Rezension über:

Egemen Bezci: Turkish Intelligence and the Cold War. The Turkish Secret Service, the US and the UK, London / New York: I.B.Tauris 2021, 304 S., ISBN 978-0-7556-3649-5, GBP 28,99
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Thomas Riegler
Wien
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Riegler: Rezension von: Egemen Bezci: Turkish Intelligence and the Cold War. The Turkish Secret Service, the US and the UK, London / New York: I.B.Tauris 2021, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 9 [15.09.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/09/35779.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Egemen Bezci: Turkish Intelligence and the Cold War

Textgröße: A A A

Neuland in Sachen Intelligence Studies erschließt der hier zu besprechende Band. Es geht um die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit der Türkei mit den USA und Großbritannien im frühen Kalten Krieg. Der Historiker Egemen Bezci stellt diese auf Basis von Primärquellenrecherchen in einer Reihe von internationalen Archiven dar. Er macht deutlich, dass die Kooperation zwischen der Türkei und ihren westlichen Partnern mehr taktischer Natur war als eine strategische Allianz, denn das Misstrauen auf beiden Seiten war stets groß. Die Türkei war vor allem durch innenpolitische Überlegungen und außenpolitische Prioritäten motiviert und wollte aus der pragmatischen Zusammenarbeit so viel Eigennutz wie möglich ziehen. Das betraf den Aufbau technischer Kapazitäten genauso wie den Zugang zu militärischem Nachschub und Training. Darüber hinaus zielte die Türkei darauf ab, Unterstützung im Kampf gegen subversive Aktivitäten von Minderheiten und für die eigenen regionalen Ambitionen zu erhalten (97). Angepeilte Regimewechsel oder Annexionen überforderten aber immer wieder die türkischen Kapazitäten, was sich in der jüngsten Vergangenheit wieder gezeigt habe. Grundsätzlich bevorzugte die Türkei bilaterale Verpflichtungen statt multilateraler gegenüber der NATO, der sie 1952 beitrat. Bezci spricht in diesem Zusammenhang von "intelligence diplomacy", einen Graubereich zwischen nachrichtendienstlicher Kooperation und konventioneller Diplomatie (3), die es im Fall der Türkei dem schwächeren Partner ermöglicht habe, nicht zu einem bloßen Handlanger degradiert zu werden (5).

Schon im Zweiten Weltkrieg hatte es die Türkei verstanden, Gewinn aus der Zusammenarbeit mit den westlichen Alliierten zu schlagen, ohne gleichzeitig in den Krieg hineingezogen zu werden. In dieser Zeit wurden die Fundamente der späteren Liaison im Kalten Krieg gelegt. Der türkische Geheimdienst Milli Emniyet Hizmeti (bekannt unter der Abkürzung MAH) arbeitete in Sachen Gegenspionage eng mit den britischen Kollegen zusammen. Darüber hinaus wurde das Land zur Basis von Radar- und Signal-Intelligence-Stationen, die im Kalten Krieg ein gewichtiges Pfand darstellten. Für die USA wurde die Türkei praktisch unverzichtbar - wegen der geographischen Nähe zur Sowjetunion und zu deren Nukleartestgebieten wie Kapustin Jar, von wo aus Sputnik I und II gestartet waren. Ab 1954 erlaubte die Türkei U2-Spionageflüge von der Basis Incirlik aus und wäre bereit gewesen, diese auch nach dem Abschuss des US-Piloten Garry Powers über sowjetischem Territorium im Jahr 1960 fortzuführen.

Darüber hinaus baute die Türkei so wie die anderen NATO-Länder ab 1949 Stay-behind-Strukturen gegen eine mögliche sowjetische Invasion auf. Der MAH formierte zu diesem Zweck drei große Einheiten, die im Kriegsfall von zwei mit dem Fallschirm abgesetzten Bataillonen britischer Sappeure unterstützt worden wären. Später spielte die USA eine größere Rolle bei den Vorbereitungen. 1957 erkundigte sich Griechenland bei der US-Botschaft, ob die türkische Stay-behind-Infrastruktur auch für Guerillaaktivitäten auf Zypern genützt würde. Die US-amerikanische Seite versicherte, dies habe nichts miteinander zu tun. Allerdings war die türkische Widerstandsorganisation auf Zypern ebenfalls 1957 entstanden. Der Zypernkonflikt wird im Rahmen von Bezcis Studie nicht weiter behandelt, weil die Türkei hier eigenständig handelte.

Große Bedeutung in Sachen nachrichtendienstlicher Aktivitäten gegen die Sowjetunion hatte Istanbul. In den ansässigen großen albanischen, armenischen, bulgarischen und georgischen Communities ließen sich Agenten rekrutieren, die nicht nur Sprachkenntnisse aufwiesen, sondern auch in ihren Heimatregionen verwurzelt waren. So konnten dortige sowjetische militärische und nukleare Aktivitäten aufgeklärt werden (141). Beispielsweise gewann der MAH Informationen über die Uranproduktion in bulgarischen Minen und den Weitertransport in die Sowjetunion zur Anreicherung. Die Erkenntnisse wurden dann der CIA zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig versuchte man 1956, in der türkischen Gemeinschaft in Bulgarien eine Revolte anzufachen, was ein Schlaglicht auf das Interesse Ankaras an den Territorien des ehemaligen Osmanischen Reiches wirft. Versuche, die Alliierten von der Existenz einer sowjetisch-kurdischen Bedrohung zu überzeugen, trugen keine Früchte. Weder die USA noch Großbritannien unterstützten die Bestrebungen der Türkei, die kurdisch-nationalistische Bewegung zu unterdrücken.

Wie erwähnt, versuchte die Türkei, eigene regionale Ambitionen im Mittleren Osten unter dem Deckmantel westlicher Sicherheitsverpflichtungen voranzutreiben. 1958 spitzten sich die Spannungen infolge von verdeckten Operationen gegen die linksnationalistische Regierung Syriens zu und brachten die Machtblöcke an den Rand einer Konfrontation. Doch letztlich schaffte es die Türkei nicht, entsprechende US-Unterstützung zu erreichen. Nach dem Militärputsch vom 27. Mai 1960 konzentrierte sich der türkische Geheimdienst zunehmend auf die Überwachung der einheimischen Opposition. Gleichzeitig wurde man zurückhaltender, was die Zusammenarbeit mit den USA anging. Diese Phase sollte bis zum Ende des Kalten Krieges 1991 andauern.

Im syrischen Bürgerkrieg seit 2011 spielte die Türkei zuletzt wieder die Rolle des unberechenbaren Mavericks, der von den westlichen Alliierten divergierende Ziele verfolgt: Dabei ging es nicht nur um die Unterstützung von Rebellengruppen in Syrien, sondern auch um Ankaras zunehmende Bereitschaft, mit Russland zusammenzuarbeiten. Laut Bezci zeigt sich so, dass die Verfolgung unterschiedlicher Interessen in Sachen "intelligence diplomacy" nichts Neues ist.

Unter dem Strich handelt es sich um eine aufschlussreiche Studie, die mit vielen neuen Erkenntnissen aufwartet und auch für die Gegenwart relevant ist. Zwecks besserem Verständnis wäre es lediglich wünschenswert gewesen, dass Bezci noch etwas mehr auf den jeweiligen politischen Kontext eingegangen wäre. So bleibt es eine eng auf nachrichtendienstliche Aspekte fokussierte Studie, die vor allem für die Forschung interessant ist.

Thomas Riegler