Rezension über:

Horst Möller: Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell, München / Zürich: Piper Verlag 2015, 829 S., 61 Abb., ISBN 978-3-492-05640-3, EUR 39,99
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Rezension von:
Philipp Gassert
Mannheim
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Philipp Gassert: Rezension von: Horst Möller: Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell, München / Zürich: Piper Verlag 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 10 [15.10.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/10/27410.html


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Horst Möller: Franz Josef Strauß

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Als "blitzgescheit, aber sehr emotional" charakterisierte Theodor Heuss 1957 den "Soldaten-Minister" Franz Josef Strauß und gab dessen junger Frau Marianne den "staatspolitischen Auftrag" mit in die Ehe, diesen zu domestizieren (294). Der sei indes kaum domestizierbar gewesen, wie der Autor das Bonmot des ersten Bundespräsidenten kommentiert. Obwohl die Janusköpfigkeit des barocken Bayern zeitgenössische wie seither historische Beobachter fasziniert, bleibt in der minutiös aus den Quellen recherchierten, von Fakten und Zitaten geradezu überbordendenden Strauß-Biographie des früheren IfZ-Direktors Horst Möller die emotionale Seite von "FJS" seltsam blass. Es dominiert der "blitzgescheite", analytische, rationale Strauß, dem der langjährige bayerische Kultusminister Hans Maier den "anderen Strauß" gegenüber stellte, bei dem urplötzlich Emotionen und Wutausbrüche "seine Intelligenz überschwemmten, seine Gelassenheit zerstörten". Möller will Strauß das etwas aus der Mode gekommene Prädikat der historischen Größe zuerkennen. Doch unterschätzt er, dass es Strauß nicht an Intelligenz und politischer Leidenschaft für die Demokratie fehlte, sondern, so Maiers Quintessenz, "das Maß, die Selbstbeherrschung." [1]

Strauß' immer wieder öffentlich ausgelebte Unbeherrschtheit ist der Nährboden, auf dem oft unhaltbare Zerrbilder des Bayern wucherten. Er bot interessierten Medien wie Intellektuellen ein ideales Feindbild. Viele pflegen negative Strauß-Mythen auch Jahrzehnte nach dessen Tod liebevoll weiter. Dass Möller als Biograph hier konsequent gegensteuert, ist legitim. Es hätte wahrlich keiner weiteren "Stoppt Strauß"-Kampfschrift mehr bedurft. Möller stellt dem skandalumwitterten, angeblich korrupten, machtgierigen, erzkonservativen, sogar neofaschistischer Tendenzen verdächtigten, beständig nach dem atomaren "Drücker" strebenden Politiker, den in der Wolle gefärbten Demokraten und gemäßigt konservativen Modernisierer entgegen. Dabei überstrapaziert Möller jedoch die Biographen-Rolle, die Weltsicht seines Protagonisten nachvollziehbar und verständlich zu machen. Er unterschätzt, wie sehr das am handfesten öffentlichen Streit orientierte Politikmodell von Strauß, der eben "rationale Argumente temperamentvoll" vortrug (189) und dessen polemischer Stil in angelsächsischen Demokratien wohl kaum groß aufgefallen wäre, in der konsensorientierten politischen Kultur der frühen BRD jedoch zur Selbstausgrenzung führte, jedenfalls außerhalb Bayerns. Dass Strauß zum "Buhmann für alles wurde" (182), hatte klar mit seiner Persönlichkeit zu tun, bei aller von Möller betonten und vielfach in langen Zitaten belegten Fähigkeit zur sachlich-rationalen Argumentation (204).

