Rezension über:

Arthur Field: The Intellectual Struggle for Florence. Humanists and the Beginnings of the Medici Regime, 1420-1440, Oxford: Oxford University Press 2017, XIV + 368 S., ISBN 978-0-19-879108-9, GBP 85,00
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Rezension von:
Volker Reinhardt
Historisches Seminar, Universität Fribourg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Volker Reinhardt: Rezension von: Arthur Field: The Intellectual Struggle for Florence. Humanists and the Beginnings of the Medici Regime, 1420-1440, Oxford: Oxford University Press 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 4 [15.04.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/04/31106.html


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Arthur Field: The Intellectual Struggle for Florence

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In seinem Erstling von 1988 über die Ursprünge der Platonischen Akademie in Florenz hat der Verfasser den weit verbreiteten und heiß geliebten Mythos gestürzt, dass es sich dabei um eine regelrechte "Schule" mit entsprechendem Lehrbetrieb und festem Personal handele, und stattdessen den informellen Charakter dieses lockeren, um Marsilio Ficino als inspirierendes Ausstrahlungszentrum und Cosimo de' Medici als Geldgeber gescharten Gesprächskreises nachgewiesen. Wenn er dreißig Jahre später eine umfangreiche Studie zu Florenz vor und nach der Machteroberung der Medici von 1434 vorlegt, sind die Erwartungen naturgemäß hoch. Sie werden - um ein pauschales Urteil vorwegzunehmen - weder erfüllt noch gänzlich enttäuscht.

Der erste Hauptteil zum politischen und sozialen Hintergrund von Florenz in diesen Jahrzehnten des Umbruchs von der relativ offenen Oligarchie zur mehr oder weniger handverlesenen Medici-Parteiherrschaft ist ein breit angelegtes Resümee der Forschung, an dem nur auszusetzen ist, dass deutschsprachige Literatur auch mit für die Thematik wichtigen Titeln wie Heinrich Langs Studie über die Medici-Patronage im Bereich der condottieri und Diplomaten nicht zur Kenntnis genommen wird. Neue Gesichtspunkte sind in den Ausführungen zu den Rivalitäten zwischen den "Parteien" der alten, um die Albizzi gescharten Oligarchie mit ihrem "Chefideologen" Niccolò da Uzzano und dem sehr viel dynamischeren Interessenverband der Medici nicht zu erkennen; das ist verzeihlich, sollen sie den beiden nachfolgenden Hauptteilen über "Traditionelle Kultur" und "Medici-Kultur" doch überwiegend als Ein- und Hinführung dienen.

Um den Gegensatz zwischen den Humanisten der einen wie der anderen "Kultur" kreist dann die zentrale Argumentation der Studie. Zu den Vertretern der älteren Richtung, die die Herrschaft des Albizzi-Netzwerks als einzig angemessene, wenn nicht ideale Regierungsform für Florenz feiert, rechnet der Verfasser neben Coluccio Salutati vor allem Francesco Filelfo und Leonardo Bruni, wobei der Letztere zugleich das Scharnier zur "moderneren" Gruppierung bildet, die von Niccolò Niccoli und Poggio Bracciolini gebildet wird. Zwischen diesen "Schulen" werden gewichtige Unterschiede im Verhältnis zu Vergangenheit und Gegenwart, aber auch zur humanistischen Kultur und dem Umgang mit ihrer Kultsprache, dem Lateinischen, bilanziert: Auf der einen Seite stimmen Autoren wie Filelfo und Bruni eine laudatio temporis acti in politischer und kultureller Hinsicht an, die die spezifisch florentinische Kontinuität der Entwicklung von der Konstituierung der "Zunftrepublik" an betont und auf organische Fortführung dieser Traditionen durch eine Oberschicht setzt, die durch generationenübergreifende Teilhabe an diesem System und entsprechend internalisierte Werte gerechtfertigt ist. Dabei passt sich der Sprachgebrauch dem konservativen Grundzug der Argumentation durch betonte Zurückhaltung in Vokabular und Satzkonstruktion und ostentativen Abstand zum elaborierteren Duktus an.

