Rezension über:

Alison Langdon (ed.): Animal Languages in the Middle Ages. Representations of Interspecies Communication (= The New Middle Ages), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2018, XVI + 272 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-319-71896-5, EUR 93,59
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Gabriela Kompatscher
Universität Innsbruck
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Gabriela Kompatscher: Rezension von: Alison Langdon (ed.): Animal Languages in the Middle Ages. Representations of Interspecies Communication, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 3 [15.03.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/03/32794.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Alison Langdon (ed.): Animal Languages in the Middle Ages

Textgröße: A A A

Sprache, im Sinne gehaltvoller Kommunikation, präsentiert sich nicht nur verbal, sondern auch körperlich (gestisch, elektrisch, chemisch et cetera), sodass sie mittlerweile nicht mehr als Anthropinon gelten und somit auch nicht mehr als ein mögliches Kriterium für eine Sonderstellung des Menschen unter anderen Tieren herangezogen werden kann. [1] Auch andere vermeintliche Anthropina wie Kreativität, Emotionen, Kultur, Moral, Impulskontrolle, Bewusstsein und so weiter sind inzwischen gefallen [2], und die Annahme, dass es eine Grenze gäbe, welche den Menschen vom "Tier" separiere, hat sich als Irrtum erwiesen. [3]

Dass offensichtlich bereits mittelalterliche Beobachter und Beobachterinnen überkommenen (zum Beispiel aristotelischen) Denktraditionen skeptisch gegenüberstanden und sich stattdessen auf empirische Fakten konzentrierten, dass weitere Autoren mittelalterlicher Texte Tiere nicht nur als Bedeutungsträger funktionalisieren, sondern dass sie öfter als bisher angenommen auch ein Interesse am 'realen' Tier, seiner Wirkmächtigkeit und seinen Kommunikationsmöglichkeiten haben, zeigen die im vorliegenden Band versammelten Aufsätze.

Die Herausgeberin Alison Langdon ordnet die einzelnen Beiträge, die aus der Feder von Autoren und Autorinnen aus den Fachbereichen Anglistik, Romanistik und Geschichte, jeweils mit mediävistischem Schwerpunkt, stammen, umsichtig drei Hauptkapiteln zu ("Communicating Through Animals", "Recovering Animal Languages", "Embodied Language and Interspecies Dependence"). Stellvertretend soll hier je ein Artikel besprochen werden.

Sally Shockro, eine junge Historikerin, untersucht in ihrem anregenden Artikel "Saints and Holy Beasts: Pious Animals in Early-Medieval Insular Saints' Vitae" (51-68) die Bandbreite der Interaktionen und Beziehungen zwischen Heiligen und Tieren: Tiere werden als willfährige Werkzeuge Gottes und als Zeugen der Heiligkeit seiner Diener dargestellt, sie werden als passive Überbringer von Nachrichten eingesetzt und intradiegetisch auch entsprechend gedeutet, sie zeigen aber auch Agency, wenn sie bewusst und deutlich erkennbar mit dem Heiligen interagieren und kommunizieren und so aktiv zur Etablierung einer christlichen Gesellschaft beitragen; es werden ihnen - anders als in biblischen Texten - mitunter Moral, Emotionen und Vernunft zugesprochen, was sie nicht nur zu idealen Gefährten und Freunden der Heiligen macht, sondern auch zu Begleitern und Förderern der spirituellen Entwicklung der Heiligen, die ihrerseits deren christliche Moralvorstellungen zu spiegeln beginnen. Shockro exemplifiziert ihre Beobachtungen an den Viten der Heiligen Guthlac und Cuthbert. Dabei diagnostiziert sie verschiedene Arten der Kommunikation, die zwar meist asymmetrisch und anthropozentrisch ausgerichtet, aber in den von ihr gewählten Beispielen stets von gegenseitigem Respekt und Verständnis geprägt sind, und die Beteiligten, Mensch und Tier, als "fellow participants in the Christian world" (59) ausweist. Die Beobachtung, dass die Tiere christliche Werte schon vor der Belehrung durch die Heiligen internalisiert haben, aber bewusst dagegen verstoßen, ist zwar naheliegend, wurde aber meines Wissens nach noch nirgends so deutlich dargelegt. Dass Begegnungen und Interaktionen mit Tieren die Stationen der spirituellen Progression Cuthberts markieren, wird ebenfalls überzeugend veranschaulicht. Laut Shockro zeigen die engen Mensch-Tier-Beziehungen in diesen Erzählungen, dass sich durch eine konsequente christliche Lebensführung Mensch und Natur, die sich seit Adams Ausschluss aus dem Paradies voneinander entfernt haben, wieder annähern können. Es bleibt noch zu sagen, dass in dieser Idealvorstellung der Mensch nach wie vor alle anderen Tiere dominiert.

