Rezension über:

Moritz von Brescius: German Science in the Age of Empire. Enterprise, Opportunity and the Schlagintweit Brothers (= Science in History), Cambridge: Cambridge University Press 2019, XIV + 414 S., zahlr. Abb., 4 Kt., ISBN 978-1-108-42732-6, GBP 90,00
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Rezension von:
Andreas Greiner
Deutsches Historisches Institut, Washington, DC
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Greiner: Rezension von: Moritz von Brescius: German Science in the Age of Empire. Enterprise, Opportunity and the Schlagintweit Brothers, Cambridge: Cambridge University Press 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 1 [15.01.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/01/33144.html


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Moritz von Brescius: German Science in the Age of Empire

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Als "Projektemacher" (engl. "projector") galten seit dem 18. Jahrhundert solche übermütigen oder zwielichtigen Forscher und Erfinder, die durch - oftmals fantastisch scheinende - Projekte die Gunst adliger Gönner zu gewinnen suchten. Deren Kapitaleinsatz ging im Laufe des Projekts zumeist verloren, entpuppten sich die Pläne doch allzu oft als unrealistisch [1]. Moritz von Brescius arbeitet in seiner Studie die transnationalen Karrieren dreier solcher "ingenious projectors" (269) heraus, namentlich der aus Bayern stammenden Brüder Adolf, Hermann und Robert Schlagintweit. Diese unternahmen zwischen 1854 und 1858 im Auftrag der britischen East India Company (EIC) mehrere Forschungsreisen durch Indien und in die Himalaya-Region. Von Brescius' Studie präsentiert minutiös Planung, Verlauf und Nachbereitung dieser Expeditionen. Sein Ziel ist es, anhand einer akteurszentrierten Analyse das Zusammenspiel verschiedener Inklusions- und Exklusionsmechanismen in europäischen Gelehrtennetzwerken des langen 19. Jahrhunderts offenzulegen.

Der Fokus auf die "contested careers" (4) der Schlagintweit-Brüder erlaubt es dem Autor zunächst, den transnationalen Charakter europäischer Forschungsvorhaben aufzuzeigen, womit er an bestehende Arbeiten zum Imperialismus als gemeinsames europäisches Projekt anknüpft [2]. Das größere Verdienst der Studie liegt jedoch im Aufdecken der vielschichtigen transnationalen Netzwerke der Brüder, wodurch es dem Autor gelingt, die Dynamiken und Konflikte, aber auch die Möglichkeiten, die diesen innewohnten, sichtbar zu machen. So boten den Schlagintweits ihre transnationalen Verflechtungen ein "empire of opportunity" (10), welches sie oftmals geschickt ausnutzten. Gleichzeitig, so der überzeugende Befund, befeuerte ihre Anstellung im Dienst der EIC jedoch auch größere Kontroversen über den Einsatz deutscher Forscher im britischen Empire. Nicht nur um Nationalität ging es dabei, sondern auch um nationale Arbeitsweisen: Den Brüdern als Vertretern der titelgebenden "German science" - auch als "Humboldtian science" bezeichnet [3] - standen jene der britischen "gentlemanly science" gegenüber. In acht quellengesättigten Kapiteln zeichnet von Brescius die Strategien nach, mit denen die Schlagintweits durch diese Konflikte navigierten.

Das erste Kapitel beleuchtet, wie sich die Brüder durch ihre frühe naturwissenschaftliche Forschungstätigkeit in den Alpen die Gunst wichtiger Persönlichkeiten der deutschen Wissenschaft erwarben. Förderung erhielten sie vor allem von Alexander von Humboldt, der ihnen Zutritt zu britischen Gelehrtennetzwerken verschaffte. Dank dieser "cross-border networks of patronage" (18) wurden sie schließlich 1853 von der EIC mit der Leitung einer Expedition zur erdmagnetischen Vermessung des indischen Subkontinents betraut. Als Projektemacher verstanden es die Brüder, noch vor ihrer Abreise die Ziele der Expedition neu zu verhandeln und entwarfen ein überambitioniertes transdisziplinäres Programm.

Kapitel 2 und 3 machen deutlich, dass dieses Programm wie auch das überhebliche Auftreten der Brüder in England schnell Kritik hervorriefen. In Kapitel 2 liefert von Brescius zunächst einen bündigen Überblick über die europäische Erforschung Indiens bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts und skizziert die Bedeutung der deutschstämmigen Spezialisten, von denen sich einige hundert im Dienst des Empires befanden. Die Vorwürfe gegen die Brüder zielten zunächst darauf, dass diese kaum geeignet schienen, die Erwartungen zu erfüllen. Schwerer wog der Vorwurf, dass sie nicht dem Ehrenkodex der "gentlemanly science" folgten, stattdessen als "obstructive, greedy and ungentlemanly" (101) galten. Wie von Brescius' gelungene Analyse der Schlagintweit'schen Netzwerke und ihrer Verästelungen im dritten Kapitel belegt, war dieser Vorwurf berechtigt. Schließlich verstanden es die Brüder, Fürsprecher zu ihren Gunsten zu manipulieren, indem sie ihre deutschen und britischen Kommunikationskanäle mit verschiedenen Informationen fütterten.