Wie sein Protagonist richtet sich Möller von Anfang in der Defensive ein und kommt aus dieser nicht mehr heraus. Er spricht fast wie ein Strafverteidiger: Das zeigt sich insbesondere an der SPIEGEL-Affäre, die er meisterhaft seziert. Als seriöser Historiker schlüsselt Möller zunächst den breiteren Kontext auf. Es wissen nur noch Eingeweihte, dass der SPIEGEL in seiner vehementen, auf gezielten Indiskretionen beruhenden Kritik an Strauß die verteidigungspolitische Traditionsseite stützte. Die von früheren NS-Journalisten durchsetzte Hamburger Redaktion machte gemeinsame Sache mit ehemaligen Wehrmachtsgenerälen im Verteidigungsministerium. Diese torpedierten Strauß' Modernisierungskurs ja nicht allein aus militärstrategischen Überlegungen, sondern weil sie, wie SPIEGEL-Herausgeber Augstein, neutral-nationalistische, anti-westliche Positionen vertraten. Strauß wollte die offiziell geltende NATO-Verteidigungskonzeption durchsetzen, die auf atomarer Abschreckung und einer modernen Luftwaffe beruhte - auch wenn sich die Führungsmacht USA unter Kennedy gerade im Zeichen der "flexible response" von dieser abzusetzen begann. Zudem arbeitet Möller heraus, dass die SPIEGEL-Affäre in die zweite Berlin- und Kuba-Krise im Oktober 1962 platzte. In diesem Moment höchster Anspannung wusste die Bunderegierung nicht genau, was die amerikanische Seite plante. Da Strauß begründeten Anlass zu der Vermutung hatte, dass dem SPIEGEL sensible militärische Geheimnisse zugespielt worden waren, wird seine Überreaktion verständlich. Am Ende lief es auf eine Kompetenzüberschreitung zuungunsten des FDP-Justizministers Wolfgang Stammberger hinaus und fehlende Aufrichtigkeit gegenüber dem Bundestag. Doch darin stand er in der bundesdeutschen Geschichte beileibe nicht allein. Materiell rechtlich bewegte sich Strauß weitgehend im Rahmen. [2]

Der Knackpunkt liegt daher weniger in Strauß' ursprünglichem Agieren, als in der politischen und publizistischen "Nachbereitung" und dessen manifestem Unwillen zur Selbstkritik. Mit Strauß als Bauernopfer rettete Adenauer ein letztes Mal seiner Kanzlerschaft (279). Aber Strauß bot, das unterbelichtet Möller, eben eine ideale Projektionsfläche für sinistre Verschwörungstheorien. Er machte sich verdächtig und ihm ging der Teflon-Effekt ab, der Kritik an Adenauer oder Brandt abperlen ließ. Möller findet dies im Vergleich zu Brandt hochgradig ungerecht, weil Journalisten diesem Affären und Schwächen scheinbar mühelos verziehen (302). Doch Strauß eignete sich nicht zur Integrationsfigur und er förderte diese Wahrnehmung nach Kräften. Wie ein Zwischenkapitel zum "Prozesshansel" Strauß demonstriert, war dieser permanent in Rechtsstreitigkeiten verwickelt. Er zahlte sogar einer Münchener Kanzlei ein monatliches Salär, um Falschaussagen seiner Gegner routinemäßig gerichtlich anzufechten. Allein im Jahr 1987 führte Strauß elf Beleidigungsprozesse (304). Handelt so ein "rationaler Politiker"? Möller zeigt zwar auf Basis auch von Gerichtsakten, wie substanzlos viele Angriffe waren, und scherzt, dass "Strauß' Prozesse" eine eigene Monographie füllen könnten. Nur: Prozesse öffentlicher Personen sind Teil des politischen Kampfes. Strauß gestand sich das nicht ein. Er blieb sturer Rechthaber. Dies hat ihm politisch eindeutig geschadet. Andere taktierten hier klüger. Zweifellos ist es skandalös, wie Strauß von dem nicht weniger prozessierfreudigen Augstein und anderen mit oft äußerst dünnen, aber meist gerichtsfest bewusst vage in Zitate gekleideten Unterstellungen und recht dubiosen Methoden (unter Einschaltung von Privatdetektiven, 308) im wahrsten Sinne des Wortes verfolgt wurde. Augstein scheint sich teils nicht einmal an die gerichtlichen Verfügungen gehalten zu haben und kam damit immer wieder durch. Möller bohrt hier kräftig in der Wunde. Bei Strauß habe sich das Gefühl verstärkt, "umstellt zu sein" (313). Doch der verständlicherweise empörte Strauß hatte nicht die Größe, darüber hinweg zu gehen, sondern prozessierte. Das hat ihn für höhere Weihen vermutlich mehr disqualifiziert als tatsächliche Verfehlungen.

