Rezension über:

Frank Sobiech: Jesuit Prison Ministry in the Witch Trials of the Holy Roman Empire. Friedrich Spee SJ and his Cautio Criminalis (1631) (= Bibliotheca Instituti Historici Societatis Iesu; Vol. 80), Rom: Institutum Historicum Societatis Iesu 2019, XII + 539 S., 14 Farb-, 3 s/w-Abb., ISBN 978-88-7041-380-9, EUR 60,00
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Rezension von:
Andreas Flurschütz da Cruz
Lehrstuhl für Neuere Geschichte, Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Flurschütz da Cruz: Rezension von: Frank Sobiech: Jesuit Prison Ministry in the Witch Trials of the Holy Roman Empire. Friedrich Spee SJ and his Cautio Criminalis (1631), Rom: Institutum Historicum Societatis Iesu 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 7/8 [15.07.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/07/34086.html


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Frank Sobiech: Jesuit Prison Ministry in the Witch Trials of the Holy Roman Empire

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Die vorliegende Studie stellt die überarbeitete Version einer kirchengeschichtlichen Würzburger Habilitationsschrift von 2017 dar. Sie nimmt für sich in Anspruch, erstmals eine vollständige Biographie Friedrich Spees SJ (1591-1635) vorzulegen, beschränkt sich jedoch nicht auf dieses Mitglied der Gesellschaft Jesu, das die Hexereivorstellungen der Frühen Neuzeit maßgeblich relativierte und schwerwiegende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Prozesse geltend machte. Vielmehr entfaltet sie in fünf Hauptteilen ein breites Panoptikum jesuitischer Sicht- und Umgangsweisen bezüglich zeitgenössischer Zaubereivorwürfe, mit denen die Mitglieder des Ordens als Gefängnisseelsorger konfrontiert wurden.

Die Halsgerichtsordnung von 1532 sah die geistliche Begleitung von zum Tode Verurteilten vor. In vielen Territorien des Reiches wurde diese Gefängnisseelsorge exklusiv durch Angehörige des Jesuitenordens ausgeübt. Ihr "concept relying on the power of words" (220) war weithin bekannt und avancierte geradezu zum Alleinstellungsmerkmal jesuitischer Gefängnisseelsorge. Im Mittelpunkt ihrer Seelsorge stand die Beichte als Mittel, um den Menschen mit Gott zu versöhnen. Die Hexenprozesse, die vielerorts für einen Anstieg der Zahl der Sakramentsempfänger sorgten, waren den Jesuiten daher sogar willkommen.

Über ihre Berichte, die in der spezifischen Form der bei gemeinsamen Mahlzeiten laut vorgetragenen "Litterae annuae" (kurz: "Annuae") innerhalb der Gesellschaft zirkulierten, formierte sich unter den Mitgliedern ein Diskurs über Hexerei und die Rechtmäßigkeit der Folter, auf der die meisten Geständnisse basierten. Innerhalb des von Rom aus gelenkten Ordens existierte indes keine einheitliche Linie. Vielmehr stellt Sobiech mit den "differing stances across the various provinces of the Society of Jesus" (327) divergierende Haltungen fest.

Die Auseinandersetzung mit der Thematik gipfelte in der mehrfach aufgelegten kritischen Schrift "Cautio Criminalis" des Jesuiten Spee. Mit dessen ausführlicher Biographie (25-164), die ältere Vorarbeiten ergänzt und korrigiert, führt Frank Sobiech in seine Untersuchung ein. Vielen Details im Leben Spees kann er sich aber nur auf Basis von Hypothesen nähern: Konjunktivische "presumptions" und "assumptions" dominieren daher diesen Teil der Studie.

Im zweiten Hauptteil untersucht Sobiech die spezifisch jesuitische Perspektive auf die Hexenverfolgungen in der Rheinischen Provinz. Zu diesem Zweck zieht er die für dieses Forschungsfeld bislang nur sporadisch genutzte Quellengattung der "Annuae" im Archiv der Gesellschaft Jesu in Rom heran. Für Sobiech stellen diese einen "cultural seismograph of sorts covering nearly the entire early modern period" (8) dar. Durch die Augen der jesuitischen Beichtväter verschafft er dem Leser Einblicke in die Gedankenwelt der zum Tode Verurteilten ebenso wie in die ihrer Seelsorger.

