STELLUNGNAHME ZU

Uta-Christiane Bergemann: Rezension von Christiane Elster: Die textilen Geschenke Papst Bonifaz' VIII. (1294-1303) an die Kathedrale von Anagni. Päpstliche Paramente des späten Mittelalters als Medien der Repräsentation, Gaben und Erinnerungsträger, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 2 [15.02.2019], URL: http://www.sehepunkte.de /2019/02/31770.html


Von Christiane Elster

Trotz des durchaus wohlwollenden Gesamturteils weist die Rezension von Frau Bergemann einige Aspekte auf, die ich präzisieren und ergänzen möchte. Ich hoffe, mit den folgenden Ausführungen einige Anregungen für die zukünftige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem in meiner Publikation behandelten Material liefern und zeigen zu können, welches Potenzial die Anwendung aktueller kulturwissenschaftlicher Ansätze für eine kontextorientierte Erschließung mittelalterlicher Textilien bietet.

1. Zur Fragestellung der Publikation und ihrer methodischen Ausrichtung
In der gesamten Rezension wird nichts zur methodischen Ausrichtung meiner Publikation und ihrem Beitrag zu aktuellen Forschungsdiskursen innerhalb der mittelalterlichen Kunstgeschichte sowie ihrer mediävistischen Nachbardisziplinen gesagt. Die Rezensentin vermisst eine "sachbezogene Straffung" in den dem Katalogteil vorangehenden Kapiteln, welche die Funktion, Bedeutung und Rezeptionsgeschichte der päpstlichen Textilgeschenke des späten Mittelalters behandeln. Dieses Urteil basiert allerdings auf der Annahme, die Publikation beschränke sich auf die Behandlung eines Fallbeispiels, nämlich der textilen Geschenke Papst Bonifaz' VIII. (1294-1303) an die Kathedrale von Anagni. Möglicherweise ist diese Annahme durch eine den (Haupt-) Titel der Publikation von ihrem Untertitel isolierende Lesart mitbestimmt. Lässt man den Untertitel nicht außen vor, wird klar, dass es in dem Buch nicht nur um die Paramente aus Schenkungen Bonifaz' VIII. geht, sondern um "päpstliche Paramente des späten Mittelalters als Medien der Repräsentation, Gaben und Erinnerungsträger". Ob eine Vertauschung von Titel und Untertitel einer falschen Erwartungshaltung der Leser*innen vorgebeugt hätte, sei an dieser Stelle dahingestellt.

In jedem Fall möchte meine Publikation mehr leisten als die Neuerschließung eines bedeutenden, in der Kunstgeschichte bislang so gut wie nicht beachteten Bestandes spätmittelalterlicher Paramente. Ausgehend von einer genauen, textilwissenschaftlich ausgerichteten Bestandsaufnahme der untersuchten Objekte schlägt sie eine Brücke hin zu fachübergreifend geführten Debatten der mediävistischen Disziplinen über die Bedeutung der materiellen Kultur für Repräsentation und Gedächtnis. Eine Brücke, die sicherlich ein Wagnis darstellt, die ich aber angesichts der fortbestehenden Diskrepanzen zwischen Vertreter*innen einer rein textilwissenschaftlich ausgerichteten Arbeit mit textilen Objekten und Verfechter*innen einer theoretisch-objektwissenschaftlichen Perspektive auf diese Artefakte als notwendig erachte. Die Einbindung aktueller, kulturwissenschaftlich ausgerichteter methodischer Ansätze wie der "material culture-studies", der Erinnerungsforschung und insbesondere ausgewählter, aus der Anthropologie stammender Gabentheorien eröffnet am Beispiel der päpstlichen Textilgeschenke nach Anagni und ausgewählter Vergleichsobjekte neue Erkenntnisse dahingehend, wie historische Textilien als Medien der Repräsentation, Geschenke und Erinnerungsträger funktionieren konnten. Im Fokus steht dabei besonders der Moment der Schenkung, der in Kapitel 4 behandelt und in den größeren Kontext von Textil- und Kleiderschenkungen der europäischen Vormoderne gestellt wird, die bislang von kunsthistorischer Seite noch nicht systematisch untersucht worden sind. Um die Frage zu beantworten, wie die Dynamiken der Reziprozität und der mit ihr einhergehenden Verpflichtungen bei den päpstlichen Textilgeschenken nach Anagni und an andere Orte jeweils visuell und materiell aufgeladen wurden, bot es sich an, mit anthropologischen Erklärungsmodellen ausgehend von der Gabentheorie des Marcel Mauss zu arbeiten (145-149). Dieser zeigte bereits in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, dass das Schenken in gesellschaftlichen Kollektiven soziale Beziehungen stiftet und aus den drei verpflichtenden Elementen Geben, Nehmen und Erwidern besteht (Prinzip der Reziprozität). Die Anwendung des Modells von Mauss hat in den historischen Disziplinen spätestens seit der anthropologischen Wende der jüngeren Geschichtswissenschaft Tradition; hier knüpft die Publikation explizit an einen bereits bestehenden wissenschaftlichen Diskurs an (vgl. etwa Gadi Algazi/Valentin Groebner/Bernhard Jussen (Hrsg.): Negotiating the gift. Pre-modern figurations of exchange (Veröffentlichungen des Max-Planck-Institutes für Geschichte 188), Göttingen 2003). Dieser wird von der Rezensentin jedoch nicht erwähnt, ebensowenig die Tatsache, dass die Mauss’sche Gabentheorie gerade für das Fach Kunstgeschichte beträchtliches Potenzial birgt insofern, als dass es die besondere, aus ihrer materiellen und visuellen Beschaffenheit resultierende Wirkmacht der Gaben analysieren könnte (vgl. Cecily Hilsdale: Gift, in: Medieval Art History Today - Critical Terms, hg. von Nina Rowe (Studies in Iconography 33), Kalamazoo 2012, S. 171-182). Dieses Desiderat am Beispiel der päpstlichen Textilgeschenke des späten 13. Jahrhunderts zu beheben und damit neue Schlaglichter auf die Funktion und "agency" textiler Gaben der europäischen Vormoderne zu werfen, war ein erklärtes Ziel der Publikation.

