Rezension über:

Daniel R. Headrick: Macht euch die Erde untertan. Die Umweltgeschichte des Anthropozäns. Aus dem Englischen von Martin Richter, Darmstadt: wbg Theiss 2021, 638 S., 17 Abb., ISBN 978-3-8062-4394-9, EUR 50,00
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Rezension von:
Fabienne Will
Deutsches Museum, München
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Fabienne Will: Rezension von: Daniel R. Headrick: Macht euch die Erde untertan. Die Umweltgeschichte des Anthropozäns. Aus dem Englischen von Martin Richter, Darmstadt: wbg Theiss 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 3 [15.03.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/03/36428.html


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Daniel R. Headrick: Macht euch die Erde untertan

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Beim vorliegenden Buch wollen wir hinten beginnen, denn der Epilog, der für die eine Vergangenheit des Planeten verschiedene Zukunftsszenarien entwirft, ist reich an gesellschaftlicher und politischer Brisanz und dämpft jede handlungsoptimistische Hoffnung auf einen zukunftsweisenden Umgang des Menschen mit dem Planeten Erde. "Was auch immer geschieht, womöglich werden die Menschen einmal neidisch auf unser Zeitalter zurückschauen" (526) - mit diesem Satz schließt das umfassende und dichte umweltgeschichtliche Kompendium, das die Interaktionsmechanismen zwischen Mensch und Natur für einen bemerkenswert langen Zeitraum vom Auftauchen des Homo erectus bis zum heutigen Tage darlegt.

Zwar unterscheidet sich die geologische Periodisierung des Anthropozäns von der Zeitspanne, die Daniel Headrick mit dem Begriff des Menschenzeitalters fasst. Laut Anthropocene Working Group hat die geochronologische Epoche des Anthropozäns in den 1950er Jahren begonnen. [1] In historischer Perspektive aber, deren Erkenntnisinteresse im Gegensatz zur Effektzentrierung der Stratigraphie auf Prozessen und Ursachenzusammenhängen von Phänomenen liegt, ist die lange Perspektive auf die Mensch-Natur-Interaktionen, die zu denjenigen Problemen geführt haben, die wir heute unter dem Begriff Anthropozän diskutieren, eine durchaus erkenntnisfördernde und erhellende.

Die ersten Kapitel widmen sich den frühen Mensch-Natur-Beziehungen zur Zeit der Jäger und Sammler und der Neolithischen Revolution. Bereits für diesen lange zurückliegenden Zeitraum nimmt Headrick geographisch differenziert die damaligen klimatischen Konditionen ebenso in den Blick wie die Effekte der beginnenden Domestizierung und Landwirtschaft auf Flora und Fauna. Er untermauert seine Ausführungen mit wiederkehrenden Verweisen auf existierende Zahlen und Schätzungen zu der frühen Mensch-Natur-Interaktion, die seit jeher von Ausbeutung, Unterwerfung und Abhängigkeiten geprägt ist. Die enge Wechselwirkung zwischen der jeweiligen regionalen Umweltsituation, Klimaänderungen und der Widerstandsfähigkeit betroffener Gesellschaften illustriert er an den Beispielen der Maya und anderer früher wasserbasierter Kulturen in Mesopotamien, Ägypten und dem Indus-Delta.

Die Kapitel vier und fünf zu Antike und Mittelalter in Eurasien und Afrika zeigen, dass der Mensch schon damals tief in die Natur eingegriffen hat. So lassen sich etwa die Anfänge der heute flächendeckenden Entwaldung bis in die Antike zurückverfolgen - dies belegt Headrick anhand von Zedernexporten, dem Feuerholzverbrauch in der Metallurgie sowie der Urbarmachung von Land. Darüber hinaus traten die Strukturen, die seit der Eroberung Amerikas und dem damit einhergehenden beginnenden globalen Austausch von Pflanzen, Tieren und Krankheitserregern zu veränderten Problemlagen und Umweltbedingungen führten, bereits vor 1500 vereinzelt zu Tage: Urbanisierung, Migration, Handel und Truppenbewegungen trugen zur Verbreitung von Krankheitserregern bei - Typhus, Cholera, Tuberkulose, Pocken und die Pest zählen zu den bekanntesten Krankheiten jener Zeit.

