Rezension über:

Laura Pachtner: Lady Charlotte Blennerhassett (1843-1917). Katholisch, kosmopolitisch, kämpferisch (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 104), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020, 720 S., 5 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-31097-7, EUR 90,00
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Rezension von:
Joachim Schmiedl
Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Joachim Schmiedl: Rezension von: Laura Pachtner: Lady Charlotte Blennerhassett (1843-1917). Katholisch, kosmopolitisch, kämpferisch, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 4 [15.04.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/04/33976.html


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Laura Pachtner: Lady Charlotte Blennerhassett (1843-1917)

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Charlotte von Leyden, verheiratete Blennerhassett, war eine Grenzgängerin zwischen Deutschland und England. In ihrem Leben spiegelt sich die wechselvolle Geschichte einer Frau aus adeliger Familie, die ihr Leben lang mit ökonomischen Problemen zu kämpfen hatte, die aus den vorgegebenen Bahnen ausbrechen wollte, am Ende aber zwischen die Fronten ihrer beiden Länder geriet.

Laura Pachtner unternimmt es zum wiederholten Mal eine Biografie dieser faszinierenden Frau des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts vorzulegen. Sie stützt sich dabei auf Quellen, die Biografen vor ihr noch nicht zugänglich waren. Darunter fällt vor allem der Nachlass in der Universitätsbibliothek Cambridge. In sechs sehr umfassenden Kapiteln geht die Passauer Dissertation vor.

Kapitel 1 beschreibt die Herkunft Charlottes, die Einbindung in die Adelsgesellschaft Bayerns um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Ihre Prägung erhielt von Leyden vor allem während ihres Aufenthalts im Pensionat der Sacré-Coeur-Schwestern im belgischen Blumenthal. Dort entdeckte sie ihren Bildungshunger, den sie gegen heftige Widerstände ihrer Mutter durchsetzen musste. Im zweiten Kapitel wird ihre Beziehung zu Ignaz von Döllinger thematisiert. Die junge Adelige und der arrivierte Kirchengeschichtsprofessor lernten sich zu einem Zeitpunkt kennen, als sich Döllingers Wendung vom Ultramontanismus zum entschiedenen Gegner einer möglichen Dogmatisierung päpstlicher Unfehlbarkeit vollzog. Charlotte wurde zur Vertrauten Döllingers, dessen väterliche und professorale Begleitung ihr den Weg in die Münchener Gelehrtengesellschaft öffnete.

Im dritten Kapitel geht es um entscheidende Jahre im Leben Charlottes von Leyden. In Paris begegnet sie den liberalen Katholiken um Bischof Dupanloup in der Vorbereitung des Konzils. Den Winter des Vatikanischen Konzils verbringt sie in Rom, von wo aus sie die über Salonkontakte gewonnenen Informationen zum Verlauf und zu den Parteiungen der Kirchenversammlung an Döllinger weiterleitet. Dort lernt sie auch Sir Rowland Blennerhassett kennen, den sie nach nur wenigen Monaten Bekanntschaft heiratete. Nach dem Konzil verfolgte sie aus nächster Nähe die Zuspitzung der innerkirchlichen Konflikte mit der Exkommunikation ihres Freundes Ignaz von Döllinger.

Viereinhalb Jahrzehnte ihres Lebens sind Gegenstand des vierten Kapitels. Sie erlebte den Kampf ihres Mannes um die Güter in Irland, seine kurzzeitige politische Karriere, seine finanzielle Misere. Letztere veranlasste Charlotte zur endgültigen Übersiedlung nach München, wo sie sich um die Ausbildung ihrer Kinder kümmerte und ihre gesellschaftlichen und intellektuellen Netzwerke weiter ausbauen konnte. Sie musste erleben, dass ihre drei Kinder sich in den wachsenden Spannungen zwischen dem Deutschen Reich und England für das Land ihres Vaters entschieden. Sie selbst, von Pachtner als "letzte Europäerin" tituliert, galt nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs als "Feindstaatenausländerin". Inmitten der familiären und gesellschaftlichen Probleme wurde Charlotte zu einer bedeutenden Autorin. Den Durchbruch brachte ihre dreibändige Biografie über Madame de Staël und das Nachfolgewerk über Talleyrand. Sie lieferte Beiträge zur Serie "Weltgeschichte in Karakterbildern" und "The Cambridge Modern History". Vor allem aber verfasste sie Essays und Rezensionen in verschiedenen Zeitschriften.

Das letzte Kapitel stellt ihre Bekanntschaft mit dem Freiburger Kirchenhistoriker Franz Xaver Kraus in den Kontext der Entwicklung des liberalen Katholizismus nach dem Vatikanischen Konzil. Sie blieb kritisch gegenüber dem Altkatholizismus, kritisierte aber auch die Kulturkämpfe der europäischen Länder. Sie sah sich als Interpretin von Döllinger, Kraus und Lord Acton, die ihr wichtige Anregungen verdankten und denen sie in allen Krisen freundschaftlich verbunden blieb. Die Modernismuskrise, gegen die sie eine Studie zu Kardinal Newman setzte und bei Carl Muths "Hochland"-Projekt einstieg, zeigten ihr allerdings die "Trümmer des liberalen Katholizismus" auf.

Pachtner schließt ihre Studie mit einer zwanzigseitigen Zusammenfassung und einem 50 Seiten umfassenden Quellen- und Literaturverzeichnis sowie einem Personenregister. Die Autorin hat eine "biographie totale" vorgelegt. Ihr Zugang ist nicht nur chronologisch, sondern sie umkreist das Leben ihrer "Heldin" in vielen Facetten. Es gelingt Pachtner, in die Mentalität der Adelsgesellschaft des 19. Jahrhunderts einzutauchen, aus der Charlotte Leyden-Blennerhassett selbst niemals auszubrechen vermochte. Die Anerkennung, die Charlotte als Autorin fand, wurden ihr als Wissenschaftlerin nicht in angemessenem Maß zuteil; so scheiterte ihre Berufung in die Akademie der Wissenschaften, weil diese keine Frauen als Mitglieder zuließ. Eine "Entschädigung" war das Ehrendoktorat der Münchener Universität.

Auf Seite 381 schreibt Laura Pachtner über das Hauptwerk Blennerhassetts: "Hauptfigur der gesamten Darstellung ist zwar Mme de Staël, deren politische und gesellschaftliche Bedeutung im Mittelpunkt steht und deren politische Schriften ebenso wie ihre Romane daran angebunden werden, gleichzeitig zeichnet Blennerhassett ein breites Panorama der politischen, geistigen und gesellschaftlichen Geschichte der Zeit. Entwicklung und Schicksal der Protagonistin dienen dabei als Fokus für allgemeine Entwicklungslinien der Revolutionsepoche." Dieses Urteil fasst gut zusammen, was Pachtner für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, den liberalen Katholizismus und seine Netzwerke sowie für die Beziehungen zwischen Deutschland und England und die Kämpfe verarmter Adeliger um ihre traditionellen gesellschaftlichen Positionen geleistet hat. Dass es in diesem Gesamtpanorama viele Wiederholungen gibt und Pachtner einen redundanten Schreibstil pflegt, mag auch ihrer Protagonistin geschuldet sein.

Joachim Schmiedl