2. Zu Papst Bonifaz VIII. als Stifter bzw. Schenker
Frau Bergemann bemängelt in ihrer Rezension die unzureichende Einbindung von Papst Bonifaz VIII. (Benedikt Caetani, 1294-1303) als Stifter- bzw. Schenkerfigur. Der Papst wird jedoch direkt im ersten Kapitel des Buches vorgestellt und der Forschungsstand zu seiner Person zusammengefasst (14-17). Dass er und seine Politik im weiteren Verlauf des Buches keine spezifischere Beachtung finden, hängt mit dem konservativen Charakter seines Pontifikats zusammen, welches das Kirchen- und Herrschaftsverständnis der vorangehenden Päpste in vielfacher Hinsicht fortführte und es zugleich zu einem Höhepunkt und Abschluss brachte. Auch das textile Artefakte betreffende Schenk- und Stiftungsverhalten Bonifaz' VIII., welcher der Kunstgeschichte bislang vor allem durch seinen programmatischen und innovativen Einsatz der Monumentalskulptur für die päpstliche Repräsentation bekannt geworden ist, erscheint stark durch Kontinuitäten geprägt. Diese lassen sich bis auf Innozenz III. (1198-1216) zurückverfolgen, dessen textile Gaben in den Stiftungslisten der Gesta Innocentii III detailliert überliefert sind (166-167). Daher wird der Fokus nicht so sehr auf Bonifaz VIII. als isolierte Stifterpersönlichkeit, sondern auf das textile Schenkverhalten der Päpste des 13. Jahrhunderts insgesamt gerichtet. Dieses rekurriert aber wiederum stark auf die im Liber Pontificalis überlieferten textilen Stiftungen der Päpste des 8. und 9. Jahrhunderts an Kirchen innerhalb und außerhalb Roms (161-166). Das Schenkungswesen der karolingischen Päpste schließlich adaptierte, im Kontext der Begründung der weltlichen Herrschaftsgewalt der Päpste nach der Pippinischen Schenkung Mitte des 8. Jahrhunderts, vermutlich die Gabenkultur des römischen Kaisertums und deren Fortführung am kaiserlichen Hof in Byzanz. Um all diese Zusammenhänge zu verdeutlichen, wurden auch die Textil- und Kleidergaben der byzantinischen Kaiser in den in Kapitel 4 vorgelegten Überblick über die vielfältigen Formen und Entwicklungen textiler Geschenke in der europäischen Vormoderne eingebunden (149-161).

