KOMMENTAR ZU

Martin Mann: Rezension von: Gunda Hinrichs: Der Blick ins Innere. Ikonologische Wege zu einer psychoanalytischen Kulturtheorie. Kulturanthropologische Grundlagen einer Theorie des Symbols, Würzburg: Königshausen & Neumann 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 6 [15.06.2016], URL: http://www.sehepunkte.de/2016/06/28030.html


Von Maren Wienberg

Der Rezensent hat sich redlich bemüht, dafür sei ihm gedankt, aber er hat die Leistung der Autorin leider nur oberflächlich gewürdigt. Den Kern der Arbeit, der in einer Erweiterung psychoanalytischer Kulturtheorie um den Ansatz von Melanie Klein liegt, hat er vollkommen ausgeblendet. Die vorgestellte Symboltheorie bedient sich zwar durchaus der psychoanalytischen Methode Freudscher Provenienz, sie konzentriert sich dabei jedoch auf das Konzept von Projektion und Spaltung nach Melanie Klein.

Psychoanalytische Theorie vermag Aussagen über die Persönlichkeitsstruktur von Individuen zu treffen, als Kulturtheorie aber leistet sie bis jetzt keinen brauchbaren Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte. Diesen Mangel will Gunda Hinrichs beheben, indem sie sich als Kulturwissenschaftlerin von Melanie Klein inspirieren lässt, die über Freud hinaus die Vorsprachlichkeit in besonderer Weise erforscht hat. Nur deshalb war ein Analogieschluss als Hilfskonstruktion zu bemühen, denn er stellt eine parallelisierende Gleichsetzung von a) individuellen Abwehrmechanismen in der frühkindlichen Mutter-Kind-Beziehung und b) kollektiver Symbolproduktion in der unbewussten Auseinandersetzung mit dem Ursprung der Gattung her, ausgeführt in Kapitel 9: Die Erde als Repräsentanz des primären Objekts. Diese Argumentation wird in kleinteiliger Abfolge von logisch aufeinanderfolgenden Theoriebausteinen dezidiert hergeleitet, es gibt also sehr wohl eine lineare Entwicklung stringenter Argumentationslinien.

Der ikonologische Pfad, der einen inhaltlichen Abriss in Form einer Ouvertüre skizziert und den der Rezensent ausführlich kritisiert hat, dient dabei lediglich der Hinführung zum Thema, und so lautet ja auch der erste der beiden Untertitel: Ikonologische Wege zu einer psychoanalytischen Kulturtheorie. Der "Knabe mit Apfel" von Raffael fungiert dabei in der Tat als Stichwortgeber, quasi als virtueller Mentor, doch er hat seine Aufgabe bereits auf Seite 83 erfüllt, worauf die Autorin auch deutlich hinweist.

Das an wenigen Stellen als wohlkalkuliertes Stilmittel in augenfällig voller Absicht umgangssprachlich gehaltene Vokabular darf nicht in toto als "nachlässig" und seinem Gegenstand gegenüber als eindeutig respektlos disqualifiziert werden, das ist unfair und entspricht in keiner Weise dem stilistischen Niveau der Arbeit, die sich in weiten Teilen durch besondere Schönheit der Sprache auszeichnet.

Alles in allem versteift sich der Rezensent auf den kunsthistorischen Aspekt, der schon im Klappentext als lediglich eine von mehreren Komponenten des interdisziplinären Ansatzes genannt wird. Die kulturanthropologischen und religionsphilosophischen Aspekte und schließlich den ethischen Aspekt, der als Quintessenz des Buches die drängende Frage der ökologischen Schuld thematisiert, erwähnt er mit keinem Wort. Insofern hat er sich seiner Aufgabe vorzeitig entledigt.


Anmerkung der Redaktion:
Martin Mann hat auf eine Replik verzichtet.