Rezension über:

Rafael Wagner: Schwertträger und Gotteskrieger. Untersuchungen zur frühmittelalterlichen Kriegergesellschaft Alemanniens (= St.-Galler Kultur und Geschichte; Bd. 42), Zürich: Chronos Verlag 2019, 528 S., ISBN 978-3-0340-1551-6, EUR 68,00
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Rezension von:
Christoph Haack
Abteilung für Mittelalterliche Geschichte, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Haack: Rezension von: Rafael Wagner: Schwertträger und Gotteskrieger. Untersuchungen zur frühmittelalterlichen Kriegergesellschaft Alemanniens, Zürich: Chronos Verlag 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 7/8 [15.07.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/07/35463.html


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Rafael Wagner: Schwertträger und Gotteskrieger

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In seiner Basler Dissertation überträgt Rafael Wagner die Diskussionen um die "feudale Revolution" auf den Bodenseeraum zwischen frühem und hohem Mittelalter. Die Arbeit bedient damit ausdrücklich das Desiderat [1], den französischen Regionalstudien, auf die die These einer "feudalen Revolution" maßgeblich zurückgeht, vergleichbare Studien zu anderen Räumen gegenüberzustellen (17). Die Titelbegriffe der "Schwertträger und Gotteskrieger" sollen dabei dazu dienen, einen Querschnitt der "schwäbisch-alemannischen Gesellschaft" zu gewinnen, die Wagner als "Kriegergesellschaft" deutet, das heißt als: "standesunabhängiges Netz an Personen, ... die sich dadurch zusammenhörig fühlen, dass sie gemeinsam bewaffnet auf dem Schlachtfeld stehen" (13).

Den zentralen Anknüpfungspunkt an die Debatte um die "feudale Revolution" stellt mit dieser Charakterisierung die - in dieser als ein Kernpunkt diskutierte - These eines (krassen) Anstiegs bewaffneter Gewalt als Indikator tiefgreifender sozio-politischer Wandlungsprozesse dar. [2] Als Fragestellung formuliert Wagner damit, ob sich für den Bodenseeraum ein Zeitabschnitt ausmachen lasse, der als abrupter Bruchpunkt gelten und so die These einer "feudalen Revolution" stützen könne, und wann ein solcher Bruch zeitlich zu verorten wäre (14). Die gestellte Frage beantwortet Wagner abschließend mit einem (etwas uneindeutigen) "ja" ohne Fixierung: "Die Bevölkerung im Bodenseeraum [...] hat unter faktischer Führung und Beeinflussung lokaler Eliten eine regional einzigartige Entwicklung durchlebt, die durchaus als grösserer Transformationsprozess gesehen werden kann" (431). Diese Transformation beschreibt Wanger aber, soweit sich das seiner Arbeit entnehmen lässt, als sehr langfristigen Prozess, der vom Ende des römischen Reiches bis ins 12. Jahrhundert hinein reichte (291, etwas anders 431). Er sieht diese Transformation durch vier Merkmale gekennzeichnet, die die Charakterisierung des Untersuchungsgegenstandes als "Kriegergesellschaft" begründen: 1) Militarisierung; 2) Befestigungsbau; 3) sozialer Aufstieg über Waffendienst; 4) politischer Strukturwandel (vom "regnum Alemannien" zum "Herzogtum Schwaben") (437-440). Die Entwicklung ist nach Wagnerweiterhin (5) gekennzeichnet über die gegenläufige Kontinuität der "karolingischen Grafschaften" (438).

Den Untersuchungszeitraum steckt Wagner etwa zwischen 700 und 1100 ab. Als vormaliger Mitarbeiter im Stiftsarchiv St. Gallen benennt Wagner die Urkunden des Klosters als wichtigstes Quellenkorpus der Arbeit. Ob dieses fraglos sehr ergiebige Korpus (865 Originalurkunden) (34) allerdings tatsächlich "zwei Drittel aller originalen Urkunden vor dem Jahr 1000" umfasst (14), darf mit Blick auf TELMA oder Bestände wie etwa in Lucca oder Barcelona bezweifelt werden. Da zudem die Verteilung der Urkunden im Untersuchungszeitraum sehr ungleich ist, rund 90% sind vor dem Jahr 901 ausgestellt [3], greift Wagner für das 10.-11. Jahrhundert vorrangig auf historiografische Quellen zurück (35-36). Dementsprechend bilden die St. Galler Urkunden auch nur für Teile des Buches die zentrale Grundlage (168-191, 297-310, 354-366, 384-394).

Die Arbeit ist ganz hauptsächlich begriffsgeschichtlich gestaltet und nach den untersuchten Begriffen sehr kleinteilig gegliedert, alle Teilkapitel umfassen nur wenige, oft zwei bis drei, Seiten. Aufgebaut ist die Untersuchung in zwei Teile, deren erster den begrifflichen Wandel von Funktionen und Stellungen (etwa "miles", "mancipia", "ministeriales") analysiert, während der zweite den Wandel von "Herrschaftsstrukturen" in den Blick nimmt (292). In einem angenehm kurzen Schlusskapitel, das wieder in Unterpunkte von wenigen Seiten unterteilt ist, greift der Autor seine Überlegungen auf und bietet einige weiterführende Perspektiven an. Ein ausführliches Glossar der untersuchten lateinischen Begriffe und eine Liste der "schwäbisch-alemannischen Grafschaften und ihrer Grafen" bilden einen wichtigen Teil der umfangreichen Forschungsleistung des Bandes ab (beide leider ohne Belegstellen).