Die überwiegend chronologisch aufgebaute Darstellung wird durch mehrere systematische Einschübe unterbrochen. Die Grobstruktur entspricht den Stationen von Strauß' politischer Biographie, von Herkunft, Jugend und Wehrdienst, über die ersten politischen Gehversuche nach dem Krieg, dann die Zeit als Bundesverteidigungsminister, CSU-Landesgruppenchef und Parteivorsitzender, Finanzminister der Großen Koalition, Oppositionspolitiker während des Streits um die Ostverträge bis zum Ministerpräsidenten. Das finale Großkapitel zur Ministerpräsidentschaft schließt in der Überschrift bezeichnenderweise den Deutschland- und "Weltpolitiker" Strauß mit ein, der er wohl gerne geworden wäre, hätte es ihm nicht Landsmannschaft und Temperament verwehrt. Dazwischen streut Möller resümierende Essays nicht nur zu "Skandalen und Skandalisierungen", zum "Familienleben im Dienst" und Geldgeschäften ("Falsche und Echte Freunde", wo Möller erneut kräftig am Negativmythos kratzt), dem erwähnten Kapitel "Strauß im Streit", dem zu Aussöhnungen fähigen Strauß ("Friedensschluss"), zum weltanschaulichen Standort ("ein Konservativer?") sowie zum "Redner und Volkstribun". Das Ministerpräsidenten-Kapitel ist nach Sachthemen gegliedert (Bundesrat, Infrastruktur, Umweltschutz und Kernenergie, Einsatz für die Flugzeugindustrie, Innerparteiliches; die Kulturpolitik fehlt).

Der Advocatus Diaboli Möller äußerst sich auch kritisch zu Strauß und kommentiert etwas fassungslos, wie Strauß nach Kreuth 1976 in seiner "Wienerwald"-Rede völlig "aus der Rolle" fiel (520). Doch wen überrascht dieser Zwischenfall vor dem Hintergrund des von Heuss und Maier gezeichneten Charakterbildes? Möller hätte das Erklärungsdefizit mit einem kulturgeschichtlichen Kniff überbrücken können, wenn er der inneren, der Perspektive des Protagonisten verpflichteten Biographie, die äußere Biographie der öffentlichen Perzeption der Person an die Seite gestellt hätte. Über Strecken wirkt der exzellent, übrigens deutlich stärker als Peter Siebenmorgens Konkurrenz-Projekt aus den Papieren der Familie Strauß recherchierte Band eher wie ein Handbuch als eine Monographie. Möller legt ein detailreiches Referenzwerk über Strauß vor (weshalb neben dem Personen ein Sach- und Ortsregister hilfreich gewesen wäre), das jedoch wenige übergreifende interpretatorische Linien entwickelt und am Ende ohne Gesamtwürdigung auskommt. Diese Aufgabe wird Nachrufern überlassen, die inklusive Augstein aus Anlass des Todes monoton "Strauß' Größe" würdigten. Es fehlt, trotz der ausdauernden Bezüge auf außenpolitische Themen ein systematischer Überblick über Strauß' europapolitische und weltpolitische Visionen. Dies wird im Kapitel über den Ministerpräsidenten unter Wert verkauft.

Dennoch: Trotz dieser Kritikpunkte stellt Möllers Strauß ein beachtliches, vor allem faktengesättigtes Werk über einen der wichtigsten Politiker der alten Bundesrepublik dar. Möller macht das "Mannsbild Strauß" weniger stark als der in der Diktion flotter daher kommende Siebenmorgen. Aber besser als alles, was bisher über Strauß geschrieben wurde, klärt Möller aufgrund seiner Quellenkenntnis wichtige Details auf. Es steht zu hoffen, dass künftige, auch journalistische Stimmen zu Strauß sich zunächst bei Möller kundig machen, bevor sie alte Stereotype wieder aufwärmen.


Anmerkungen:

[1] Hans Maier: Böse Jahre, gute Jahre. Ein Leben 1931ff., München 2011, 252.

[2] Auch die gleichzeitig publizierte Arbeit von Peter Siebenmorgen: Franz Josef Strauß. Ein Leben im Übermaß, München 2015, 248f. reduziert den sachlichen Gehalt der SPIEGEL-Affäre deutlich.

Philipp Gassert