Rezension über:

Javier Albarrán Iruela: Ejércitos benditos. Yihad y memoria en al-Andalus (siglos X-XIII), Granada: La Editorial Universidad de Granada 2021, 540 S., ISBN 978-84-338-6753-7, EUR 35,00
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Rezension von:
Alexander Pierre Bronisch
RomanIslam - Center for Comparative Empire and Transcultural Studies, Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Alexander Pierre Bronisch: Rezension von: Javier Albarrán Iruela: Ejércitos benditos. Yihad y memoria en al-Andalus (siglos X-XIII), Granada: La Editorial Universidad de Granada 2021, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 9 [15.09.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/09/35620.html


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Javier Albarrán Iruela: Ejércitos benditos

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Unser Bild vom mittelalterlichen arabisch-islamischen al-Andalus ist immer noch von zahlreichen Mythen und Vorstellungen geprägt. Auch die Wissenschaft ist nicht frei von solchen Vorurteilen. Dazu gehört die Auffassung, dass die andalusische Gesellschaft eine Zivilgesellschaft war, für deren Selbstverständnis die Idee des ḏjihād (ŷihād in der spanischen Umschrift) keine oder nur eine geringe Rolle gespielt hat. Möglicherweise ist dieses Vorurteil einer der Gründe dafür, dass es bisher kaum Untersuchungen zum ḏjihād in al-Andalus gibt.

Deshalb bedeutet die Arbeit von Javier Albarrán Iruela über ḏjihād und über die Erinnerungskultur zur dschihadistischen Frühzeit in der islamischen Überlieferung einen wichtigen Fortschritt und bezüglich der Ergebnisse, die er in diesem Buch präsentiert, einen veritablen Paradigmenwechsel für das Bild, das wir uns vom muslimischen Spanien gemacht haben. Albarrán untersucht das Kalifat von Córdoba, die Epoche der Taifenreiche, die Herrschaft der Almoraviden und der Almohaden in Spanien nach jeweils zwei Kriterien: Er beschreibt die äußerlichen Aspekte der Kriegsführung - Zeremonien, Rituale, Symbole und Zeichen -, die mit einer hohen religiös-politischen Bedeutung aufgeladen waren. Danach schildert er die jeweilige geistige Anbindung an kriegerische Ereignisse in der Frühzeit des Islams, die im arabischen Schrifttum der damaligen Zeit überliefert waren. In der Rückbesinnung auf die Entstehungszeit der islamischen Herrschaft unter Mohammed und den ersten Kalifen, über die schon in frühen arabischen Schriften berichtet wird, spiegelt sich zugleich die politisch-religiöse Vorstellungswelt, die den Nährboden und den Rahmen für den ḏjihād als ein Kernelement herrscherlichen Handelns bedeutet. Darüber hinaus verweist Albarrán auch immer wieder auf die vielen Belege für freiwilligen Kriegsdienst im Sinne des ḏjihād und für den Märtyrertod in der Schlacht als erstrebenswertes Lebensende eines frommen Muslims. Sie zeigen, dass der propagandistische Überbau eine Entsprechung zur tief empfundenen religiösen Vorstellungswelt in der andalusischen Gesellschaft bedeutete und dass er, so Albarrán, deshalb (zugleich?) als Instrument der Rechtfertigung und der Legitimation der jeweiligen Herrschaft diente.

Für seine Untersuchung schöpft Albarrán aus einer Überfülle von Schriftquellen, die zeitlich und räumlich weit über den gesteckten Rahmen hinausgreifen. Die Leistung, die er damit erbracht hat, ist enorm. Manchmal überfordert er den nicht im arabischen Schrifttum bewanderten und des Arabischen unkundigen Leser mit der Vielzahl an Namen von arabischen mittelalterlichen Autoren und Rechts- beziehungsweise Religionsgelehrten. Ähnlich verhält es sich mit den unzähligen arabischen Begriffen, die der Autor zwar in lateinischer Umschrift, aber gelegentlich ohne ausreichende Erklärung in seinem Text verwendet. Und selbst mit einer Erklärung bei der Erstnennung hat man sie viele Buchseiten später längst vergessen, wenn der Begriff erneut begegnet. Ein Beispiel: bay'a. Dieses Wort ist dreimal im Buch erwähnt (92, 141, 358). Aus diesen Stellen kann man den Schluss ziehen, dass damit ein Vertrag oder eine Anerkennung gemeint ist ("pacto de lealtad", "gente del compromiso", "reconocimiento"). Was mit der "ceremonia de bay'a." (418) gemeint ist, bleibt trotzdem unklar. Hier wäre ein Glossar dringend erforderlich gewesen und jedem Leser sei angeraten, sich von Anbeginn der Lektüre ein eigenes zu erstellen.

