Rezension über:

Robert Frost: The Oxford History of Poland-Lithuania. Volume I: The Making of the Polish-Lithuanian Union, 1385-1569, Oxford: Oxford University Press 2015, XXI + 564 S., ISBN 978-0-19-820869-3, GBP 85,00
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Rezension von:
Christoph Augustynowicz
Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Augustynowicz: Rezension von: Robert Frost: The Oxford History of Poland-Lithuania. Volume I: The Making of the Polish-Lithuanian Union, 1385-1569, Oxford: Oxford University Press 2015, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 6 [15.06.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/06/31859.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Robert Frost: The Oxford History of Poland-Lithuania

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Die Frage nach historischen Alternativen zu Entwicklungen von Gesellschaften in Nationalstaaten und ihren Vorläufern findet in der aktuellen Geschichtswissenschaft nachhaltiges Interesse. Ein möglicher Fokus kann dabei auf Unionsprozessen zwischen politischen Einheiten liegen, denen sich die Reihe Oxford History of Early Modern Europe über zusammengesetzte, sogenannte "komposite" Herrschaften vom 15. bis zum 18. Jahrhundert widmet. In diesem Rahmen erschien auch die vorliegende Publikation; bislang lagen Bände zum Heiligen Römischen Reich, Irland und der Republik der Vereinigten Niederlande vor.

Robert Frost führt überblicksartig und exemplarisch in die Entwicklung der polnisch-litauischen Union an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit ein und strukturiert seine Arbeit anhand von sieben in sich weiter gegliederten Punkten: 1) der Weg zur Union, 2) ihre frühe Etablierung, 3) ihre Krise, die chronologisch sehr konkret in den Jahren 1422-1447 verortet wird, 4) ihre Konsolidierung und Umgestaltung mit Hauptaugenmerk auf Preußen, 5) die Frage von Dynastie und Zugehörigkeitsmerkmalen, 6) die wesentlichen Reformen im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts und 7) der Abschluss der Union. Angesichts des stark synthetischen Charakters der Monografie wird auf Archivrecherchen verzichtet und stattdessen der Umstand genutzt, dass sämtliche wichtigen einschlägigen Quellen in Editionen vorliegen. Darüber hinaus gewährleistet der Autor eine umfassende Verarbeitung vorliegender Forschungsarbeiten in polnischer, litauischer und ukrainischer Sprache und berücksichtigt zudem Titel in Deutsch und Englisch sowie vereinzelt in Belarussisch, Dänisch, Französisch und Russisch.

Auf diese Weise gelingt eine breite und konsequent vergleichende Kontextualisierung von Unionsmodellen hin zu Ostmitteleuropa und zur Habsburgermonarchie, zu Skandinavien sowie über die unmittelbaren Nachbarn Polen-Litauens hinaus zu Großbritannien und Spanien und somit hin zu einer ganz Europa umspannenden Perspektive. Als stellenweise exponierte methodische Referenz dafür fungiert skurrilerweise der Rechtshistoriker Georg Jellinek (1851-1911) mit seiner Arbeit Die Lehre von den Staatsverbindungen (Berlin 1882), wobei dazu ausdrücklich auch rezentere Forschungspositionen erfasst und verarbeitet werden. In chronologischer Hinsicht wird das Thema mittels Vor- und Rückgriffen im Sinne langfristiger Perspektive ebenfalls ausführlich eingebettet. Neben der Berücksichtigung demografischer Faktoren wird zwischen den Optionen Verhandlung / Vertragsabschluss, Eheschließung und Kriegsführung ein breiter Bogen hin zum Großfürstentum Moskau und dem Osmanischen Reich beziehungsweise insbesondere den Tataren gespannt, ferner zum Haus Luxemburg und zum Deutschen Orden; außerdem werden Konziliarismus und Reformation, die Diskussion um die These der Zweiten Leibeigenschaft, Hypothekenpolitik der Herrscher und Steuerbewilligungspolitik des Adels, Parlamentarismus und politische Partizipation, militärdienstliche Verpflichtung und administrative Verdichtung eingeblendet. Biografien der jeweils handelnden politischen Persönlichkeiten zeichnet der Autor komplex und differenziert im Sinne der methodischen Erfassung und Reflexion von Akteurs-Zentrierung und Verflechtung, aber lebensnah im Sinne der Lesbarkeit. Zudem ist das Buch mit Karten, genealogischen Tafeln, Bildern, einem kurzen Glossar sowie einem komplexen Sachindex auffallend großzügig ausgestattet.

Unter dem Gesichtspunkt der formalen Ausgeglichenheit fällt allerdings auf, dass die Unterkapitel von teilweise sehr unterschiedlichem Umfang sind; noch signifikanter ist dabei der Umstand, dass manche von ihnen zu ganz zentralen Motiven und Aspekten der polnisch-litauischen Union und ihres Konstituierungsprozesses äußerst knapp gehalten sind. Beispiele sind etwa die Taufe des Fürsten von Litauen 1385/86 (71ff.) oder die Institutionalisierung der politischen Vertretung und der so wichtigen Entwicklung des Parlamentarismus in der Mitte des 15. Jahrhunderts (286-290).

Dessen ungeachtet liegt mit der hier besprochenen Arbeit zweifelsohne eine enorme Leistung auf Ebene der Akkumulation und Synthese von Fakten und Strukturen vor, die noch dazu ausgesprochen gute Lesbarkeit gewährleistet. Darüber hinaus löst der Autor erfolgreich das Versprechen ein, Unionsmodelle über den Einzelfall hinaus vergleichend zu problematisieren, ohne jemals das konkrete Beispiel aus den Augen zu verlieren. Das vorliegende Buch weckt auf jeden Fall Lust auf mehr - sei es im Sinne der Osteuropäischen Geschichte auf weitere Ergebnisse zu Polen-Litauen, sei es im Sinne der historischen Europaforschung auf Analysen weiterer historisch zusammengesetzter Herrschaften des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit.

Christoph Augustynowicz