Rezension über:

Peter Völkle: Werkplanung und Steinbearbeitung im Mittelalter. Grundlagen der handwerklichen Arbeitstechniken im mittleren Europa von 1000 bis 1500, Ulm: Ebner Verlag 2016, 180 S., 252 Farbabb., ISBN 978-3-87188-258-6, EUR 78,00
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Rezension von:
David Wendland
Technische Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Philippe Cordez
Empfohlene Zitierweise:
David Wendland: Rezension von: Peter Völkle: Werkplanung und Steinbearbeitung im Mittelalter. Grundlagen der handwerklichen Arbeitstechniken im mittleren Europa von 1000 bis 1500, Ulm: Ebner Verlag 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 11 [15.11.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/11/29482.html


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Peter Völkle: Werkplanung und Steinbearbeitung im Mittelalter

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Das Erscheinungsbild eines Bauwerks und der einzelnen Architekturglieder ist, wie bei jedem Artefakt, nicht nur durch die antizipierende Vorstellung der Urheber bestimmt. Eine wesentliche Rolle spielen auch die Eigenschaften der Materialien und ihres Gefüges, sowie insbesondere, wie sie be- und verarbeitet werden und mit welchen Werkzeugen. Zugleich ist auch der Einfluss zu betonen, den die Vorgehensweise bei Entwurf und Planung, sowie bei der Formulierung von Anweisungen für die Herstellung haben.

Bezogen auf die Beschäftigung mit der steinernen Architektur des europäischen Mittelalters bedeutet dies: Fundierte Kenntnisse oder zumindest sehr klare Vorstellungen zur Steinplanung und Steinbearbeitung, sowie Einblick in deren historische Entwicklung, sind unablässig. ArchitekturhistorikerInnen und BauforscherInnen, wie den im konservatorischen Umgang der Restaurierung professionell Tätigen und all denen, die sich dafür interessieren, wie die mittelalterlichen Baudenkmale gemacht sind, werden hier gut nachvollziehbare Erläuterungen in einer lehrbuchmäßigen Anordnung, und vor allem sehr deutliches Bildmaterial geboten: Auf gut ausgeleuchteten und mit Maßstab versehenen, farbigen Fotografien werden die Oberflächentexturen im Originalbefund gezeigt. Ergänzt wird dies durch Abbildungen der Werkzeuge, oft in Benutzung, sowie auch von nachgebildeten Werkstücken. Die Texte beschreiben die Verfahren und Werkzeuge sehr konkret - wir lernen, welche Konsequenzen jede Arbeitsweise mit sich bringt, und wie sich diese auch an den Bauten ablesen lassen. Überall ist zu spüren, dass der Autor die Techniken selbst beherrscht und die historischen Verfahren ausgiebig erprobt hat, und dass er die Spuren der Bearbeitung an den Befunden auch aus seiner alltäglichen Praxis genau kennt. Historisch sind die Texte akkurat recherchiert; die Nachweise, Referenzen und Literaturhinweise lassen nichts zu wünschen übrig.

Der dokumentarische Wert von Werkzeugspuren in der mittelalterlichen Steinarchitektur wurde seit Längerem erkannt, und im bisher grundlegenden Werk von Karl Friederich [1] ein Ansatz zur systematischen Beschreibung entwickelt. Das Wissen, wie die Steinbearbeitung im Detail vor sich geht, ist Voraussetzung für die kritische Analyse dieses 'Dokuments': So etwa die Einschätzung, inwieweit Oberflächentexturen, die durch Arbeitsspuren erzeugt wurden, in bestimmten Fällen als Gestaltung zu interpretieren sind. In der Klassischen Moderne ist die Wechselbeziehung zwischen Arbeitsprozess und Gestaltung programmatisch - übrigens im Rückgriff auf die Wiederentdeckung der mittelalterlichen Steinarchitektur. Aber die Frage stellt sich auch an den texturierten Steinoberflächen mittelalterlicher Bauten. [2] Für solche Überlegungen war eine didaktisch hochwertige, anschauliche Darstellung der Steinbearbeitung, wie sie Peter Völkle jetzt geliefert hat, bisher ein Desiderat.

