Rezension über:

Christine Grieb: Schlachtenschilderungen in Historiographie und Literatur (1150-1230) (= Krieg in der Geschichte (KRiG); Bd. 87), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2015, 346 S., ISBN 978-3-506-78136-9, EUR 44,90
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Rezension von:
Fabian Fellersmann
München
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Fabian Fellersmann: Rezension von: Christine Grieb: Schlachtenschilderungen in Historiographie und Literatur (1150-1230), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2015, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 12 [15.12.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/12/27167.html


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Christine Grieb: Schlachtenschilderungen in Historiographie und Literatur (1150-1230)

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Christine Grieb folgt in dieser auf ihrer Dissertation beruhenden Publikation den Spuren ihres Doktorvaters Martin Clauss. Dieser hat 2010 eine kulturgeschichtliche Untersuchung zur Darstellung von Kriegsniederlagen in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung vorgelegt. [1] Grieb betrachtet nun die Schlachtenschilderungen von höfischer Literatur und Historiographie in einem deutlich kleineren Zeitraum von nur 80 Jahren. Zentral ist für sie die Frage, wie die Erzählabsicht die Auswahl und Präsentation einzelner Elemente in den Texten steuert. Ganz wie Martin Clauss versteht sie dabei nicht nur die Schlachtenschilderungen der literarischen Werke, sondern auch die der zeitgenössischen Geschichtsschreibung in erster Linie als Erzählungen.

Grieb greift für ihre Untersuchung auf historiographische Werke und höfische Literatur aus dem nordalpinen Reichsgebiet zwischen 1150 und 1230 zurück. Damit bewegt sie sich im Zeitraum des deutschen Hochmittelalters, dessen Schlachtenschilderungen bereits häufig Gegenstand von Untersuchungen waren; im Fall der höfischen Literatur von Seiten der germanistischen Mediävistik und im Fall der Historiographie hauptsächlich durch die militärgeschichtliche Forschung. Auch aus kulturgeschichtlicher Perspektive wurden viele der von Grieb herangezogen Texte bereits betrachtet, neben ihrem Doktorvater auch etwa von Malte Prietzel. [2] Neu ist in diesem Fall der direkte Vergleich der Schlachtendarstellung beider Genres, wobei literaturwissenschaftliche und militärgeschichtliche Fragestellungen größtenteils ausgeklammert werden. Die Autorin geht dabei nicht von klaren Genregrenzen zwischen Historiographie und höfischer Literatur aus; Ziel beider Gattungen sei es, zu belehren und zu unterhalten. (32) Wo die narrative Analyse nicht ausreicht, um bestimmte Erzählelemente zu erklären, greift die Autorin auf die Methode der Diskursanalyse zurück und fragt tiefgreifender nach dem "unbewusste[n], außertextuelle[n] Regelwerk" (31), das diesen Passagen zugrunde lag.

Die eigentliche Untersuchung gliedert Grieb in insgesamt acht Kapitel, unter denen sie charakteristische Elemente hochmittelalterlicher Schlachtenschilderungen zusammenfasst. Bereits der erste Abschnitt zum "Personal" (53-92) in den Erzählungen zeigt, wie ähnlich sich die beiden betrachteten Genres häufig sind. Sowohl in der höfischen Literatur als auch in der Historiographie konzentrieren sich die Schlachtenschilderungen auf einzelne Helden, nicht auf große Kämpfermassen. Bei diesen Helden handelt es sich um sozial höhergestellte Persönlichkeiten, die sich im Kampfgeschehen durch ihre Taten hervortun und sich dabei großer Gefahr aussetzen. Die Tötungskompetenz des Protagonisten ist dabei in beiden Genres wichtig, Raserei und Gewaltrausch wird dagegen nur in der höfischen Literatur geschildert, während die geistlichen Historiographen sie aussparen. Furcht empfindet der Held in keinem der Texte, sie wird geradezu stigmatisiert.

Die Konzentration auf Einzelpersonen setzt sich im zweiten Kapitel - "Taten" (92-170) - fort. Der Massenkampf, der eine Schlacht letztlich ausmacht, wird in beiden Genres nur knapp dargestellt, wobei auf Topoi und immergleiche Motivsets zurückgegriffen wird, die nicht zuletzt aus antiken Werken übernommen werden. Stattdessen konzentriert sich die höfische Literatur hauptsächlich auf Zweikämpfe zwischen einzelnen Protagonisten und Antagonisten. Das komplexe Geschehen der Schlacht tritt dabei völlig in den Hintergrund, teils entscheiden die Duelle sogar den Ausgang des gesamten Kampfes. Die Historiographie dagegen nutzt Zweikämpfe in ihren Schlachtenschilderungen fast gar nicht, was Grieb mit dem höheren Realismusanspruch dieses Genres begründet. (110) Dort taucht dafür öfter der Einzelkampf auf, womit der Kampf des Helden gegen eine anonyme Masse gemeint ist, beispielsweise in Tagenos Darstellung der Schlacht von Ikonium, die sich auf die Schilderung von Friedrich Barbarossa als Kämpfer konzentriert. Trotz dieses Unterschiedes zeigen sowohl höfische Literatur als auch die zeitgenössische Geschichtsschreibung ein idealisiertes Bild des Kampfgeschehens, bei dem der einzelne Kämpfer entscheidend sein kann. (117)

Es würde den Rahmen einer Rezension bei weitem sprengen, sämtliche von der Autorin betrachteten Einzelelemente der Schlachtenschilderungen anzusprechen. Insgesamt kann gesagt werden, dass es ihr sehr gut gelingt, nicht nur den Charakter der beiden Genres, sondern auch den der verschiedenen Untergattungen (im Fall der höfischen Literatur) und sogar die Eigenheiten einzelner Autoren und Werke herauszustellen. Immer wieder sticht Wolfram von Eschenbachs Willehalm heraus, der ausführlich auf den in anderen Werken ignorierten Massenkampf eingeht und den muslimischen Gegnern ein ungewöhnlich hohes Maß an Respekt entgegenbringt. Eine Sonderrolle nehmen auch die stark idealisierten und relativ unblutigen Schlachtenschilderungen der Artusromane ein, während der Chronist Rahewin einen Hang zu äußerst drastischen Gewaltdarstellungen an den Tag legt. Grieb kann dadurch zeigen, dass es zwar einige grundsätzliche Unterschiede zwischen den Erzählungen der höfischen Literatur und der Historiographie gibt, die Grenzen aber ansonsten quer durch beide Genres verlaufen können.

