sehepunkte 19 (2019), Nr. 12

Katharina Lenski: Geheime Kommunikationsräume?

Idealtypisch gilt die Universität als Stätte des freien Geistes. Von besonderem Interesse ist daher die Frage, wie Diktaturen ihren Herrschaftsanspruch an Hochschulen durchsetzten und sicherten. Im Fall der DDR rückt damit das Ministerium für Staatssicherheit in den Blickpunkt. Dessen Wirken ist bereits an einigen Universitäten wie Halle/Saale und Leipzig untersucht worden. Nun hat Katharina Lenski ihre Dissertation zur Rolle der Geheimpolizei an der Universität Jena in der Ära Honecker veröffentlicht.

Das Anliegen der Autorin ist es, die Staatssicherheit und ihr Wirken gesellschaftlich einzuordnen, was ihr überzeugend gelingt. Das Buch ist thematisch in vier Kapitel gegliedert. Nach einem knappen Überblick über die Universität Jena nach der "III. Hochschulreform" von 1968, die sich sowohl an ökonomischen wie politischen Kriterien orientierte, behandelt Lenski die geistig-ideellen Grundlagen der Überwachung. Ankerpunkt der bekannten MfS-Befehle für den Bildungsbereich war die "politisch-ideologische Diversion". Dieser bewusst schwammige "Tatbestand" erlaubte es, abweichendes Verhalten im Keim zu ersticken. Entsprechende Freund-Feind-Denkmuster existierten aber auch an der Universität, wie Lenski richtig betont. So sollten beispielsweise die Studenten zu "sozialistischen Persönlichkeiten" erzogen werden. Diejenigen, die von dieser Norm abwichen, mussten mit Sanktionen rechnen.

Im dritten Kapitel arbeitet die Autorin detailliert die enge strukturelle, personelle und ideelle Verschränkung von Staatssicherheit und Universität Jena nach der "III. Hochschulreform" heraus. Dabei konzentriert sie sich auf die Hochschulleitung und die "strukturbestimmenden" Sektionen wie Physik und Mathematik. Für deren Funktionsträger wie auch für die Sekretäre der Hochschulparteileitung und der Massenorganisationen war die offizielle und geheime Kooperation mit der Staatssicherheit nichts Außergewöhnliches, sondern eine gängige Praxis. Zu dieser Nähe gehörte auch, dass das MfS aus dem Pool der Hochschulangehörigen immer wieder hauptamtliche Mitarbeiter rekrutierte. Zeitgleich institutionalisierte sich die Zusammenarbeit von Staatssicherheit und Universität in Form von Anordnungen und Ämtern wie dem Beauftragten für Sicherheit und Geheimnisschutz. Auf diese Weise entwickelte sich Geheimhaltung zu einem handlungsleitenden Prinzip und wichtigen Kriterium für den beruflichen Aufstieg an der Alma Mater.

Zur Historisierung der Staatssicherheit trägt das Buch auch bei, indem es im vierten Abschnitt die unterschiedlichen Handlungsfelder der Geheimpolizei an der Universität Jena aufzeigt. Die Überwachung und Verfolgung von Andersdenkenden bestimmte die Arbeit des MfS: Lenski beleuchtet in diesem Zusammenhang unter anderem die Exmatrikulation von Roland Jahn nach dessen Protest gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann im Herbst 1976. Besondere Aufmerksamkeit widmete die Staatssicherheit aber auch der geheimen Militärforschung, die vor allem die Sektion Physik zusammen mit dem Kombinat Carl Zeiss betrieb. Beständig überprüfte sie die beteiligten Forscher und entschied über deren jeweiligen Status als "Geheimnisträger", mit dem ein unterschiedlich großer Wissenstand zu den Projekten einherging. Zudem beschaffte das MfS über Spionage im westlichen Ausland projektrelevante Unterlagen. Lenski verdeutlicht, dass die strikte Kontrolle der Forschung ihren Preis hatte. Neben dem fehlenden offenen wissenschaftlichen Austausch war es schwierig, fachlich qualifizierte Wissenschaftler zu finden, die die Sicherheitskriterien erfüllten.

Doch auch diese auf Feindbildern und Geheimhaltung beruhende Ordnung wurde Ende der 1980er Jahre brüchig. Dies schildert Lenski anhand von staatsnahen Jura-Studenten, die 1988/89 gemeinsam mit Kommilitonen aus der Theologie eine öffentliche Spendensammlung für einen Krankenwagen in Nicaragua jenseits staatlicher und kirchlicher Strukturen initiierten.

Eine Herausforderung für eine solche Studie zu einer Universität ist immer der Vergleich mit der Situation an anderen Hochschulen. Zwar nimmt die Autorin Bezug auf die bereits erschienenen Bücher zu den Universitäten in Halle/Saale und Leipzig. Trotzdem hätte man sich als Leser eine stärkere Einordnung der Erkenntnisse - etwa zur geheimen Militärforschung - in die Geschichte des Hochschulwesens der DDR gewünscht. Eine zweite Schwäche des Buches betrifft das immens große Personaltableau. Die umfangreichen und akribischen Recherchen zu den personellen Verflechtungen, die über die erwähnten Studien zum Thema hinausgehen, sind zweifellos beeindruckend. Jedoch ist es angesichts der Fülle an Personen und biographischen Details für den Leser nicht einfach, den Überblick zu behalten. Außerdem erschwert die mitunter sperrige Sprache die Lektüre.

Abgesehen von diesen Kritikpunkten hat Katharina Lenski ein wichtiges, empfehlenswertes Buch vorgelegt. Es bettet die Staatssicherheit und ihr Wirken auf umfassende Weise gesellschaftlich ein und verdeutlicht so die vielfältige Verzahnung mit der Universität Jena zwischen 1968 und 1990. Daher stellt die Studie eine anregende Grundlage für künftige Forschungen zu diesem Thema dar.

Rezension über:

Katharina Lenski: Geheime Kommunikationsräume? Die Staatssicherheit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Frankfurt/M.: Campus 2017, 618 S., ISBN 978-3-593-50780-4, EUR 45,00

Rezension von:
Bertram Triebel
Frankfurt/M.
Empfohlene Zitierweise:
Bertram Triebel: Rezension von: Katharina Lenski: Geheime Kommunikationsräume? Die Staatssicherheit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Frankfurt/M.: Campus 2017, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 12 [15.12.2019], URL: https://www.sehepunkte.de/2019/12/32617.html


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