Rezension über:

Carroll William Westfall: Architecture, Liberty and Civic Order. Architectural Theories from Vitruvius to Jefferson and Beyond, Aldershot: Ashgate 2015, XIII + 205 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-1-4724-5653-3, GBP 60,00
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Rezension von:
Ingrid Böck
Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften, TU Graz
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Ingrid Böck: Rezension von: Carroll William Westfall: Architecture, Liberty and Civic Order. Architectural Theories from Vitruvius to Jefferson and Beyond, Aldershot: Ashgate 2015, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 7/8 [15.07.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/07/28402.html


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Carroll William Westfall: Architecture, Liberty and Civic Order

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Carroll William Westfalls Buch Architecture, Liberty and Civic Order: Architectural Theories from Vitruvius to Jefferson and Beyond befasst sich mit der Rolle von Architektur im Dienst der Allgemeinheit und zeichnet dieses Konzepts von Leon Battista Alberti im fünfzehnten Jahrhundert, über Palladio und Thomas Jefferson bis zur Moderne im 20. Jahrhundert nach. Die Beurteilung eines Gebäudes setzt sich jedoch aus drei Kategorien zusammen: seine Baukunst, die städtebauliche Eingliederung und seine Nützlichkeit für die Öffentlichkeit und die zivile Ordnung. Als übergreifende Idee definiert die Autorin das Prinzip der Imitation traditioneller Bauformen, das nicht nur das natürlichste, sondern auch das wirksamste Mittel ist, wie Menschen sich Fertigkeiten aneignen. In die Architektur übersetzt bedeutet diese Methode, zuerst die Nachahmung des kanonischen Modells, wie den Wortschatz, die Syntax und Grammatik einer Sprache, zu meistern und dann mit dieser Fertigkeit selbstständig weiter zu arbeiten. Im Rahmen dieser linguistischen Analogie wird nicht nur jedes spezifische Gebäude gelesen und interpretiert, sondern jede Epoche spricht die architektonische Sprache in ihrem eigenen Stil.

Westfall verbindet diese klassische Tradition der Ausbildung, Vermittlung und Beurteilung von Architektur mit der traditionellen englischen Baukunst, in der Schönheit und Harmonie einer Sache eng mit ethischen Konzepten und moralischem Handeln verbunden ist. Studenten aus den amerikanischen Kolonien sorgten für den Wissenstransfer vom englischen Mutterland in die Neue Welt. In Amerika angekommen nimmt nun Jefferson, der Staatsmann und Architekt in einer Person ist, diese klassische englische Tradition auf und nützt sie für seine politische Idee, die sich im Leitspruch "We the People" zusammenfassen lässt. The Rolle der Architektur soll die Autorität des Bauherrn in angemessener Weise ausdrücken, sie ist ein visueller Zeuge der zivilen Gesellschaftsordnung.

Bei dem 1785 bis 1792 erbauten Virginia State Capitol orientierte sich Jefferson an einem der besterhaltenen römischen Tempel Europas, dem Maison Carrée in Nîmes. Die Autorin nimmt diesen Bau als paradigmatisches Modell, um ihr Argument zu verdeutlichen, wie die Imitation traditioneller Architektur - die klassische Säulenordnung und die ausgewogenen Proportionen - im Dienste der jungen Nation genützt wurde. Auch Jeffersons Entwurf für die neue Hauptstadt Washington/L'Enfant, der aus einem Rastersystem aufgebaut ist, gründet auf gesellschaftspolitischen Prinzipien. Das regelmäßige Netz von Vierecken identischer Größe, genau einer Quadratmeile, das Jefferson über den amerikanischen Kontinent zog, sollte zum einen die Weite des Landes unter geometrische Kontrolle bringen, zum anderen jedoch die Gleichheit aller seiner Bürger ausdrücken. Die weitgehende Umsetzung dieses Ideals, das keine Rücksicht auf die natürliche Geländeform nahm, hätte jedoch nicht nur ein Maximum an Ungleichheit und Ungerechtigkeit bedeutet, sondern war schlicht unmöglich.

In den letzten beiden Kapiteln diskutiert die Autorin die heutige Umsetzung der traditionellen Formensprache der Architektur, beispielsweise in Léon Kriers Stadtentwürfen für eine moderne Interpretation als Civitas. Mit dem utopischen Titel des letzten Kapitels, der suggeriert, die schöne Stadt sei auch die gute Stadt, schließt Westfall ihre Untersuchung und geht erstmals auf die Idealstädte ein, die in Werken von Platon oder des Heiligen Augustinus beschrieben sind. Dieser Abschnitt dient auch als Resümee über den weitgespannten thematischen Bogen, der jedoch auf eine vorangehende Begriffsbestimmung und Eingrenzung, beispielsweise von Imitation oder Utopie, verzichtet.

Wer von einer Studie über Architekturtheorien über zivile Ordnung (von Vitruv bis Jefferson und darüber hinaus) eine umfassende Darstellung der theoretischen Konzepte, Kontroversen und Kontexte erwartet, wird von der Argumentation etwas unschlüssig zurückgelassen. Anstatt eine bestimmte Fragstellung forschungsorientiert und reflexiv zu bearbeiten, verfolgt die Studie das Ziel, einen breitgefächerten, jedoch kaum diskutierten Überblick zur Thematik zu vermitteln. Um neben der Vielfalt der angesprochenen Begriffe und Konzepte eine gewisse Einheitlichkeit zu schaffen, konzentriert sich die Autorin bei den Fallbeispielen auf Jeffersons Entwürfe und Bauten. Jedoch ohne das Thema deutlich zu konturieren und die zentrale Forschungsfrage zu definieren, weiß der Leser nicht, welche neuen Erkenntnisse die Autorin mit den zahlreichen Detailbeschreibungen ebenso wie den großen Überblicksdarstellungen präsentiert. Die Thematik von Architektur im Dienste der öffentlichen Ordnung, der Repräsentation der staatlichen Autorität oder des Allgemeinwohls greift in unterschiedliche Forschungszusammenhänge und hätte einer Bestandsaufnahme der disziplinären Perspektiven und Widersprüche bedurft. Trotz mancher Wiederholungen, der Unschärfe der Fragestellung und der Vielfalt der Inhalte finden sich in dieser ambitionierten Studie jedoch auch zahlreiche Entwicklungsperspektiven, die die gesellschaftspolitischen Implikationen von Architektur in den Mittelpunkt rücken.

Ingrid Böck