Bemerkenswert ist auch der Artikel der Herausgeberin Alison Langdon zum Werwolf-Lai Maries de France aus dem 12. Jahrhundert ("'Dites le mei, si ferez bien': Fallen Language and Animal Communication in Bisclavret", 153-171). Der Fokus liegt hier auf der Bestrafung der Ehefrau Bisclavrets, die ihren Mann verraten und hintergangen hat: Als Werwolf, der einerseits noch seine Humanität zum Ausdruck bringen und somit als Edelmann agieren kann, der er ja ist, und andererseits hundeähnliches Verhalten zeigt, verstümmelt er seine frühere Frau, indem er ihr die Nase abbeißt. Das Neue an Langdons Herangehensweise ist nun unter anderem die Übernahme einer tierischen Perspektive: "To approach the significance of noselessness from a canine perspective may deepen our understanding of the poem's centrals concerns." (160) Das herausragende Geruchsempfinden von Hunden war ansatzweise bereits im Mittelalter bekannt; für Hunde ist die Nase, wie Langdon auf der Basis moderner wissenschaftlicher Kenntnisse ausführt, ein elementares Sinnesorgan, über das ein Großteil der intra- und interspeziellen olfaktorischen sowie mimischen Kommunikation läuft. Die Autorin führt hier das brachyzephalische Syndrom bei manchen Hundezüchtungen, wie Bulldoggen, an, das die Kommunikation erschwert. So wird nun auch Bisclavrets frühere Frau einer - vor allem aus Hundesicht maßgeblichen - Kommunikationsmöglichkeit und eines Instruments der Wahrnehmung beraubt. Dass Langdon in einer Fußnote (Nummer 54) auch auf die sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen brachyzephalischer Zuchtmerkmale zu sprechen kommt und den Artikel somit um eine ethische Note erweitert, wertet diesen noch auf.

Monica Antoinette Ehrlich verweist bei der Interpretation von Chrétiens de Troyes Yvain auf die transformative Kraft der Löwenfigur und ihrer Beziehungen zum menschlichen Protagonisten und verbindet diese Lesart mit Erkenntnissen unter anderem aus der Forschung in den Bereichen Biologie, Kognitionswissenschaft, Psychologie und tiergestützter Therapie. Die positiven Auswirkungen von Mensch-Tier-Beziehungen auf den Menschen sind vielfach untersucht, kaum jedoch die Folgen, negative wie positive, für die betroffenen Tiere. Der von Ehrlich untersuchte Text ist ein weiteres Beispiel für die anthropozentrische Sicht auf Mensch-Tier-Verhältnisse: Der Löwe wird als Agens für die emotionale (und somit soziale) Weiterentwicklung Yvains, die aus dieser Interspezies-Kommunikation resultieren wird, instrumentalisiert. Die Autorin richtet jedoch ihr Augenmerk auf die bidirektionale Kommunikation zwischen Mensch und Tier, die mittels "embodied emotions", also Gefühlszustände vermittelnde Mimik und Gestik, funktioniert: "Embodied emotions function as a lingua franca, allowing animals and humans to communicate across species lines." (236) Sie lenkt dabei den Blick darauf, wie der Text die (vermeintliche) menschliche Überlegenheit in Frage stellt, wenn ein Tier zum Lehrer für einen Menschen wird.

Das Buch zeigt, wie auch die Mediävistik vom Animal Turn profitieren kann, indem man Texttiere nicht nur als reine Metaphern und Symbole sowie literarische Komparsen ohne Wirkmacht interpretiert, sondern anerkennt, dass mittelalterliche Autoren Tiere durchaus auch als kommunikativ agierende Subjekte im Blick haben. Die Autoren und Autorinnen des Bandes wenden moderne wissenschaftliche Theorien an, wie etwa die Agency Theory, arbeiten interdisziplinär, indem sie zum Beispiel Erkenntnisse aus Ökolinguistik, Komparativer Psychologie und Ethologie berücksichtigen und versuchen mitunter eine Tierperspektive einzunehmen.

Die Human-Animal Studies [4] verfügen (noch) über kein eigenes Methoden- und Theorienrepertoire und folgen auch keinen einheitlichen Richtlinien (so arbeiten manche Forscher und Forscherinnen rein deskriptiv, andere wiederum kritisch-politisch). Entsprechend vielfältig sind auch die in diesem Band versammelten Ansätze, wodurch sie reichhaltige Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Disziplin bieten.


Anmerkungen:

[1] Ausführlich dargestellt zum Beispiel von Michael Zechmann: Die Mensch/Tier-Grenze - Sprache und Bewusstsein: Warum Tiere denken, sprechen und trauern können, CreateSpace Independent Publishing Platform 2018 (Dissertation, Universität Innsbruck).

[2] Dazu etwa Judith Benz-Schwarzburg: Verwandte im Geiste - Fremde im Recht. Sozio-kognitive Fähigkeiten bei Tieren und ihre Relevanz für Tierethik und Tierschutz, Erlangen 2012, und Marc Bekoff: Wild Justice and Fair Play. Cooperation, Forgiveness, and Morality in Animals, in: Biology and Philosophy 19 (2004), 489-520.

[3] Siehe etwa Volker Sommer: Zoologie. Von "Mensch und Tier" zu "Menschen und andere Tiere", in: Reingard Spannring et alii (Hgg.): Disziplinierte Tiere? Perspektiven der Human-Animal Studies für die wissenschaftlichen Disziplinen, Bielefeld 2015, 359-386.

[4] Dazu etwa Gabriela Kompatscher et aliae: Human Animal Studies, Münster 2017.

Gabriela Kompatscher