sehepunkte 17 (2017), Nr. 1

Helmut Feld: Jeanne d'Arc

Die Erwartung war groß, endlich wieder einmal eine wissenschaftlich fundierte Biografie aus kirchlich orientierter Feder zu erhalten, nachdem in den letzten Jahrzehnten die Arbeiten skeptischer Provenienz (von Heinz Thomas bis Colette Beaune) vorgeherrscht haben. Ein Buch also, das die alte Tradition eines Guido Görres wieder aufnehmen werde, zu zeigen, wie die "Hand Gottes" in der Geschichte wirken kann. Die Publikation in der Reihe "Christentum und Dissidenz" sprach für eine solche Annahme. Denn eine der Hauptfragen in der Geschichte der Jungfrau von Orleans ist das Verhältnis der Institution Kirche zum gläubigen Individuum, wenn dieses sich dem Anspruch der Kirche, der exklusive Vermittler mit Gott zu sein, nicht mehr beugt.

Der Verfasser betont zu Beginn, er habe seine Darstellung "im engen Anschluss an die Quellen" geschrieben (XI). Das ist für eine wissenschaftliche Arbeit in der Tat unerlässlich, hat ihn aber offensichtlich zu dem Fehlschluss verführt, er könne sich einer Einbettung seiner eigenen Reflexion in die historische Forschung zum Thema entziehen.

Das aber ist in keiner Weise zu rechtfertigen. Jede Arbeit baut auf vielen anderen auf und gerade im Falle Jeanne d'Arcs stehen wir vor nahezu 500 Jahren ernsthafter historischer Forschung. Diese weitestgehend zu ignorieren bzw. nicht einmal kundzutun, wie man sich in derselben Forschungslandschaft positioniert, mag vielleicht gerade noch für eine populäre Darstellung angehen, nicht aber für ein wissenschaftliches Buch, das im Übrigen vor Fußnoten strotzt. Man erkennt also nicht, wie der Verfasser zu den Ergebnissen etwa von Colette Beaune oder Philippe Contamine steht. Die neuere französische und internationale Forschung - u.a. die vielen Publikationen anlässlich der "600 Jahre" Jeanne d'Arc 2012 - scheint ihm entgangen zu sein. Contamine, dessen Jeanne-Studien so viel Neues gebracht haben, wird in der Bibliografie gerade mal mit einigen Lexikon-Artikeln zitiert. Auch der umwälzend innovative Dictionnaire Jeanne d'Arc von Contamine, Hélary und Bouzy (2012) wird nicht genutzt. Für die Arbeiten des Rezensenten und die neueste deutsche Biografie von Malte Prietzel hat er gerade mal eine einzige nichtssagende Fußnote übrig.

Verwirrend ist auch die Tatsache, dass emblematische Ereignisse aus der kurzen "Karriere" der Jungfrau an verschiedenen Stellen und ohne Verweis (dabei mangelt es sonst an Querverweisen nicht) vorkommen. Etwa die Geschichte des Schwertes von Sainte-Catherine de Fierbois, die zunächst nur beiläufig erwähnt wird, um dann mehrfach neu aufgenommen zu werden (37, 54, 70ff., 153). Ähnlich die große Frage, ob das Tragen von Männerkleidung damals für eine Frau als Sünde zu betrachten war. Hierzu finden sich in dem Buch Erörterungen an mindestens fünf verschiedenen Stellen, die sich z.T. auch noch widersprechen (85f., 152, 162, 194, 206f.).