Damit ist schon ein gewisses Problem der Studie angeschnitten. Sobald dem Leser der allgemeine Charakter der Werke einigermaßen klar geworden ist, erklärt sich vieles ganz von selbst. So verwundert es nicht, wenn in der stark auf ein adeliges Publikum zielenden zeitgenössischen Literatur Elemente genutzt werden, die der höfischen Gesellschaft vertraut waren bzw. auf diese faszinierend wirken mussten. Dazu gehören etwa Waffen und Rüstungen, die übernatürliche Eigenschaften besitzen und mythologisch aufgeladen sind. Es erscheint nicht ungewöhnlich, wenn solche Aspekte in den knappen und realistischeren Schlachtenschilderungen der geistlichen Chronisten fehlen. Noch weniger erstaunt es, dass dort keine Fabelwesen auftauchen.

Besonders lohnend liest sich Griebs Darstellung immer dann, wenn sie neue Erklärungen für Erzählelemente liefern kann, deren Zustandekommen aus heutiger Sicht rätselhaft ist. Herausgegriffen sei hierbei die Passage, in der sie sich dem Spannungsfeld zwischen Wagemut und Selbstdisziplin widmet. Sowohl in der höfischen Literatur als auch in der Historiographie findet sich der Widerspruch, dass eigenmächtiges, risikobereites Handeln einerseits als Heldentum glorifiziert, andererseits das gleiche Verhalten als disziplinloser Leichtsinn verurteilt wird; manchmal sogar von ein und demselben Autor. Gerade innerhalb der militärgeschichtlichen Forschung führte dies immer wieder zu Diskussionen darüber, ob nun individuelles Handeln oder disziplinierte Kämpfergruppen das Schlachtgeschehen bestimmten. Grieb interpretiert diesen Widerspruch in den Texten als Konkurrenz zweier Diskurse, die das Schreiben über den Krieg bestimmten. Die Autoren seien einerseits den Erzählmustern von Heldentum verpflichtet, andererseits wollten sie auch über effektives Agieren im Krieg belehren. Wie ihr Urteil über eigenmächtiges Handeln ausfiel, war davon abhängig, ob dieses zum Erfolg führte oder nicht. Das ist aus heutiger Sicht nicht logisch, Griebs Erklärung macht jedoch verständlicher, wie es zu diesem Widerspruch kam und zeigt, dass man ihn letztlich gar nicht auflösen muss. (134)

Interessant ist auch der Abschnitt zu Zahlenangaben - vor allem in Bezug auf Heeresgrößen und die Menge der getöteten Gegner - in den herangezogenen Werken. Die Autorin stellt dabei fest, dass keine grundlegenden Unterschiede bezüglich der Verwendung von Zahlen zwischen den Genres festzustellen seien. Zwar nennt die höfische Literatur tendenziell höhere Zahlen, aber auch die Historiographie spart nicht mit unrealistischen und teils in sich unlogischen Angaben. Eine spezifische Symbolik, etwa durch Rückgriff auf bestimmte biblische Zahlen, kann Grieb dabei kaum erkennen. Auch sieht sie keinen ernsthaften Wahrheitsanspruch der Autoren, trotz häufiger Wahrheitsbeteuerungen bei unrealistisch hohen Zahlen. Die Angaben seien eher ein Werkzeug der Erzählabsicht des Autors als echte Sachinformationen, und so auch vom Publikum verstanden worden. (281)

Griebs Ansatz, die narrative Analyse auf Schlachtenschilderungen aus einem zeitlich und geographisch eng begrenzten Rahmen anzuwenden, bewährt sich letztlich. Ihre Erkenntnisse sind dadurch konkreter als bei vergleichbaren Studien mit umfassenderem Betrachtungsrahmen. Dies macht das Buch zu einem guten Leitfaden für den Umgang mit den häufig verworren wirkenden Schlachtenschilderungen des Hochmittelalters. Das größte Problem der Studie ist möglicherweise, dass sich die Autorin in Bezug auf die verwendeten Quellen zwangsläufig auf recht ausgetretenen Pfaden bewegen muss. Daher ist es für sie nicht ganz einfach, völlig neue Akzente zu setzen. Wo ihr dies aber gelingt, können ihre Einschätzungen überzeugen und deutlich zeigen, wie wichtig es ist, stets die Erzählabsicht der zeitgenössischen Autoren zu hinterfragen. In diesem Sinne werden Griebs Analysen in jedem Fall für zukünftige Betrachtungen mit literatur-, militär- oder kulturgeschichtlichem Blickwinkel relevant sein.


Anmerkungen:

[1] Martin Clauss: Kriegsniederlagen im Mittelalter. Darstellung - Deutung - Bewältigung (= Krieg in der Geschichte, Band 54), Paderborn u.a. 2010.

[2] Malte Prietzel: Kriegführung im Mittelalter. Handlungen, Erinnerungen, Bedeutungen (= Krieg in der Geschichte, Band 32), Paderborn u.a. 2006.

Fabian Fellersmann