Wichtig ist, dass die historischen Arbeitstechniken heute nicht mehr als Konstante angesehen werden können. Vielmehr sind sie in ihrer Entwicklung zu betrachten und jeweils in Bezug auf Arbeitsorganisation, Werkzeugtechnik und Entwurfsverfahren zu stellen. Friederich legte seinerzeit den Fokus vor allem auf ein Werkzeug, die 'Fläche', das in der modernen Praxis und damit auch in der Konservierung der originalen Bausubstanz nicht mehr bekannt war. Demgegenüber vermittelt der vorliegende Band die ganze Breite der Werkzeuge und Praktiken. Dabei wird auf die eher groben Arbeitsvorgänge im Steinbruch ebenso eingegangen wie auf die präzisen und kleinteiligen Bearbeitungsphasen in der Skulptur. In der Restaurierung wird inzwischen, anders als noch vor wenigen Jahrzehnten, der Historizität von Arbeitsspuren Rechnung getragen. Dies ist eine Entwicklung, an der der Autor des Bandes in seinem Wirken an der Berner Münsterbauhütte selbst beteiligt ist.

Ausführlich wird, wie im Titel angekündigt, auch auf die Werkplanung eingegangen. Dies ist mit Blick auf den intrinsischen Zusammenhang zwischen Planung und Steinbearbeitung unbedingt geboten, der in den Anweisungen für die Herstellung sowie in der Art und Weise, wie am Stein angerissen wird, seinen Ausdruck findet. Auch dabei kommt historischen Entwicklungen eine wesentliche Bedeutung zu. So hängen die geometrischen Konzepte, die dabei zum Tragen kommen, mit der Verbreitung der praktischen Mathematik zusammen, und die Kommunikation der Arbeitsanweisungen wird durch Schrift- und Bildträger konkret bestimmt. Dieser Aspekt wurde in der Literatur zur Steinherstellung bisher gar nicht oder nur unzulässig verkürzt, und vor allem nicht in der gebotenen historischen Sichtweise behandelt. Die bestehenden Untersuchungen dieser Thematik sind vielmehr ausgehend von der Analyse der architektonischen Planung und deren Überlieferung aus erfolgt. [3] Dieser 'papiernen' Perspektive verhilft der vorliegende Band im Gegenblick zu einem Ausdruck in der Form des materiellen Artefakts, direkt am Stein.

Folgerichtig steht am Anfang des Bandes eine kurze Darstellung der Praktiken in der mittelalterlichen Architekturzeichnung. An anderer Stelle hat Peter Völkle dies weiter ausgeführt [4] - der von ihm rekonstruierte Zeichentisch des spätmittelalterlichen Architekten nebst Utensilien wurde in der Freiburger Ausstellung "Baustelle Gotik" gezeigt und ist nun dauerhaft im Straßburger Museum der Œuvre Notre-Dame in unmittelbarer Nachbarschaft der originalen Planzeichnungen zu besichtigen. Im vorliegenden Band ist eine konzise Zusammenfassung vor allem in Hinblick auf die Anwendung der grafischen Entwurfsverfahren bei der Herstellung und auf den Vergleich mit Werkzeichnungen auf Reißböden und Gipstafeln von Bedeutung. Dabei wird die Relation zum fertigen Artefakt nachvollziehbar und schlüssig demonstriert.