Dieser "oligarchische" Humanismus wird nun auf der anderen Seite - so eine Leitthese des Buchs - von pro-mediceischen Autoren, allen voran Poggio, frontal und vehement attackiert, und zwar mit allen Mitteln, nicht zuletzt sehr persönlichen Attacken, auch zu familiären Verhältnissen und sexuellen Vorlieben. Hauptanklagepunkt ist neben der kulturellen Rückständigkeit des Regimes, dessen Mitglieder sich auf einen falschen, durch Abstammung statt durch persönliche Leistung definierten Adelsbegriff stützen, und dem ungeschlachten Stil seiner Verteidiger dessen angebliche Korruption und Volksferne, gegen die die Volksnähe und Volkstümlichkeit der Medicipartei und ihrer Anhänger propagandistisch wirkungsvoll ausgespielt werden. Die Ausführungen zu diesen Aspekten beruhen auf ausführlichen Zusammenfassungen und Interpretationen von Texten und ihren Thesen, dem insgesamt hervorstechendsten Merkmal der Studie. Und so weit wird man ihnen auch zustimmen können, umso mehr, als die entsprechende Zuordnung zu den rivalisierenden Netzwerken der Zeit ja keineswegs neu ist.

Problematischer sieht es mit den weiterreichenden Schlussfolgerungen aus, die sich an diese Analysen knüpfen. Am anfechtbarsten ist fraglos die aus den humanistischen Debatten abgeleitete These, dass im Florenz der Zeit die lateinische Kultur zugleich die volkstümliche Kultur gewesen sei. Diese Aussage nimmt sich vor dem Hintergrund der damaligen "Bildungsverhältnisse" seltsam aus, war doch eine vertiefte Kenntnis des Lateinischen, die zur Lektüre Poggioscher Schriften befähigte, nicht einmal in den besser gestellten Mittelschichten verbreitet - Kronzeuge ist Leonardo da Vinci, dem der Zugang zu dieser sehr elitären Kultur wie der großen Mehrheit der Florentinerinnen und Florentiner verwehrt blieb. Kaum minder irritierend ist der hohe Stellenwert, den der Verfasser den Intellektuellen in diesem von Großkaufleuten und Bankiers dominierten Gemeinwesen zuschreibt und schon im Titel zum Ausdruck bringt - für ihn kämpfen Humanisten um "ihr" Florenz, gewiss nicht außerhalb der politischen Interessenverbände, doch mit bemerkenswerter Eigenständigkeit und Eigendynamik. In diesem Sinne wird das sehr rhetorische Argument von Seiten der Medici-Gegner, dass Cosimo ohne Poggio schwach und machtlos sei, durchaus ernstgenommen - der wortgewaltige Humanist kreiert eine Ideologie und wird dadurch zum autonomen Machtfaktor.

In dieser Sichtweise kommt die umfassende Patronage des virtuosen Strippenziehers Cosimo, auf die bezeichnenderweise auch ein Bruni schließlich nicht Verzicht leisten will, entschieden zu kurz. Gerade wenn Poggio die angebliche Popularität seines Mäzens preist, zeigt er sich als perfekt ausführendes Organ einer Propaganda, die ihrerseits eine Rückkehr zu den Wurzeln, allerdings den besseren und lange verschütteten, von Florenz verkündet. Dass die Medici-Partei, in der sehr viel neuer Reichtum versammelt war, nicht ernsthaft an eine (Finanz-)Politik zum Nutzen der Handwerker und Ladenbesitzer dachte, war allen Eingeweihten sehr wohl bewusst. Damit soll die Unterstützung, die der Machteroberung und Systemaushöhlung durch die Medici von Seiten wortmächtiger Autoren zuteilwurde, keineswegs unterschätzt werden - Cosimo wusste genau, wen er sponserte und wen nicht. Das zeigte sich mindestens ebenso deutlich in seinen Aufträgen für Architekten, Bildhauer und Maler, deren Breitenwirkung ohne Frage als größer eingeschätzt wurde als diejenige für wenige verständlicher Texte.

Ungeachtet dieser Kritikpunkte ist die Studie als sachkundige und faktenreiche Einführung in die damalige "Kulturhauptstadt" Europa gut lesbar und benutzbar.

Volker Reinhardt