Rezension über:

Dieter Berg: Die Tudors. England und der Kontinent im 16. Jahrhundert (= Kohlhammer. Kenntnis und Können), Stuttgart: W. Kohlhammer 2016, 277 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-17-025670-5, EUR 32,00
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Rezension von:
Lena Oetzel
Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Lena Oetzel: Rezension von: Dieter Berg: Die Tudors. England und der Kontinent im 16. Jahrhundert, Stuttgart: W. Kohlhammer 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 9 [15.09.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/09/30068.html


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Dieter Berg: Die Tudors

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Die Faszination für die britische Monarchie gerade in Deutschland ist ungebrochen: Dies gilt nicht nur für das aktuelle Königshaus, sondern ebenso für die Tudor-Dynastie. Der Mediävist Dieter Berg kommt diesem Interesse mit seiner Einführung Die Tudors. England und der Kontinent im 16. Jahrhundert in der Reihe Kohlhammer. Kenntnis und Können entgegen. Damit füllt er durchaus eine Lücke, denn obwohl es Biographien und Überblickswerke zu einzelnen Tudor-Königen gibt, insbesondere zu Heinrich VIII. und Elisabeth I., sind Darstellungen, die die gesamte Dynastie behandeln, im deutschsprachigen Raum vergleichsweise rar. [1] Gerade vor diesem Hintergrund ist es zu bedauern, dass Berg die in den letzten Jahren entstandenen deutschsprachigen Spezialstudien nicht erwähnt, was für einen deutschen Leserkreis gewinnbringend gewesen wäre. [2]

Berg ist es ein Anliegen, die Dynastie als Ganzes zu untersuchen, dabei grundlegende Entwicklungslinien aufzuzeigen und diese in den europäischen Kontext zu setzen. Im Vorwort grenzt er sich gezielt von der die Forschungsdebatten dominierenden englischsprachigen Forschung ab, die meist einen stark personenbezogenen Zugang verfolge (12-16). Dies ist zum Teil sicherlich richtig. Viele der Überblickswerke gliedern sich nach den Herrschern, allerdings finden sich bei stärker thematisch ausgerichteten Untersuchungen - z. B. zur Repräsentation, zum Regierungssystem, etc. - auch vergleichend angelegte Ansätze.

Dennoch ist Bergs Vorgehen, einen "ereignisgeschichtlich-biographische[n] Zugang mit einem thematisch-systematische[n] Zugriff" (13) zu kombinieren, vielversprechend - einen ähnlichen Aufbau wählte er schon bei seiner ebenfalls bei Kohlhammer erschienen Biographie Heinrichs VIII. [3]. Entsprechend folgt zunächst ein Überblick über die Ausgangssituation Ende des 15. Jahrhunderts und die Rosenkriege (Kap. 2 "Grundlagen. England und der Kontinent im ausgehenden 15. Jahrhundert"), bevor in Kapitel 3 "Dynastie und Herrschaft" Heinrich VII., Heinrich VIII., Eduard VI., Maria I. und Elisabeth I. und ihre Regierungszeiten knapp dargestellt werden. Schwerpunkte setzt Berg im Bereich der Außenbeziehungen - besondere Aufmerksamkeit schenkt er den Beziehungen zu Irland und Schottland -, sowie innenpolitisch auf die (zum Teil erfolglosen) Reformbestrebungen im Bereich der Religions- sowie der Sozial-, Verwaltungs- und Finanzpolitik. Hierbei steht er inhaltlich durchaus in der Tradition der von ihm kritisierten Überblicksdarstellungen.

In den folgenden Kapiteln 4 bis 7 greift er das Verhältnis zu den "keltischen Reichen" (Kap. 5 "Dynastie und Suzeränität"), Gesellschaft, Wirtschaft, Kunst und Repräsentation (Kap. 6 "Dynastie und System") und die Rezeption der Tudor-Dynastie in Filmen und Romanen (Kap. 7 "Dynastie und Rezeption") herrscherübergreifend heraus. Dies führt zu kleineren Redundanzen, ist aber hilfreich, weil zentrale Punkte erneut aufgegriffen und in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Lediglich Kapitel 4 "Dynastie und Wandel. Aufstieg der Stuarts: Jakob I. (1603-1625)" fällt aus dem Rahmen. Trotz seiner eigenen Verortung des Kapitels im thematisch-systematischen Teil ist ein ereignisgeschichtlich-biographischer Blick gewählt. Generell ist zu fragen, ob es sinnvoll ist, in einer derart kurzen Einführung zu den Tudors fast zehn Seiten dem Ausblick auf die folgende Dynastie zu widmen (gerade da das Kapitel zu Eduard VI. ähnlich lang ist).