3. Die technische Analyse der Paramente - ein Forschungsdesiderat
Eine weitere Kritik der Rezensentin zielt auf die ungenügende Einbindung technischer Analysen in die Bestandsaufnahme der aus den Schenkungen Papst Bonifaz' VIII. im Domschatz von Anagni erhaltenen liturgischen Textilien. Um diesem Desiderat nachzukommen, bedürfte es einer gründlichen textiltechnologischen Untersuchung der Paramente, die zweifelsohne wünschenswert wäre, im Rahmen des der Publikation zugrundeliegenden Dissertationsprojekts aber nicht möglich war. Ein größeres Forschungsprojekt, bei dem Kunsthistoriker*innen und Restaurator*innen zusammenarbeiten und an dem die für Anagni zuständigen Denkmalpflegebehörden als Kooperationspartner aktiv beteiligt sind, könnte mit Hilfe von genauen Material-und Technikanalysen unter Umständen die im Buch ausführlich diskutierte und bewusst offen gelassene Frage der Herkunft des "opus cyprense" aus Zypern oder Sizilien klären (110-122).

4. Die Ikonographie der figürlich bestickten Paramente im Kontext ihrer liturgischen Funktion
Ferner moniert die Rezensentin, dass die Analyse der Bildprogramme der figürlich bestickten Paramente aus den Schenkungen Bonifaz' VIII. deren liturgische Funktion zu wenig berücksichtige. Dabei verkennt sie, dass das gesamte den Bildprogrammen der liturgischen Textilien in Anagni gewidmete Unterkapitel "Bildsprache und Ikonographie" (66-87) von der Erkenntnis geleitet wird, dass die Ikonographie der Paramente zwar zum einen durch ihre päpstliche Ausrichtung geprägt ist, zum anderen aber durch ihre liturgische Funktion bestimmt wird: "Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass die Bildsprache der Paramente insgesamt stark auf das römische Papsttum ausgerichtet ist [...]. Davon abgesehen werden die Bildprogramme nahezu aller nach Anagni gestifteten Textilien zumindest zum Teil durch ihren Verwendungskontext in der christlichen Liturgie bestimmt, sind also funktional ausgerichtet und beinhalten ein selbstreferentielles Moment." (66). Dies wird bei der anschließenden Beschreibung der verschiedenen Objektgruppen bei mehreren Einzelobjekten explizit herausgearbeitet, und zwar anhand des Antependiums mit Kreuzigung Christi als "arbor vitae" und der liturgischen Gewänder in "opus anglicanum" (70-74).
Dass, wie die Rezensentin richtig bemerkt, auf die Zuordnung der einzelnen Gewänder und Antependien zu bestimmten liturgischen Hochfesten verzichtet wurde, ist auf das Fehlen von Schriftquellen zurückzuführen, die diesbezüglich sichere Schlüsse zuließen. Lediglich das Inventar der Schenkungen Papst Bonifaz' VIII. an die Kathedrale von Anagni enthält einige wenige indirekte Hinweise, die auf die Verwendung der nach Anagni geschenkten päpstlichen Paramente zu besonderen Anlässen innerhalb der bischöflichen Liturgie in der Kathedrale schließen lassen. So wird die Verwendung zweier besonders kostbarer Pluviale auf jeweils ein Hochfest beschränkt, und zwar dasjenige des in der Kathedrale beigesetzten Stadtpatrons Magnus und Mariae Verkündigung. Diese Hinweise habe ich in die Untersuchung einfließen lassen und im Vergleich mit weiteren päpstlichen Textilgeschenken der Zeit vertieft (179-181).


REPLIK


Von Uta-Christiane Bergemann

Frau Elster gibt eine ausführliche Stellungnahme, in der sie u. a. ihrer Meinung nach fehlende Aspekte und Diskussionspunkte der Rezension anmahnt, welche sie aus mediävistischer Sicht erwartet. Nun hat sie sich aber nicht nur einer mediävistischen Arbeit angenommen, sondern zugleich einer textilhistorischen. So muss sie sich gefallen lassen, dass aus textilhistorischer Sicht ein etwas anderer Fragenkanon an ihre Arbeit gestellt, diese auf die Aussagekraft für die Textilgeschichte gelesen wird. Daraus ergeben sich die geschilderten Fragen und Kritikpunkte, besonders da sie sich eines bislang weitgehend unerschlossenen Materials bedient, das textilhistorisch wichtige Fragen ergibt, die teils offenbleiben. Sie werden nicht wiederholt.