Rezension über:

Hanns Peter Neuheuser / Ralf M. W. Stammberger / Matthias M. Tischler (Hgg.): Diligens Scrutator Sacri Eloquii. Beiträge zur Exegese- und Theologiegeschichte des Mittelalters. Festgabe für Rainer Berndt SJ zum 65. Geburtstag (= Archa Verbi. Subsidia; Vol. 14), Münster: Aschendorff 2016, XIII + 608 S., ISBN 978-3-402-10233-6, EUR 69,00
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Rezension von:
Cornelia Linde
Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Cornelia Linde: Rezension von: Hanns Peter Neuheuser / Ralf M. W. Stammberger / Matthias M. Tischler (Hgg.): Diligens Scrutator Sacri Eloquii. Beiträge zur Exegese- und Theologiegeschichte des Mittelalters. Festgabe für Rainer Berndt SJ zum 65. Geburtstag, Münster: Aschendorff 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 10 [15.10.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/10/29636.html


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Hanns Peter Neuheuser / Ralf M. W. Stammberger / Matthias M. Tischler (Hgg.): Diligens Scrutator Sacri Eloquii

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Die über 600 Seiten umfassende, hier zu besprechende Festschrift für Rainer Berndt SJ enthält fast zwei Dutzend wissenschaftliche Aufsätze, unterteilt in drei Sektionen, die Berndts eigene Arbeitsfelder widerspiegeln: "Exegesegeschichte"; "Saint-Victor"; "Theologie- und Geistesgeschichte". Mit Ausnahme des thematisch vergleichsweise enggefassten zweiten Abschnitts werden in den Beiträgen die verschiedensten Themen behandelt, vom Konzept der Freundschaft bei Augustinus (José Luis Narvaja SJ: In quibus rebus humanis nihil est homini amicum sine homine amico. La amistad como camino privilegiado para la búsqueda de sabiduría en los primeros intentos de vida común de san Agustín, 429-450) über frühmittelalterliche Geschichtsschreibung (Elisabeth Mégier: Karolingische Weltchronistik zwischen Historiographie und Exegese. Frechulf von Lisieux und Ado von Vienne, 37-52), Glossierung in hebräischen Handschriften (Hanna Liss: "Daneben steht immer ein kluger Kopf": Die Glossenformation im Codex Wien hebr. 220, 53-83), bis hin zur Devotio moderna (Charles M.A. Caspers: The Sacrament of the Eucharist and the Conversion of Geert Grote, 523-536). Aus Platzgründen muss sich diese Rezension auf je eine einzige Stichproben aus jeder der drei Sektionen beschränken.

Claudia Stichers Aufsatz mit dem Titel "'Nichts hinzufügen - nichts wegnehmen'. Zur Bedeutung des Kanons für die christliche Theologie" stellt den ersten Beitrag der Sektion "Exegesegeschichte" dar und läutet zugleich den wissenschaftlichen Teil des durch vier Grußworte eröffneten Bandes ein. Die Erforschung der mittelalterlichen Geschichte des biblischen Kanons befindet sich noch in den Kinderschuhen. Nichtsdestotrotz ist das von Sticher behandelte Feld dann aber doch breiter, als der Titel des Beitrags vermuten lässt. Sie behandelt nicht nur die Bedeutung des Kanons im Christentum, sondern berührt auch ab und an den jüdischen Kanon. Zudem erstreckt sich der von ihr behandelte Zeitrahmen von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. Dass dies ein zwar spannendes, gleichzeitig jedoch viel zu weites Feld ist, wird aus der unvermeidlich fehlenden Tiefe des Beitrags klar. Meist wird nur Sekundärliteratur zitiert (vielleicht am prominentesten bei der zweiseitigen Abhandlung zu Hugo von Sankt Viktor, 26-27, in der sich nicht ein einziger Verweis auf Hugos Werke findet), und der Inhalt bleibt zumeist summarisch. Auch die verwendete Sekundärliteratur weist große Lücken auf. So gibt es keinen Verweis (22) auf Alastair Minnis' Medieval Theory of Authorship. Scholastic Literary Attitudes in the Later Middle Ages (Philadelphia 21988). Auch werden grundlegende Werke zur Kanongeschichte nicht genannt. [1]

Der Aufsatz schließt mit einer Abhandlung zur Bedeutung des Kanons für die christliche Exegese. Obgleich auf die Verschiedenheit des Kanons bei unterschiedlichen Konfessionen und ihre Bedeutung als Abgrenzung verwiesen wird, werden weder die Unterschiede, noch deren direkte Auswirkungen näher erläutert. Alles in allem handelt es sich hier um einen Überblick über ein noch nicht ausreichend beackertes Feld, der keinen neuen Wissensgewinn liefert und gezwungenermaßen oberflächlich und lückenhaft bleibt.

