von Rechtspraktiken, wobei Brauner die These Heinz Duchhardts einer Dichotomie von ritualbasiertem afrikanischem und schriftbasiertem europäischem Recht kritisiert. Vielmehr lassen sich transkulturelle Prozesse der Aneignung von Rechtspraktiken und Schriftgebrauch beobachten. Brauner betont wiederholt, dass die Europäer den Afrikanern nicht überlegen waren, sondern sich mit ihnen verständigen mussten, um ihre Interessen zu verfolgen. Neben der Diplomatie mit den Afrikanern mussten sich die Europäer verschiedener Länder auch untereinander diplomatisch verständigen und die Interessenlagen und diplomatischen Strategien fielen häufig dementsprechend vielschichtig aus.

Insgesamt handelt es sich um eine bemerkenswert konsistente, gut gegliederte Arbeit, die entsprechend der methodisch-konzeptionellen Ausrichtung nicht klassisch den Verlauf der diplomatischen Beziehungen darstellt, sondern analytisch auf Praktiken und Diskurse als Muster bzw. Handlungsrepertoires interkultureller Diplomatie in Westafrika gerichtet ist und deren Grundformen systematisch herausarbeitet. Vertreter europäischer Handelsgesellschaften werden ausschließlich als diplomatisch tätige Akteure dargestellt, deren geschäftliche Praktiken kaum Eingang in die Studie finden. Unter dem Gesichtspunkt der thematischen Konzentration einer ohnehin umfangreichen Dissertation ist diese Fokussierung nachvollziehbar. Studien, die die diplomatischen Praktiken im Kontext der Handelspraktiken untersuchen, müssen zeigen, wie weit die Interpretationen der jeweils in relativ engen Kontexten angelegten Fallstudien tragen. Trotz ihres Umfangs handelt es sich um eine thematisch relativ spezialisierte Studie, die zeigt, dass die für den europäischen Kontext entwickelten Methoden gewinnbringend für die Untersuchung der Diplomatie mit außereuropäischen Kulturen verwendet werden können. Durch ihre abwägende Diskussion der überlieferten Materialien bietet die Arbeit dazu eine grundlegende Einführung, die Möglichkeiten und materialbedingte Grenzen des Ansatzes sichtbar werden lässt. Christina Brauner hat ein beeindruckendes Werk vorgelegt und wer sich in methodisch-konzeptioneller Hinsicht mit der Geschichte der Diplomatie beschäftigt, wird ihre Arbeit ebenso mit Gewinn lesen wie diejenigen, die sich für die Praktiken europäischer Diplomatie in Westafrika interessieren.

Christof Jeggle