Den Dreh- und Angelpunkt der Untersuchung stellt die These einer "Militarisierung" im Untersuchungs(zeit)raum dar: Sie erlaubt Wagner erstens die Charakterisierung der sozio-politischen Ordnung Alemanniens als "Kriegergesellschaft", zweitens die Anbindung an die Debatte um die "feudale Revolution", und stellt drittens sowohl den Kern als auch den Ausganspunkt und Motor der festgestellten Transformationen dar. Wagner verwendet dabei die Definition von "Militarisierung", die auch dem von Laury Sarti geleiteten Projekt "Militarisierung frühmittelalterlicher Gesellschaften" zugrunde liegt und auf die Arbeit Edward James' zurück geht. [4] Damit ist für mich ein Problem verbunden: Denn diese Definition geht von einer Militarisierung im Laufe der Spätantike aus - die Wagner nun bis ins 12. Jahrhundert hinein verlängert. Kann solch eine Definition noch hilfreich sein, wenn sie die gesamte europäische Geschichte vom 5. bis zum 12. Jahrhundert charakterisieren soll? Worin liegen dann die Spezifika der Entwicklung im Bodenseeraum? Zudem scheint mir die Militarisierung eher eine Prämisse Wagners zu sein, als dass er sie auf Quellengrundlage bestätigen würde, wenn er etwa schreibt: "im Herzogtum Schwaben müssen wir im 10. Jahrhundert von einer regelrechten Militarisierung ausgehen" (56-57). Den zentralen Beleg für diese These bilden aber nicht Quellen, sondern das "Erscheinen zahlreicher 'Ministerialer' und 'Ritter' Ende des 11. und 12. Jahrhunderts" (39). Die Deutung der so benannten Phänomene bildet jedoch gerade der Kern des Streites um die "feudale Revolution" und kann deshalb nur in einem Zirkelschluss eine Militarisierung um 1000 (oder 1100) herum belegen!

Zudem weise ich auf eine weitere Eigenheit des Buches hin: Wagner bricht mit vielen Konventionen des Faches: Thesen und Fragestellung werden nicht deutlich formuliert und ebenso verzichtet Wagner - wohl ganz bewusst - auf eine Hinführung zum Thema in der Einleitung. Er steigt stattdessen mit dem ersten Satz unmittelbar in die Definition des Begriffes "Schwertträger" ein. Weiterhin verzichtet Wagner ausdrücklich auf eine Wiedergabe des Forschungsstandes (19) und zitiert statt den MGH die FSGA-Ausgaben, sodass Quellenverweise nur sehr umständlich nachzuverfolgen sind (38). Die Umformung von Titeln in der Kurzitation ("Ganshof, L'armée sous le Carolingiens" zu "Ganshof, L'armée carolingienne") ist zusätzlich lästig (mag aber den Vorgaben des Verlages geschuldet sein). Diese Eigenheiten sind an anderer Stelle als erfrischend festgehalten worden [5], mir erschweren sie aber die Arbeit mit dem Buch.

Insgesamt bietet die Arbeit mit ihrem Rückgriff auf die Prosopografie und ihrem konsequent begriffsgeschichtlichen Ansatz dessen ungeachtet einen ganz neuen Zugriff auf das Thema der "feudalen Revolution", deren Diskussion gerade wieder Fahrt aufzunehmen scheint, nicht zuletzt in Form der vorliegenden Arbeit Rafael Wagners.


Anmerkungen:

[1] Hans-Werner Goetz: Gesellschaftliche Neuformierung um die erste Jahrtausendwende? Zum Streit um die "mutation de l'an mil", in: Aufbruch ins zweite Jahrtausend. Innovation und Kontinuität in der Mitte des Mittelalters, hgg. von Achim Hubel / Bernd Schneidmüller, Ostfildern 2004, 43-44; Timothy Reuter: The "feudal revolution" III, in: Past&Present 155 (1997), Nr. 1, 194-195.

[2] Thomas Bisson: The "feudal revolution", in: Past&Present 142 (1994), Nr. 1, 6-42.

[3] So lässt es sich mit Blick auf Wagners Statistik auf Seite 302 und den Suchergebnissen in den St. Galler Urkunden auf https://www.e-chartae.ch erschließen (besucht am 30.4.2021).

[4] Projekt der Freien Universität Berlin: Militarisierung frühmittelalterlicher Gesellschaften. Erscheinungsformen, Regulierung und Wahrnehmung im westeuropäischen Vergleich, siehe unter: https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/fmi/bereiche/mittelalter/ab_esders/Thyssen-Projekt/Thyssen-Projekt-Doc.html (besucht am 30.4.2021); Edward James: The Militarisation of Roman Society, 400-700, in: Military Aspects of Scandinavian Society in a European Perspective, AD 1-1300, hg. von Jørgensen Clausen, Kopenhagen 1997, 19.

[5] Simon Groth: Rezension zu: Rafael Wagner: Schwertträger und Gotteskrieger. Untersuchungen zur frühmittelalterlichen Kriegergesellschaft Alemanniens, Zürich 2019, in: H-Soz-Kult, 13.05.2020, verfügbar unter: www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29584 (besucht am 30.04.2021).

Christoph Haack