Aber was hat es insgesamt mit der Sendung und dem Anspruch der Jeanne d'Arc auf sich? Eine klare Antwort in christlicher Tradition wäre ja willkommen gewesen, aber der Verfasser kann sich offensichtlich dazu nicht entschließen. Er lehnt die katholische Tradition ab, dass Gott in die menschliche Geschichte eingreife. Eine solche Sichtweise sei "nach meiner Auffassung so nicht (mehr) möglich" (2). Aber wie erklärt sich Jeanne dann? Ist sie doch nur eine Hysterikerin? Sie ist - da ist er sich mit den ihr feindlich gegenüberstehenden damaligen Theologen einig - "exzessiv" gläubig (25). Dass er aber doch noch in gewisser Weise in der alten katholischen Tradition steht, merkt man an nebensächlich eingebrachten Bemerkungen, beispielsweise daran, dass wohl Jeannes "Auftrag" mit der Königssalbung von Reims beendet gewesen sei. Und wenn Jeanne sich selbst als "Tochter Gottes" bezeichnet, eine in der Literatur so häufig hervorgehobene Einstellung der christlichen Individualität, dann ist das für Feld eine grobe Vermessenheit, denn damit behaupte sie, an der Weisheit Gottes zu partizipieren. Aus ihrer hochmütigen Haltung spreche das "Selbstbewusstsein der Mitbürgerin der Engel" (66, vgl. auch 56 über Jeannes Prätention, höheres Wissen zu haben). Es ist auch die Rede von einer maßlosen Selbstüberschätzung, mit der sie den von ihr selber behaupteten göttlichen Auftrag überschritten habe (172). Folglich wird natürlich Jeannes Bestehen auf ihren Visionen, ihren "angeblichen Offenbarungen" (sic!!!, 251) zu reiner "Performanz" (63).

Was den Verdammungsprozess von 1431 angeht, wird zwar sehr viel zitiert, was den Prozess sehr anschaulich werden lässt, aber es fehlt an den notwendigen begrifflichen Eingrenzungen. Auf Seite 128 wird behauptet, der Kirchenprozess sei nichts weiter gewesen als ein "vorgeschobenes Theater zur Verdummung der Christenheit". Auch bestehe kein Zweifel, dass "hier in einem rechtlich, moralisch und religiös verbrämten Gewande ein Verbrechen inszeniert wurde." (192) Oh doch, das kann mit guten Gründen bezweifelt werden. War der Prozess tatsächlich, wie vom Verfasser behauptet, "irregulär"? Es gibt in der Tat diese Auffassung - man sollte nur in einer solchen Veröffentlichung klar machen, dass auch der gegensätzliche Standpunkt, dass nämlich der Prozess überaus regulär gewesen ist, eine lange und quellendichte Tradition hat. Aber natürlich war der Verdammungsprozess, genau wie der Rehabilitationsprozess von 1450 ff., ein politischer Prozess. Die Richter waren parteiisch, und dies umso mehr, als sie sich im Besitz der göttlichen Wahrheit glaubten. Das sollte man erklären und nicht in die Formulierung abgleiten, dass die Richter der Jungfrau "trickreiche, halbschlaue Fragen" gestellt hätten (226). Wichtiger wäre es gewesen, der Frage nachzugehen, warum - wie Colette Beaune einmal gesagt hat - die Richter ganz offensichtlich Angst vor der ihnen so rätselhaften Erscheinung der Jungfrau von Orleans hatten. In Felds Darstellung kommt diese Angst, dieses negative Faszinosum auch oft zum Ausdruck, wird aber nicht in eine Gesamtgeschichte des Prozesses integriert.

Den Abschluss der Arbeit bilden ganze zwölf Seiten über das Nachwirken der Pucelle. Auch hier kommt der Verfasser ganz ohne die Sekundärliteratur aus, die ihm wohl zu umfänglich war, um sich damit zu beschäftigen.

Ich werde dieses Buch künftig als Zitatensammlung nutzen können, die mir lästiges Übersetzen erspart. Denn insgesamt wurde für oft über ganze Seiten gehende Zitate - überschlägig geschätzt - ein Drittel des gesamten Textteils verbraucht. Dabei sind die Fußnoten noch nicht mitgerechnet, in denen häufig auch noch der lateinische oder mittelfranzösische Originaltext zitiert wird.

Aber über Jeanne d'Arc, ihren Charakter und den Anspruch individueller Gläubigkeit im Verhältnis zur Institution Kirche, also über "Christentum und Dissidenz", kann man in diesem Buch leider nur sehr wenig erfahren.

Rezension über:

Helmut Feld: Jeanne d'Arc. Geschichtliche und virtuelle Existenz des Mädchens von Orléans (= Christentum und Dissidenz; Bd. 5), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2016, 339 S., ISBN 978-3-643-13462-2, EUR 49,90

Rezension von:
Gerd Krumeich
Historisches Seminar, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
Empfohlene Zitierweise:
Gerd Krumeich: Rezension von: Helmut Feld: Jeanne d'Arc. Geschichtliche und virtuelle Existenz des Mädchens von Orléans, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 1 [15.01.2017], URL: https://www.sehepunkte.de/2017/01/29632.html


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