Rezension über:

Dieter Overhageböck / Hannes Lambacher (Hgg.): Das Urkataster der Gemeinde Nienberge 1825 -1829. Grundeigentümer in Karten und Tabellen (= Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster; Bd. 27), Münster: Aschendorff 2019, XI + 161 S., 2 Faltkarten, zahlr. Kt., ISBN 978-3-402-14556-2, EUR 78,00
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Rezension von:
Wilfried Reininghaus
Senden-Bösensell
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Wilfried Reininghaus: Rezension von: Dieter Overhageböck / Hannes Lambacher (Hgg.): Das Urkataster der Gemeinde Nienberge 1825 -1829. Grundeigentümer in Karten und Tabellen, Münster: Aschendorff 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 4 [15.04.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/04/34249.html


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Dieter Overhageböck / Hannes Lambacher (Hgg.): Das Urkataster der Gemeinde Nienberge 1825 -1829

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Vorzustellen ist die dritte Edition eines Urkatasters, für die Dieter Overhageböck, langjähriger Kartograph am Institut für vergleichende Städtegeschichte in Münster, verantwortlich zeichnete. 2008 legte er gemeinsam mit Friedrich-Wilhelm Hemann das Kartenwerk zur Stadt Dülmen und ihrem Umland von 1825 vor [1]. 2017 bearbeitete er mit Hannes Lambacher die Altstadt von Münster (1828/1830) [2]. Mit Nienberge, heute ein nordwestlicher Stadtteil von Münster, nahm er sich erstmals eine rein ländliche Gemeinde vor. Sie hatte zum Zeitpunkt der Aufnahme zwischen 1825 und 1829 knapp 1.000 Einwohner. Ausgewertet werden die vier bei dieser Gelegenheit angefallenen Karten und Unterlagen: 1.) die Flurübersichtskarte, die sämtliche 20 Einzelfluren darstellt; 2.) die Handrisse, die aus Originalnotizheften zusammengestellt werden; 3.) die Kartenreinzeichnungen auf der Basis der Handrisse; 4.) das Flurbuch, das die Parzellen mit Eigentümern, Nutzungsarten, Bodenqualität und Steuerbeträgen verzahnt. Der Clou an der Edition ist die digitale Neubearbeitung im Maßstab von 1: 7.500. Darin sind die späteren Ergänzungen und Fortschreibungen eliminiert, so dass der Zustand von ca. 1830 hervortritt. Zudem konnten sämtliche Flurkarten zu einem Gesamtbild für die Gemeinde Nienberge zusammengesetzt werden, die als Faltkarte im DIN A-0-Format dem Buch beiliegt. Die Flurkarten sind im handlicheren DIN A-3-Format wiedergegeben. Sie orientieren sich in ihrer Farblichkeit für Gebäude, Gärten, Wiesen, Äckern, Wäldern und Gewässern am Original. Auf der gegenüberliegenden Seite der so bearbeiteten Flurkarte wird der Zustand von 1828 mit der Deutschen Grundkarte von 2013 zusammengebracht. Veränderungen lassen sich deshalb genau ablesen. Das Flurbuch wurde in Anlehnung an das Original in Tabellenform ediert. Alle knapp 2.500 Parzellen sind darin aufgeführt und in einem zweiten Schritt nach Eigentümern geordnet. Im Anhang werden jüngere Karten veröffentlicht, sodann Pläne und Handrisse zu Haus Rüschhaus, dem Besitz des bedeutenden Architekten Johann Conrad Schlaun und zwischen 1838 und 1846 Wohnort von Annette von Droste Hülshoff. Das Eigentum der größten Grundeigentümer, darunter die Familie von Droste Hülshoff, zeigen weitere Karten. Am Ende stehen zwei Karten, die die Zuordnung der Parzellen zu den vier Bauerschaften des Kirchspiels dokumentieren.

Overhageböck ist ein beeindruckendes Werk gelungen. Es setzt für die Aufnahme des Urkatasters in Preußen um 1830 Maßstäbe. Nicht nur die Optik und übersichtliche Anlage, die vorteilhaft die Vorlage aus dem Katasteramt bearbeitet, überzeugen. Vielmehr eröffnen sich aus der Analyse des Dargebotenen viele weitere Forschungen. An erster Stelle lässt sich natürlich die Agrarstruktur am Vorabend der Industriellen Revolution analysieren, wenn die Nutzung der Fläche untersucht wird. Zu finden sind neben den Äckern und Wiesen Schlag- und Buschhölzer, Wallhecken, Fischteiche, Landwehren und gelegentlichen Bleichen und Sandgruben. Gräftenhöfe und Kotten provozieren geradezu Fragen nach der Siedlungsgeschichte in Nienberg bis zurück in das Mittelalter, wie Manfred Balzer in seinem instruktiven Vorwort erläutert. In Richtung Gegenwart fällt der Landverbrauch zwischen 1828 und 2013 durch Autobahn und weitere Verkehrswege auf, die Nienberge durchschneiden, sowie durch die Ausdehnung der Wohngebiete. Damit haben sich auch im säkularen Trend die sozialen Beziehungen zwischen Kirchdorf und "Bauerschaften" (also den außerhalb des Dorfs gelegenen Siedlungsgruppen) grundlegend verändert - ein weiteres Forschungsfeld für ländliche Regionen.

Ähnliche aufwändige Editionen können sicher nicht für sämtliche der mehr als 2.000 Gemeinden geleistet werden, die um 1830 in der preußischen Provinz Westfalen (und natürlich auch außerhalb Westfalens) bestanden. Aber wünschenswert wären wenigstens exemplarisch weitere Editionen aus anderen Landesteilen, die nicht fast rein agrarisch geprägt waren wie Nienberge, z. B. eine protoindustrielle Gemeinde in Minden-Ravensberg. Overhageböck hat gezeigt, wie solche Vorhaben gelingen können.


Anmerkungen:

[1] Friedrich-Wilhelm Hemann / Dieter Overhageböck: Das Dülmener Urkataster von 1825. Grundeigentümer in Stadt und Umland in Karten und Tabellen, Bielefeld 2008.

[2] Dieter Overhageböck (Bearb.) / Hannes Lambacher (Hg.): Das Urkataster der Altstadt von Münster von 1828-1830. Grundeigentümer in Stadt und Umland in Karten und Tabellen, Münster 2017.

Wilfried Reininghaus