Auf zwei weitere Unterschiede zu bisherigen Veröffentlichungen sei noch hingewiesen: Zum einen ist die Thematik der Steinmetzzeichen, die bei Friederich einen großen Raum einnimmt, im vorliegenden Band ganz ausgelassen. Das ist zweifellos eine richtige Entscheidung: Nicht nur hätte die inzwischen vorhandene Datenbasis den Rahmen gesprengt. Auch bilden die auf den Werksteinen aufgebrachten Signaturen eine eigene Quellengruppe, die von der Frage der Steinplanung und Steinbearbeitung unabhängig zu untersuchen ist. Zum anderen spielen historische Darstellungen des Baugeschehens in dem Band eine eher untergeordnete Rolle. Zwar werden sie als Belege und vor allem als anschauliche Stützen mit herangezogen. Die bildlichen Darstellungen, die en gros als Quellenkorpus bereits seit Langem zugänglich sind und ausgewertet werden, bedürfen inzwischen einer über das unmittelbare Extrahieren von Informationen hinausgehende kritische Analyse. [5] Demgegenüber beruht die Didaktik des Buches ganz wesentlich auf vom Autor selbst durchgeführten Experimenten zur Reproduktion der historischen Techniken. Dadurch kann auch das Verhältnis zwischen Werkprozess und dessen Spuren deutlicher herausgestellt werden.

Zum Abschluss wird die Herstellung eines reichen Skulpturenbaldachins in den einzelnen Schritten demonstriert. Dabei wird auch die Relation zwischen den grafischen Entwurfsverfahren und der dreidimensionalen Entwicklung der Architekturglieder und Verzierung nachvollziehbar. Wir sehen die Verwendung der Schablonen, die Vorgehensweise beim Anreißen und das Anlegen von Hilfsflächen und erleben, wie hieraus das komplexe räumliche Gebilde entsteht. Dies in Worten oder nur anhand von Zeichnungsvorlagen zu beschreiben wäre ausgesprochen schwierig. So hat der Verfasser mit der Bildfolge, die die einzelnen Stadien zeigt, und der begleitenden Erklärung das richtige Mittel gefunden, um den Zusammenhang zwischen grafischem Entwurfsverfahren, Prozedur der Steinbearbeitung und fertigem Werk in einem Buch nachvollziehbar zu machen. Besonders hoch ist diesem Band anzurechnen, dass es gelingt, eine Verknüpfung zwischen handwerklicher Praxis und dem Anliegen historischer Forschung herzustellen.


Anmerkungen:

[1] Karl Friederich: Die Steinbearbeitung in ihrer Entwicklung vom 11. bis zum 18. Jahrhundert, Augsburg 1932 (urspr. Diss. TH Karlsruhe, ein Nachdruck erschien 1988).

[2] Beispielsweise Norbert Nußbaum: Unikat oder Serie? Zur Strategie gotischer Bauproduktion, in: Traces of Making. Entwurfsprinzipien von spätgotischen Gewölben. Shape, Design and Construction of Late Gothic Vaults, hgg. von Katja Schröck / David Wendland, Petersberg 2013, 48-55.

[3] Maßgeblich bis heute Werner Müller: Grundlagen gotischer Bautechnik, München 1990; ders.: Steinmetzgeometrie zwischen Spätgotik und Barock, Petersberg 2002.

[4] Johann Josef Böker / Anne-Christine Brehm / Julian Hanschke / Jean-Sébastien Sauvé: Architektur der Gotik. Rheinlande: Basel, Konstanz, Freiburg, Straßburg, Mainz, Frankfurt, Köln. Ein Bestandskatalog der mittelalterlichen Architekturzeichnungen mit einem Beitrag von Peter Völkle über die Zeichentechnik der Gotik, Salzburg / Wien 2013.

[5] Hierzu beispielsweise Peter Bell: Die fabrica Babels. Gebaute Wirklichkeit in Bildern des Spätmittelalters, in: Kirche als Baustelle. Große Sakralbauten des Mittelalters, hgg. von Katja Schröck / Bruno Klein / Stefan Bürger, Köln / Weimar / Wien 2013, 354-365.

David Wendland