Als Stichprobe für den Abschnitt "Saint-Victor" wurde Fabrizio Mandreolis Aufsatz "La ricerca della sapienza e della vita nella proposta del Didascalicon de studio legendi di Ugo di San Vittore" näher untersucht. In seiner nah an den Quellen gearbeiteten Studie bietet Mandreoli eine kritische Auseinandersetzung mit Bedeutung und Reichweite von sapientia/sapere in Hugos von Sankt Viktor Didascalicon. So betont er (249) beispielsweise die Verbindung von sapientia und Christus. Zugleich (251) stellt er auch einen positiven Grundzug von sapere und menschlichem Handeln fest, sofern das Ziel der Reform des Menschen nicht aus den Augen verloren wird. Erweitert wird Mandreolis Studie durch eine Abhandlung über das Lesen, inklusive Vorlesungen (252-260), wie es in Hugos Didascalicon dargestellt wird. Behandelt werden dabei Fragen nach dem Zweck, der Art und Weise sowie nach der Auswahl der zu lesenden Texte. Das Lesen, so Hugo, ist der erste, notwendige Schritt auf dem Weg zur Kontemplation.

Der Verfasser arbeitet nicht nur quellennah, sondern bindet zudem die reiche Sekundärliteratur mit ein. Wie Sticher behandelt auch Mandreoli in seinem Beitrag das Problem des biblischen Kanons (257-259), auch er mit Bezug auf Berndts Studie von 1988. [2] Mandreoli betont zu Recht Hugos Verständnis des Kanons als lebendige Tradition. Seine überzeugende Interpretation der Inklusion der patres in den Kanon durch Hugo gründet auf dessen Überzeugung, dass Gott auch weiterhin zu den Gläubigen und der Kirche spreche. Leider versäumt es Mandreoli, sich mit der streitbaren These Berndts auseinanderzusetzen, die Kirchenväter hätten keineswegs kanonische Autorität besessen. [3] Ebenso wie Sticher führt auch Mandreoli seine Überlegungen bis in die Gegenwart, indem er mit einem Ausblick darauf schließt, wie sich Hugos Didascalicon im Lichte heutiger Theologie lesen lassen könnte (261-263).

Aus dem dritten Abschnitt, "Theologie- und Geistesgeschichte" sei hier Christoph Eggers ausgesprochen anregender Beitrag (Ein glossierter Messkanon aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, 507-522) besprochen. Anhand des in einer Wiener Handschrift (ÖNB 1516; bayerisch-österreichischer Raum, 12. Jahrhundert) enthaltenen kommentierten Messkanons präsentiert Egger in seiner detailreichen kodikologischen Studie eine bisher unbekannte Form des Einflusses der Pariser und nordfranzösischen Schulen des 12. Jahrhunderts. [4] Zwar stammten die im Kommentar benutzten Quellen keineswegs von mit den französischen Schulen assoziierten Autoren, aber das vom Schreiber benutzte Layout belegt eindeutig den Einfluss der im 12. Jahrhundert in Nordfrankreich entstandenen glossierten Bibeln.

Beginnend mit einer kurzen Beschreibung der Verbreitung glossierter Bibeln, geht Egger über zum Phänomen der glossierten liturgischen Handschriften, wobei betont wird (508), dass glossierte Bibeln seltener als Vorbild bei der Erstellung des Layouts dienten. Bei Handschriften des Messkanons, so Egger, finden sich die Kommentare stattdessen meist als fortlaufende Texte.

Somit handelt es sich beim kommentierten Messkanon der Handschrift ÖNB 1516 um eine Ausnahme. Doch gelang dem Kompilator die Übernahme des Layouts bei gleichzeitiger komplizierter Adaptation der Parameter je nach vorhandenem Textumfang nicht (517), was wiederum die Errungenschaften und Expertise der Schreiber von glossierten Bibeln unterstreicht. In ÖNB 1516 findet sich mithin ein früher Beleg der "Wirkung nicht nur inhaltlicher, sondern auch formal-buchtechnischer Art" (517) der französischen Schulen.

Die Festschrift bietet summa summarum eine Auswahl weit gestreuter Themen. Vielleicht hätte es sich um der größeren Kohärenz willen angeboten, den Band auf Beiträge zur Schule von Sankt Viktor zu beschränken, da sich Rainer Berndt insbesondere auf diesem Feld ausgesprochen verdient gemacht hat. Mit der vorliegenden Struktur und thematischen Vielfalt aber wird der Band seinem gesamten Wirken sowie dem seiner Freunde und Schüler gerecht.


Anmerkungen:

[1] Z.B. Bruce M. Metzger: The Canon of the New Testament. Its Origin, Development, and Significance, Oxford / New York 1987; Lee Martin McDonald: The Biblical Canon. Its Origin, Transmission, and Authority, Peabody, Mass. 2007.

[2] Rainer Berndt: Gehören die Kirchenväter zur Heiligen Schrift? Zur Kanontheorie des Hugo von St Viktor, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 3 (1988), 191-199.

[3] Berndt, ibid., 199. Zur zeitgenössischen Kritik an Hugos Kanonidee durch Robert von Melun siehe Cornelia Linde: Twelfth-Century Notions of the Canon of the Bible, in: Reading the Bible in the Middle Ages, hgg. v. Jinty Nelson / Damien Kempf, London 2015, 7-18.

[4] Egger bemerkt, dass er sich in diesem Aufsatz nur auf die nötigsten Literaturangaben beschränkt. Bei weiteren Studien zu dem Thema sollte ein Verweis auf Lesley Smith: The Glossa ordinaria. The Making of a Medieval Bible Commentary, Leiden 2009, nicht fehlen.

Cornelia Linde