Rezension über:

Elke Hartmann: Ordnung in Unordnung. Kommunikation, Konsum und Konkurrenz in der stadtrömischen Gesellschaft der frühen Kaiserzeit (= Alte Geschichte. Forschung ), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2016, 255 S., ISBN 978-3-515-11362-5, EUR 52,00
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Rezension von:
Sven Günther
Institute for the History of Ancient Civilizations, Northeast Normal University, Changchun
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Sven Günther: Rezension von: Elke Hartmann: Ordnung in Unordnung. Kommunikation, Konsum und Konkurrenz in der stadtrömischen Gesellschaft der frühen Kaiserzeit, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 5 [15.05.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/05/29001.html


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Elke Hartmann: Ordnung in Unordnung

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Kann man angesichts der Fülle von Studien und Untersuchungen zur Gesellschaft der (Frühen) Römischen Kaiserzeit, zugespitzt in der vieldiskutierten Sozialpyramide des verstorbenen Althistorikers Géza Alföldy und den neuen Habitus-Rollenzuschreibungen z.B. seitens Aloys Winterlings, noch neue Felder ausmachen? Man kann, indem man die Perspektive wechselt, von 'etischen' analytischen Kategorisierungen hin zu 'emischen' Rahmen, innerhalb derer sich die Mitglieder der Gesellschaft selbst bewegten, agierten und artikulierten. Genau diesen Betrachtungspunkt nimmt Elke Hartmann, Professorin für Alte Geschichte an der TU Darmstadt, ein, wenn sie die Umgestaltung der Sozialordnung von der Republik zur Kaiserzeit widergespiegelt in Äußerungen von Zeitgenossen untersucht. Neben den "üblichen Verdächtigen", d.h. Autoren wie Tacitus, Plinius d.J. oder dem Kaiserbiographen Sueton, macht sie in ihrer konzise geschriebenen Einleitung (11-34) die Satiriker Martial und Juvenal als Kronzeugen von dem aus, was sie in der Nachfolge Meinolf Vielbergs als Magnet- bzw. Kräftefeld (angelehnt an Alf Lüdtke) bezeichnet, sprich: die Umorientierungsprozesse, die von allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen aufgrund des Prinzeps an der Spitze abverlangt wurden. Derlei Veränderungen sieht sie in den Werken der Satiriker, die bislang oft als fiktional angesehen wurden, gespiegelt. Diese stellten zwar in überspitzter Weise Praktiken und Verhaltensweisen etwa von "Neureichen" oder Sklaven respektive Freigelassenen gegenüber angestammten Eliten dar, seien aber dennoch an der wahrgenommenen Wirklichkeit anknüpfend verfasst worden, da ansonsten die intentionale Wirkung der Werke verfehlt worden wäre.

Diese Grundthese unterliegt den sieben Hauptkapiteln der Arbeit, die sich mit traditionellen wie neuen Handlungs- und Repräsentationsfeldern beschäftigt, nämlich dem Theater, der Praxis des Küssens, dem Klientelwesen, den Vererbungs- und Erbschaftsstrategien, dem Konsumverhalten, den öffentlichen Bädern sowie dem Denunziantentum. Für alle diese Bereiche vermag sie detailliert aufzuzeigen, wie einerseits althergebrachte Erwartungen mit den neuen kaiserzeitlichen "Realitäten" kollidierten, andererseits von allen Seiten, also auch von Senatoren, Strategien entwickelt wurden, mit diesen notwendigen Umorientierungen umzugehen.

Statt aller seien drei Entwicklungen hervorgehoben, die besonders bezeichnend gelten können und auch den Mehrwert der Arbeit insgesamt ausmachen:

Hinsichtlich des tief im Sozialsystem wie -denken verankerten Patron-/Klientelwesens kann Hartmann nachweisen, wie zwar die traditionellen Formen der morgendlichen Begrüßung und Begleitung des Patrons durch die Klienten sowie die (auch finanzielle) Unterstützung letzterer durch ersteren fortbestanden, es jedoch aufgrund der nun vermehrt abgeschlossenen Stände, dem Kaiser sowie der kaiserlichen familia (also einflussreiche kaiserliche Sklaven und Freigelassene) einen schrittweisen, jedoch nie vollständigen Verdrängungsprozess der ärmeren Klienten gab, sich also selbst reiche Eliten aus Prestige-, Protektions- und Karrieregründen nach oben hin orientierten bzw. "klientelisierten", wo sie doch vorher selbst als Spitze gegolten hatten.

Hervorragend entwickelt sie auch, welche Strategie hinter der viel beklagten Kinderlosigkeit innerhalb der Oberschicht, v.a. bei begüterten Frauen, lag. Durch Erbschaften bzw. Legate wurden schon lange Zeit innerhalb der Elite soziale Netzwerke gesponnen, was traditionell mit Heiraten zwischen Familien einherging. In dem Moment jedoch, in dem es sich besser ohne Familie und Kinder leben ließ, da sogenannte Erbfänger den potentiellen Erblasser bzw. die Erblasserin mit Blick und Hoffnung auf materiellen Gewinn umsorgten, wurden nicht nur alte Moralvorstellungen (z.B. diejenige der ehrenwerten matrona) aufgebrochen, sondern auch Möglichkeiten für bislang aus diesen Netzwerken ausgeschlossene Provinziale geschaffen, sich sowohl zu integrieren als auch im kostspieligen Prestigewettbewerb finanziell über Wasser zu halten. Weiterführend wären hier Fragen zu den Anpassungen der augusteischen Ehegesetze in julisch-claudischer Zeit (z.B. im SC Pernicianum) sowie zu der von Augustus eingeführten Erbschaftssteuer (vicesima hereditatium) zu stellen, die durchaus auch mit der Zielsetzung der Unterbindung solcher Netzwerke und neuer Formen der Vererbung in Verbindung stehen dürften.

Letztlich kann sie auch die nach wie vor in der Forschung vorherrschende Vorstellung einer Egalität im Badebetrieb widerlegen. Die Inszenierung in den Thermen war eher ein Handlungsfeld des Kaisers, um seine popularitas zu steigern, oder von "Neureichen", die hierbei ihre Munifizenz zur Schau stellen konnten, denn von traditionell denkenden Senatoren, die sich aus Ehr- und Schamgefühl eher von derlei Öffentlichkeit fernhielten. Dies verknüpft sich gut mit den ebenfalls von ihr herausgearbeiteten Konsumverhaltensweisen, bei der gerade "neureiche" Freigelassene ausgiebig in Luxus, Gastmähler (man denke nur an Petrons Cena Trimalchionis) oder Bauten für die Bevölkerung investierten, um den Makel der unfreien Geburt und der fehlenden Langzeitnetzwerke auszugleichen, während die traditionelle Elite oft in Bargeldnöten war, da vieles in Grundbesitz angelegt war, und sich daher ein umfassendes Kreditwesen zwischen einzelnen Aristokratiehäusern entwickelte.

Alles in allem schärft Hartmann mit ihrer Studie den Blick dafür, dass die Kaiserzeit keineswegs die Fortführung der alten Staatsform als res publica restituta bedeutete, sondern sich neue Sozialprofile innerhalb der Oberschicht, aber auch bei den "Neureichen" herausbildeten, die sich entweder stark am Kaiser und der kaiserlichen domus ausrichteten oder in Nischen vordrangen, die bislang unbesetzt bzw. unbenutzt waren.

Sven Günther