Säkulare Interessen und geistliche Aspekte drohten in dieser Konstellation bisweilen vermischt zu werden, wenn sich Ordensangehörige von den weltlichen Gerichten für deren Zwecke einspannen ließen oder aus wirtschaftlichen Beweggründen in Verfahren eingriffen (246f.). So bestätigen die Quellen das von der "Carolina" beförderte Ineinandergreifen von Verfahren, Folter und Beichte und zeigen letztlich, "how torture and 'witch pastoral ministry' served only one single purpose in practice: to elicit the confession" (230). Mitglieder der Gesellschaft Jesu gerieten aber nicht nur von weltlicher Seite unter Druck, sondern auch von geistlicher, indem konkrete Erfolge in Form geständiger und bekehrter Seelen, die sich dem Urteil willfährig ergaben, von ihnen erwartet wurden - auch im Wettstreit mit konkurrierenden Orden, anderen Geistlichen und Konfessionen (304f.). Ziel der "Annuae" war es, als Erfolgsberichte v. a. innerhalb des Ordens zu wirken, umspannte das hochentwickelte Nachrichtenwesen der Gesellschaft doch den Großteil der bekannten Welt. An einem Beispiel, in dem sogar Frauen verbrannt wurden, die den Jesuiten vorher in ihren Missionsbestrebungen gegenüber Protestanten assistiert hatten, zeigt Sobiech aber auch, "how heavily the perception of reality of the Baden Jesuits was already overlaid by the cumulative crime of witchcraft" (177). Potentielle Zusammenhänge zwischen Hexereivorwürfen und interkonfessionellen Spannungen benennt Sobiech dabei zwar, geht ihnen aber nicht weiter nach. Ob mit den in den "Annuae" dokumentierten "conversiones" daher wirklich interkonfessionelle Übertritte gemeint sind, was den Verfahren eine ganz andere Brisanz verliehe, oder aber generelle Bekehrungen, muss offen bleiben.

In seinem dritten Hauptteil kehrt Sobiech zurück zu Spee, zur Rezeptionsgeschichte der "Cautio Criminalis" innerhalb des Jesuitenordens und schließlich zum Umgang mit Spees Person in der Gesellschaft von dessen Todesjahr bis in die neueste Zeit. 1676 erkannte die Generalkurie des Ordens posthum die bis dahin umstrittene Rechtmäßigkeit seiner damals heimlich erfolgten und in Bezug auf die jesuitische Gefängnisseelsorge durchaus kritischen Publikation an. Ab 1730 existierten sogar konkrete Bestrebungen, Spee in die Eulogien der niederrheinischen Provinz bzw. in die Menologien des Ordens aufzunehmen und ihn, den Quasi-Märtyrer, dadurch in die Nähe der Heiligkeit zu rücken. Diese Idee wurde in der Neuen Gesellschaft Jesu wieder aufgenommen und bis in die Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils hinein betrieben.

Sobiechs akribischer analytischer Umgang mit Sprache stellt eine generelle Stärke der Studie dar. Seine Recherchen basieren nicht nur auf den Endversionen seiner Quellen, sondern beziehen ebenso deren Konzepte, Versionen und Korrekturen mit ein. Durch den Abgleich der Dokumente in ihren einzelnen Stadien gelingt es ihm, Veränderungs- und Kondensierungsprozesse innerhalb der selektiven Überlieferung der Hexereiverfahren zu identifizieren, deren Berichterstattung seit 1573 offizieller Teil der "Annuae" war. Die scharfsinnige Analyse entlockt lateinischen Satzkonstruktionen ihre feinen und doch bedeutungsvollen Nuancen. Sobiech vergleicht historische Übersetzungen, etwa eine italienisch-deutsche Übertragung von 1618, stellt dabei Interpolationen fest und identifiziert bisweilen sinnverändernde 'übersetzerische Freiheiten' (284). Anhand des Abgleichs mit der jesuitischen Überlieferung kann Sobiech auch bislang in der Forschung kursierende Opferzahlen der Hexereiverfolgungen korrigieren.