Ein weiteres Ziel Bergs ist es, den Fokus der bisherigen Forschung auf Heinrich VIII. und Elisabeth I. aufzubrechen und der eindimensionalen Betrachtungsweise (Heinrich als "manischer Frauen-Killer" und Elisabeth als "feenhafte Virgin Queen" (222)) entgegenzutreten (15). Dies entspricht durchaus der aktuellen Forschung, die verstärkt die Aufmerksamkeit auf Eduard VI. und Maria I. richtet, wobei gerade letztere einer gründlichen Neubewertung unterzogen wurde. [4] Damit einhergegangen ist ein kritischerer Blick auf Elisabeth I. Die Forschung sieht sie längst nicht mehr in einem idealisierenden Licht und hat an verschiedenen Stellen die kritische Sicht ihrer Untertanen aufgezeigt. Dass ihr Bild in der öffentlichen Wahrnehmung weiterhin ein anderes ist, liegt auch an den überaus populären Filmen und Romanen. Berg verweist zwar auf die einschlägigen aktuellen Veröffentlichungen, rezipiert sie aber nicht in ihrer Bedeutung für die Forschungsdiskussion und die Bewertung der verschiedenen Tudor-Herrscher. Auch kann er seinem eigenen Anspruch, sich nicht auf Heinrich VIII. und Elisabeth I. zu konzentrieren, nur bedingt gerecht werden. Dass die Kapitel zu diesen beiden deutlich länger sind als zu den übrigen Tudors, ist angesichts ihrer langen Regentschaften naheliegend, aber auch in den systematischen Kapiteln finden Eduard VI., Maria I. und besonders Heinrich VII. im Vergleich weniger Beachtung.

Richtig weist Berg darauf hin, dass Tudor-Herrschaft - sowohl innen- wie außenpolitisch - einem komplexen Aushandlungsprozess unterlag, in dem nicht nur der König/die Königin eine zentrale Rolle spielte, sondern auch andere Akteure, wie Höflinge, Ratgeber, das Parlament, etc. (16). Am Beispiel der Entwicklung der Architektur erläutert er, wie der Adel und die gentry eine intensive Bautätigkeit entwickelten, nachdem von herrscherlicher Seite nach Heinrich VII. und Heinrich VIII. in diesem Bereich kaum weitere Aktivitäten gezeigt wurden. Damit waren sie es, die das Bild der Tudor-Architektur nachhaltig prägten. Im Gegensatz dazu erscheint die Repräsentation gerade in Kunst und Malerei in Bergs Darstellung wieder stark auf den Herrscher/die Herrscherin fixiert. Dabei verdeutlicht gerade Elisabeths Repräsentation, wie viele Akteure an ihrer Inszenierung beteiligt waren und wie entsprechend multidimensional die vermittelten Botschaften waren. Die aktuelle Forschung zeichnet hier ein vielschichtiges Bild.

Ein Gewinn ist das Kapitel zu den Tudors in Spielfilmen und Romanen. Zwar erfreuen sich rezeptionsgeschichtliche Themen auch in Lehrveranstaltungen großer Beliebtheit, deren Thematisierung in Überblicksdarstellungen fehlt weitgehend. Berg zeichnet nach, wie sich die Darstellung der verschiedenen Tudor-Könige und Königinnen in Filmen und Romanen veränderte. Hilfreich wäre - eventuell als Anhang - eine Übersicht, der besprochenen Titel gewesen. Trotz der genannten Kritikpunkte liefert Berg einen in weiten Teilen gut lesbaren und hilfreichen Überblick über die Geschichte der Tudors. Seine Einführung bietet einen guten Ausgangspunkt für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit England im 16. Jahrhundert.


Anmerkungen:

[1] Eine Ausnahme bildet: Raingard Eßer: Die Tudors und die Stuarts, 1485-1714, Stuttgart 2004.

[2] Unter anderem: Elisabeth Natour: Die Debatte um ein Widerstandsrecht im frühen elisabethanischen England, 1558-ca. 1587 (= Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte; Bd. 62), Berlin 2015; Lena Oetzel: 'Gespräche' über Herrschaft. Herrscherkritik bei Elisabeth I. von England (1558-1603) (= Historische Studien; Bd. 505), Husum 2014; Robert Valerius: Weibliche Herrschaft im 16. Jahrhundert: Die Regentschaft Elisabeths I. zwischen Realpolitik, Querelle des femmes und Kult der Virgin Queen (= Reihe Geschichtswissenschaft; Bd. 49), Herbolzheim 2002.

[3] Dieter Berg: Heinrich VIII. von England. Leben - Herrschaft - Wirkung (= Kohlhammer Urban-Taschenbücher, Bd. 736), Stuttgart 2013.

[4] Susan Doran / Thomas S. Freeman (eds.): Mary Tudor. Old and new Perspectives, Basingstoke 2011.

Lena Oetzel