In den Kapiteln 4 und 5 geht der Autor auf die eigentlichen Reisen der drei Brüder nach Südasien ein. Beide verdeutlichen Kapitel, wie sehr die Reisenden von den Strukturen und Akteuren abhingen, die sie vor Ort vorfanden. Dies waren zum einen die Infrastrukturen des britischen Empires, zum anderen die nicht-europäischen Expeditionsteilnehmer. Mit dem Zoom hinein in den Expeditionsalltag verspricht von Brescius "a new and multi-perspective look at the inner life of expeditions" (4), doch bilden beide Kapitel die Schwachstelle des ansonsten durchweg überzeugenden Werkes. Wohl liefert der Autor mit den Schlagintweit-Expeditionen ein weiteres Fallbeispiel zur Rolle indigener "intermediaries", doch bleiben die zahlreichen weniger spezialisierten indischen Reisebegleiter gesichts- und geschichtslos. Unklar bleibt zudem, warum der Autor die Expeditionen wiederholt als "moving colonies" (12) charakterisiert, betont er doch gerade deren vielschichtige Hierarchien.

Kapitel 6 verschiebt den Fokus zurück auf die europäische Bühne und zeigt, wie die Familie Schlagintweit - nur Hermann und Robert kehrten aus Indien zurück - ihr wissenschaftliches Vermächtnis an der "home front" (229) sicherte. Die schon vor Abreise schwelenden Konflikte in der britischen Öffentlichkeit traten vollends zutage, als der britische Imperialismus mit dem Indischen Aufstand von 1857 einen schweren Rückschlag erlitt. Gekonnt zeichnet der Autor die "Imagekampagne" der beiden verbliebenen Brüder nach, die ihre Netzwerke mobilisierten und Rechtfertigungsstrategien für ihre Reise entwarfen.

Im siebten Kapitel beleuchtet von Brescius die Grenzen des Schlagintweit'schen Netzwerkens anhand des letzten Teilprojekts der Brüder: einem nie gebauten Indienmuseum in Berlin. Um dieses Projekt zu realisieren behaupteten sie gegenüber dem preußischen Staat, dass die EIC die Finanzierung eines Museumsbaus von diesem fordere. Dieses Mal sollte ihre Strategie jedoch nicht aufgehen. Weil ihre deutschen Kritiker ihrerseits über Kontakte nach England verfügten, brachen diese das Kommunikationsmonopol der Brüder und entlarvten deren Behauptung als Halbwahrheit. In der deutschen Öffentlichkeit, das zeigt das abschließende achte Kapitel, blieben die Brüder trotz dieser unrühmlichen Episode populär und fungierten als Projektionsfläche des sich abzeichnenden deutschen Imperialismus.

Von Brescius' akteurszentrierter Ansatz, so lässt sich abschließend festhalten, weiß zu überzeugen. Seine Studienobjekte erscheinen als Projektemacher: clever, gut vernetzt, letztlich aber ihre eigenen Fähigkeiten überschätzend. Das Handeln der Schlagintweits, so die wichtige Erkenntnis nach Lektüre der kurzweiligen Studie, wurde durch die zahlreichen Verflechtungen der britischen und deutschsprachigen Wissenschaftsgemeinden um 1850 sowohl ermöglicht als auch beeinträchtigt. Es ist von Brescius' Verdienst, die ganze Komplexität dieser transnationalen Verflechtungen entwirrt zu haben. Insbesondere seine Befunde zu Patronage als treibende Kraft transnationaler Dynamiken werden künftigen Studien als Inspiration dienen.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Markus Krajewski (Hg.): Projektemacher. Zur Produktion von Wissen in der Vorform des Scheiterns, Berlin 2004.

[2] Vgl. Volker Barth / Roland Cvetkovski (eds.): Imperial Co-operation and Transfer, 1870-1930. Empires and Encounters, London 2015; Deborah J. Neill: Networks in Tropical Medicine. Internationalism, Colonialism, and the Rise of a Medical Specialty, 1890-1930, Stanford 2012.

[3] Susan F. Cannon: Science in Culture. The Early Victorian Period, New York 1978.

Andreas Greiner