Rezension über:

Wolfgang Jäger: Soziale Bürgerrechte im Museum. Die Repräsentation sozialer Demokratie in neun kulturhistorischen Museen (= Edition Museum; Bd. 50), Bielefeld: transcript 2020, 264 S., ISBN 978-3-8376-5348-9, EUR 35,00
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Rezension von:
Julian Genten
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
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Julian Genten: Rezension von: Wolfgang Jäger: Soziale Bürgerrechte im Museum. Die Repräsentation sozialer Demokratie in neun kulturhistorischen Museen, Bielefeld: transcript 2020, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 10 [15.10.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/10/34435.html


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Wolfgang Jäger: Soziale Bürgerrechte im Museum

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Wie wird Demokratiegeschichte in kulturhistorischen Museen erzählt? Dieser Frage geht Wolfgang Jäger anhand von neun vergleichenden Ausstellungsanalysen nach. Im Fokus steht dabei die Repräsentation sozialer Bedingungen und Ausdrucksformen von Demokratie, denen - so eine zentrale These des Werkes - in musealen Narrationen meist nur wenig Beachtung geschenkt wird.

Das Spektrum der untersuchten Museen ist breit gefächert. Mit dem Berliner Deutschen Historischen Museum und den Standorten des Hauses der Geschichte in Bonn und Leipzig nimmt Jäger zum einen die großen deutschen Nationalmuseen in den Blick. Zum anderen widmet er sich Museen, deren Thematik eine besondere Affinität zur Repräsentation sozialer Demokratie vermuten lässt: Das Hamburger Museum der Arbeit, das Essener Ruhr Museum, das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum, das Mannheimer Technomuseum und die DASA Arbeitswelt Ausstellung in Dortmund. Indem er das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel miteinbezieht, erweitert der Autor den nationalstaatlichen Rahmen seiner Untersuchung.

Den Ausstellungsanalysen vorangestellt sind ein kurzer Abriss zur Musealisierung der Industriekultur in den vergangenen Jahrzehnten sowie einige theoretische Vorbemerkungen zum Begriff der sozialen Demokratie und den (an Jörn Rüsen angelehnten) "Dimensionen musealer Geschichtskultur" (15). Anschließend wird jedem der neun Museen jeweils ein kurzes Kapitel gewidmet. Jäger erläutert darin zunächst den Entstehungskontext und die Konzeption der jeweiligen Dauerausstellung und gibt einen Einblick in die museale Umsetzung ihrer Thematik. Die klare Struktur des Aufbaus verschafft einen schnellen Überblick über die einzelnen Museen. Jägers erfreulich breit gefächerter Katalog an Leitfragen ermöglicht dabei einen überzeugenden Zugriff auf die Spannweite an musealen Darstellungsweisen und die Vielfalt der Themen, die sich unter dem Begriff der sozialen Demokratie subsumieren lassen. Die Ausstellungsanalysen fragen systematisch nach der Repräsentation sozialer Konflikte und "der Institutionalisierung sozialer Rechte", nach "Lebens- und Arbeitsbedingungen der Unterschichten", nach der Darstellung von Geschlechterverhältnissen, Zuwanderung und Zugängen zu Bildung (61).

Auch wenn auf raumgreifende theoretisch-methodologische Vorüberlegungen weitgehend verzichtet wird, zeugen die Analysen von einem Bewusstsein für die Spezifika musealer Erzählweisen und greifen aktuelle Ansätze aus den Geschichts-, Kultur- und Museumswissenschaften auf.

Eine zusammenführende Synthese seiner Untersuchungen bietet Jäger jedoch bedauerlicherweise nicht. Im Fazit finden sich anstelle vergleichender Schlussfolgerungen lediglich allgemeine Empfehlungen für die Museumsarbeit und noch einmal skizzenhafte Überblicksdarstellungen der neun Museen. Deren Mehrwert ist eher fraglich, wiederholen sie doch in weiten Teilen wortgleich das in den vorangegangenen Kapiteln bereits Gesagte. Dass hier etwa zum zweiten Mal erwähnt wird, dass das Museum der Arbeit einen "regen Verein der Freunde mit über 1200 Mitgliedern" hat (226), wirkt für eine abschließende Bilanz reichlich uninspiriert. Und dass Themen wie gewerkschaftliche Organisation, Mitbestimmung oder der Kampf für und die Institutionalisierung von sozialen und wirtschaftlichen Rechten in den politikgeschichtlichen Meistererzählungen der großen Museen in Berlin, Bonn, Leipzig und Brüssel eher ein Nischendasein fristen, ist sicherlich ein richtiger, jedoch auch wenig überraschender Befund.

Dabei hätten die fundierten Ausstellungsanalysen sicherlich Raum für weitergehende Schlussfolgerungen geboten. Dass dieser von Jäger nur in Ansätzen genutzt wird, mag nicht zuletzt mit einem eng gefassten politischen Wertungshorizont zusammenhängen, der die Ergebnisse der Analysen - bei aller theoretischen Breite - in einem nicht unerheblichen Maße bereits vorstrukturiert. Fraglich erscheint etwa die Reduzierung des Begriffs der sozialen Demokratie auf "politische Konzepte und soziale Bewegungen seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, die die Ziele von Freiheit und Gleichheit bei grundsätzlicher Anerkennung einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu verwirklichen suchen" (10). Mit dieser Definition begibt sich der Autor ohne Not in eine Position, von der aus weder die sozialdemokratische noch der überwiegende Teil der gewerkschaftlichen Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts als Akteure der sozialen Demokratie in den Blick genommen werden können. Da sie als solche aber natürlich dennoch in den untersuchten Museen auftauchen, erscheint ihre Darstellung in den Ausstellungsanalysen häufig verzerrt. Denn die "grundsätzliche[...] Anerkennung einer marktwirtschaftlichen Ordnung" als integralen Bestandteil des Kampfes um soziale Demokratie zu definieren, verstellt den Blick für alle Formen der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit, die sich jenseits des sozialpartnerschaftlichen Paradigmas bewegen. Jägers Positivbeispiele der musealen Repräsentation sozialer Demokratie bleiben daher mitunter recht handzahm. Da geht es beispielsweise um "einen sozialverträglichen Strukturwandel ohne betriebsbedingte Kündigungen" (149 f.), die "Rettung von Arbeitsplätzen" (226) oder den "fairen Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit" (173). Umgekehrt erschließt sich die Kritik an inhaltlichen Leerstellen in den untersuchten Museen bisweilen wohl nur eingefleischten Gewerkschaftsfunktionären. Warum Jäger etwa im Deutschen Bergbau-Museum die "Aufkündigung der Betriebskassierung der Gewerkschaftsbeiträge durch den Unternehmensverband Ruhrbergbau 1953" vermisst (171), dürfte nur den wenigsten Leserinnen und Lesern auf Anhieb ersichtlich sein.

Abgesehen von diesen Schwächen zeigt die Studie "Soziale Bürgerrechte im Museum" aber nicht nur einen Querschnitt eines bedeutenden Teils der deutschen (und europäischen) Museumslandschaft, sondern vermittelt auch theoretisch fundierte und gut strukturierte Einblicke in museale Repräsentationsmuster des weiten Themenfeldes der sozialen Demokratie.

Julian Genten