Rezension über:

Anita Hipfinger (Hg.): "Das Beispiel der Obrigkeit ist der Spiegel des Unterthans". Instruktionen und andere normative Quellen zur Verwaltung der Liechtensteinischen Herrschaften Feldsberg und Wilfersdorf in Niederösterreich (1600-1815) (= Fontes rerum Austriacarum. III. Fontes Iuris; Bd. 24), Wien: Böhlau 2016, 875 S., ISBN 978-3-205-20354-4, EUR 100,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Gunter Mahlerwein
Saarbrücken / Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Gunter Mahlerwein: Rezension von: Anita Hipfinger (Hg.): "Das Beispiel der Obrigkeit ist der Spiegel des Unterthans". Instruktionen und andere normative Quellen zur Verwaltung der Liechtensteinischen Herrschaften Feldsberg und Wilfersdorf in Niederösterreich (1600-1815), Wien: Böhlau 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 9 [15.09.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/09/29565.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Anita Hipfinger (Hg.): "Das Beispiel der Obrigkeit ist der Spiegel des Unterthans"

Textgröße: A A A

Mit der umfangreichen Edition wird eine Quellensammlung vorgelegt, die vielfältige Informationen über die Organisation der grundherrschaftlichen Verwaltung zweier zu Liechtenstein zählender Grundherrschaftsbezirke in Niederösterreich geben kann. Auch wenn die Praxis der Herrschaftsbeziehungen zwischen den herrschaftlichen Amtsträgern und den Untertanen aus diesen normativen Quellen nicht rekonstruiert werden kann, sind doch den zahlreichen Instruktionen, Dekreten und Patenten über einen Zeitraum von fast 250 Jahren einerseits die Bedingungen der Organisation von Herrschaft und andererseits die zunehmende Rationalisierung grundherrschaftlicher Verwaltung, wie sie sich vor allem in den sehr genauen Vorstellungen über die Wirtschaftsführung niederschlug, zu entnehmen. Hier sind insbesondere die Instruktionen für die herrschaftlichen Beamten aufschlussreich, die unter verschiedenen Bezeichnungen mit teilweise variierenden Kompetenzen als Wirtschaftsräte, Burggrafen, Pfleger, Hauptmänner, Rentmeister, Buchhalter etc. ihren Platz im Verwaltungssystem einnahmen. Konkreten Einblick in die Anforderungen an das Wirtschaften der Untertanen bieten die Instruktionen für die Meier, die Förster, die Müller, die Pfister, die Bierbrauer, die Tiergärtner und die Kellner. Die Kompetenzen lokaler Herrschaftsträger werden in den Bestimmungen für die Dorfrichter offengelegt.

Ob es sich bei den Vorgaben in der um 1604 erstellten Instruktion für den Pfleger Hans Stübel um das in der Praxis nicht erreichte Ideal eines Wirtschaftsbetriebes handelte, ist aus dieser und anderen ähnlichen Quellen nicht abzulesen. Genaueste Vorgaben zum Umgang mit den frondienstpflichtigen Untertanen, zur Pflege der Gebäude, zur Versorgung mit Baumaterialien, zur Geflügelhaltung, zur Getreideaussaat, Sortenauswahl, Ernte, zur Bierbrauerei, zur Fischerei und vieles mehr geben aber zweifellos Auskunft über die Kompetenzbereiche dieser Amtleute, über Produktionszweige und potenzielle Konfliktlagen (100-117). Dass solche detaillierten Vorgaben auch auf Berichte der Beamten vor Ort zurück gehen können, zeigt sich etwa an den Meliorationsvorschlägen, die der Hauptmann von Wilfersdorf 1709 an die Zentrale schickte (736).

Dass ein Amtmann durch seine Amtsführung nicht nur seine Autorität, sondern auch die der Grundherren stabilisieren, aber auch gefährden konnte, wurde ausdrücklich in einer Instruktion des Jahres 1608 festgehalten (153). Vielleicht schon unter dem Eindruck entsprechender Diskurse wurden die herrschaftlichen Jäger und Förster 1787aufgefordert, die Untertanen "güthig und menschlich, nicht immer mit harten worten und schlägen" zu behandeln (563).

Bei aller Ausführlichkeit der Instruktionen waren aber auch ihren Verfassern die Grenzen solcher Kommunikation bewusst: "weillen ohnmöglichen alles, waß bei der württschafft sich ereignet in ein instruction gebracht werden kann, also würd daz übrige, waß hierinnen nicht begriffen und hervorkomen mechte, seiner dexterität beschieden", bekam ein Wirtschaftsrat um 1712 geschrieben (377).

Zunehmendes Interesse an der Rationalisierung der Wirtschaftsführung und der Ausübung der lokalen Herrschaft zeigt sich in den Instruktionen, die nach 1750 einer Untersuchungskommission mitgegeben wurden, die im Auftrag des Fürsten Joseph Wentzel von und zu Liechtenstein nach Verbesserungspotenzialen bei der Mehrwertabschöpfung suchen sollte. Insbesondere durch das Bauwesen würden "die quoten um nahmhafftes verringert", daher sollte geprüft werden, ob in den Grundherrschaften nicht unnötige Bauten errichtet, in den Häusern der Beamten nicht zu aufwändige Arbeiten ausgeführt würden und ob Schlösser, in denen die Herrschaft nicht lebt, nicht "cassieret" werden und dabei anfallende Abbruchmaterialien verkauft oder recycelt werden könnten (467).

Neben vielen für die direkte Beziehung zwischen Amtleuten vor Ort und Untertanen aufschlussreichen Hinweisen erweist sich die Edition auch für stärker ökonomisch interessierte Agrarhistoriker als ausgesprochen informativ. Dass Ende des 18. Jahrhunderts ausführliche Vorschläge zur Urbarmachung von bislang nicht genutzten Flächen, zur Verwendung des Düngers, Verminderung der Brache, Verbesserung des Wiesenbaus und zum Kleebau gemacht wurden, überrascht wenig (529). Dass aber etwa in einer Wirtschaftsinstruktion des Jahres 1686 schon die Rinder- und Schweinemast mit dem "Gespüllich" aus der Branntweinbrennerei forciert und die Nutzung dieser Ressource durch nicht dem grundherrschaftlichen Betrieb Angehörende unter hohe Strafandrohung gestellt wurde (208), ist ein frühes Zeugnis für die in der zweiten Hälfte des 18. und im frühen 19. Jahrhundert den Kern agrarischer Innovationen darstellende Mastpraxis, die angesichts der damit verbundenen Steigerung von Viehbestand und Düngemöglichkeit die Überwindung der brachengebundenen Landwirtschaft ermöglichte.

Die hervorragend bearbeitete Edition erweist sich als Quelle für vielfältige Forschungsfragen, bietet auch überregional Vergleichsmöglichkeiten und eignet sich darüber hinaus sehr gut für den Einsatz in der akademischen Lehre.

Gunter Mahlerwein