Als besonders innovativ ist Sobiechs thematische und konzeptuelle Kombination der Gefängnisseelsorge mit dem didaktischen Jesuitentheater zu werten, beeinflussten sich beide in ihrem Streben nach Rettung der Seelen doch wechselseitig. Sobiech entspricht Forderungen der jüngsten Hexenforschung, wenn er die Zusammenhänge zwischen beiden Bereichen herstellt, die sich auch auf linguistischer Ebene niederschlugen, wenngleich er daraus keine elaborierten Thesen ableitet. Diese Ansätze weiter zu verfolgen - etwa die Gefahr, Theater- und Gefängniswirklichkeit könnten verschmelzen und Gefangene zu "imaginative actors in imagined, tendentious plays" (382) werden - wäre sicher lohnenswert.

Bisweilen stößt der Autor allerdings an die Grenzen seiner Kompetenzen ebenso wie der Wissenschaftlichkeit, wenn er etwa unter den Akteuren auf die Suche nach Schuldigen und Entschuldigten geht (376f.). Nicht notwendige und schlicht nicht belegbare, oft emotionalisierende oder gar psychologisierende Mutmaßungen, besonders hinsichtlich der Gefühls- und Gedankenwelt der Akteure, versperren an mancher Stelle die Sicht auf alternative Erklärungen. Teilweise verschwimmen hier die Literaturgattungen. Außerdem trägt die multidisziplinäre Studie, wenn es um die Person Friedrich Spees geht, bisweilen auch hagiographische Züge. Erstaunlich wenig beschäftigt sich Sobiech mit dem konkreten Inhalt der "Cautio Criminalis". Nur einzelne der von Spee formulierten "Dubi" benennt er. In erster Linie erklärt, kontextualisiert und relativiert Sobiech dessen zu Lebzeiten prekäre Position innerhalb des Ordens. Er zeichnet das Bild eines frühen Vertreters der wissenschaftlichen Revolution, der seiner Zeit voraus war und mit der "Cautio Criminalis" eine "interdisciplinary legal-theological study on the basis of inductive reasoning" (378) schuf. Auf dem Weg zu einer möglichen Seligsprechung Spees, deren Potential Sobiech an anderer Stelle bereits eruiert hat, wäre die vorliegende Schrift zweifellos ein gewichtiger Baustein.

Das große Verdienst der Studie ist es, der historischen Forschung mit den "Annuae" eine weitgehend neue Quellengattung zu erschließen, durch die auf dem Feld der Kriminalitätsgeschichte und besonders der Hexenforschung der Mangel und Verlust anderer Quellen ein Stück weit ausgeglichen werden kann. Durch die "Annuae" lässt Sobiech die verschiedensten Akteure der Hexenverfolgungen zu Wort kommen bzw. verleiht ihnen eine Stimme: den Inhaftierten, denen Folter und Scheiterhaufen drohten, ebenso wie den Beichtvätern und deren Vorgesetzten, den Provinzialen und Ordensgenerälen. Die Augenzeugenberichte der "Annuae" sind für ihn "situational snapshots from the environment surrounding the witch trials up to and including the executions" (375). Darüber hinaus bergen sie, etwa in vergleichendem Blick auf die "Annuae" anderer jesuitischer Provinzen, Potential weit über die auch in konfessioneller Hinsicht noch weiter zu differenzierende Gefängnisseelsorge hinaus. In seiner Schrift, die im Prinzip mindestens zwei Studien in einer enthält - zur jesuitischen Gefängnisseelsorge generell sowie zu Friedrich Spee und seiner "Cautio Criminalis" im Speziellen - entwickelt Sobiech diese Desiderate. Für ihre Einlösung hat er hervorragende Grundlagen gelegt.

Andreas Flurschütz da Cruz