Raum für Diskussionen bieten die Definitionen von Kernbegriffen und die Bewertung seiner Untersuchungsergebnisse. Albarráns Erläuterungen zur Bedeutung von ḏjihād sind mit zahlreichen Verweisen auf die entsprechende Literatur unterfüttert, ebenso seine Darlegungen zum Begriff "Heiliger Krieg". Als solchen definiert Albarrán den ḏjihād. Im Verständnis von Albarrán ist der Heilige Krieg vor allem eine Ideologie zur Rechtfertigung des Krieges und dient zugleich als Instrument der Konstruktion und Legitimation von Herrschaft. Er bezeichnet demzufolge durchgängig ḏjihād und Heiligen Krieg als "ideología del ŷihād" / "ideología de guerra santa". Das Konzept des ḏjihād wurde als Bestandteil des im Koran, in den Hadithen und in der Sunna begründeten religiös-politischen Rechtsystems verstanden. Ist deshalb der Rekurs auf die Frühzeit des Islam wirklich vor allem als Instrumentalisierung zur Sicherung der eigenen Autorität zu verstehen, wie Albarrán über alle Kapitel des Buches hinweg immer wieder erklärt? War es nicht in erster Linie ein selbstverständlicher Rückbezug auf die eigenen Wurzeln und somit zugleich eine Selbstvergewisserung? Bedurfte kriegerische Gewalt im Namen des Islam tatsächlich der Legitimation? Musste sie gerechtfertigt werden? War es im Selbstverständnis insbesondere der Almoraviden und Almohaden nicht eher umgekehrt, dass kriegerische Untätigkeit des Herrschers gerechtfertigt und legitimiert werden musste? Überdies: Wo "endet" der religiöse Charakter des ḏjihād und was macht ihn zur Ideologie? Ob die diesbezüglich knappen theoretischen Darlegungen mit Verweis auf Max Weber der Bedeutung des Krieges als integraler Bestandteil des Islams gerecht werden (30f.), kann man kontrovers diskutieren.

Dies sind Fragen, die Albarrán selbst nicht stellt. Mit der durchgehenden Qualifizierung der verschiedenen Aspekte des ḏjihād als Instrumentalisierung zur Rechtfertigung und Legitimierung von Herrschaft und Autorität verengt er nach Auffassung des Rezensenten die Ergebnisse seiner Untersuchung. Die religiöse Überzeugung als Motor des Handelns erscheint bei Albarrán demgegenüber nachrangig. Die islamisch-iberischen Herrscher wirken auf diese Weise wie Machtpolitiker, die den ḏjihād als propagandistisches massenpsychologisch wirksames Instrument zur Erreichung ihrer machtpolitischen Ziele eingesetzt haben. In der zusammenfassenden Abschlussbewertung seiner Ergebnisse formuliert Albarrán etwas allgemeiner (425f.: "...los discursos de guerra santa estuvieron plenamente activos, vigentes y enraizados en al-Andalus entre los siglos X-XIII. Asimismo, estos no eran una mera herramienta retórica de los poderes centrales sin eco alguno en la 'umma'..."). Den Gesamteindruck, dass er den ḏjihād in erster Linie als Machtinstrument begreift, kann Albarrán damit aber nicht entscheidend mildern.

Den eigentlichen Wert der Arbeit sollen und können diese kritischen Fragen nicht schmälern. Albarrán hat systematisch, umfassend und gründlich aufgearbeitet, was viel zu lange ein brach liegendes Forschungsfeld gewesen ist. Seine Ergebnisse werden weitere Untersuchungen anstoßen. Sie liefern beispielsweise als Nebeneffekt ein entscheidendes Argument für die Bewertung des Krieges gegen den muslimischen Gegner im den christlichen Norden Spaniens. Angesichts des liturgischen Kriegszeremoniells im Kalifat von Córdoba ist es kaum vorstellbar, dass man dort auf einen in der hispanogotischen Liturgie vorhandenen Ritus verzichtet hat, in welchem, wenn auch in kleinerem Format, der Kampf von König und Heer als Heiliger Krieg beschrieben ist. Albarráns Arbeit hat das Potential, auch auf vielen anderen Gebieten eine intensive und fruchtbare Diskussion über die Bewertung und die Konsequenzen seiner Erkenntnisse auszulösen. Zu wünschen wäre deshalb, dass sein Buch bald ins Englische übersetzt wird, damit es rasch seine Wirkung über den Bereich der hispanistischen Mediävistik hinaus entfalten kann und ihm auf diesem Wege die Beachtung zuteil wird, die es zweifellos verdient.

Alexander Pierre Bronisch