Biologische Transfers waren folglich bereits hinreichend bekannt. Was sich ab 1493 jedoch änderte, war deren beispielloses Ausmaß. Das Kapitel zur Eroberung Amerikas thematisiert sowohl die Dezimierung der Bevölkerung infolge der Verbreitung neu eingeführter Krankheitserreger als auch die Verdrängung einheimischer durch invasive Arten sowie weitere Umweltfolgen, die etwa mit dem intensivierten Bergbau (Entwaldung) einhergingen. So gibt es einen umfassenden und detailreichen Überblick über diejenigen Strukturen, die nach der erfolgten Transformation der Neuen Welt schließlich in die Transformation der Alten Welt mündeten. Letztere vollzog sich vom 15. bis 19. Jahrhundert und zeichnet sich durch zwei einschneidende Ereignisse aus: die Kleine Eiszeit und den kolumbianischen Austausch. Die Kleine Eiszeit zog globale Auswirkungen nach sich, die sich infolge von Missernten und Hunger auch in religiösen und politischen Umwälzungen ausdrückten. Das Osmanische Reich, der Nahe Osten und China waren dabei von politischen Krisen ebenso betroffen wie Europa. Die Einführung von Nutzpflanzen aus Amerika, wie etwa Kartoffeln, Süßkartoffeln, Mais und Maniok, führten in der östlichen Hemisphäre dazu, dass sich die "Bevölkerung und ihre Nutzpflanzen auf Kosten von Wäldern und Wildtieren" (242) ausdehnten. Das hier thematisierte Artensterben zu Wasser und zu Land ist einer von vielen roten Fäden, der das gesamte Buch durchzieht: Waren es vor rund 12.000 Jahren noch einzelne Arten wie das Mammut, deren Bestand sich infolge anthropogenen Handelns dezimierte, sieht sich die Menschheit heute mit einem drohenden sechsten Massensterben konfrontiert.

Die folgenden einhundert Seiten widmet Headrick der Industrialisierung - einzig hier lässt das Werk mit einem starken Fokus auf Großbritannien und den USA eine globale Rundumschau vermissen - und dem Imperialismus. Dabei wird der Blick für die tiefgreifenden, von der Industrialisierung angestoßenen Umweltveränderungen in großen Teilen der nichtwestlichen Welt frei, entzündet von der westlichen Nachfrage nach dortigen Produkten wie Guano, Kautschuk, Guttapercha, Zucker oder Tee.

Dem 20. Jahrhundert schließlich widmet Headrick gut ein Drittel des gesamten Buches. Warum das so ist, erklärt sich jedem, der sich bereits mit der Umweltgeschichte befasst hat, ist es doch das Jahrhundert, in dem diejenigen Entwicklungen, welche die erdsystemischen Veränderungen bedingen und die Bewohnbarkeit des Planeten Erde für den Menschen zunehmend bedrohen, exponentiell ansteigen - so zeigt es die berühmte Hockeystick-Kurve. In globaler geographischer Breite untersucht Headrick umweltpolitische Bestrebungen ebenso wie die Hintergründe der zentralen umweltverändernden Kräfte des 20. Jahrhunderts. Zu diesen zählt er neben dem Bevölkerungs- das globale Wirtschaftswachstum sowie die weltweite Verbreitung von Energieformen. Der Zusammenhang zu politischen und wirtschaftlichen Ereignissen wie den beiden Weltkriegen oder dem Massenkonsum westlicher Gesellschaften, der ab dem Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit zu einem Charakteristikum der Zeitgeschichte wurde, bleibt dabei nicht unerwähnt.

Headricks Umweltgeschichte zitiert durchweg einschlägige Literatur und gibt einen differenzierten Überblick zum Forschungsstand der einzelnen Themenbereiche - ohne jedoch einen Anspruch auf Abgeschlossenheit zu erheben. So legt er einzelne Argumentationslinien dar und verweist, wann immer nötig, auf offene Fragestellungen. Und auch die Bibliographie, die sich über gut einhundert Seiten erstreckt, hält, was ihre Länge verspricht: Ist man auf der Suche nach umweltgeschichtlichen Arbeiten - egal für welchen Zeitraum - wird man hier fündig. Insgesamt zeugt das globale Überblickswerk von einer beeindruckenden Tiefe und Breite und schafft es wie kaum ein anderes umwelthistorisches Überblickswerk, die Geschichte der Mensch-Umwelt-Beziehung für einen bemerkenswert langen Zeitraum strukturiert darzulegen.


Anmerkung:

[1] Martin J. Head u.a.: The Great Acceleration is real and provides a quantitative basis for the proposed Anthropocene Series/Epoch; in: Episodes, online first, 15. November 2021 https://www.episodes.org/journal/view.html?doi=10.18814/epiiugs/2021/021031 [18.02.2022].

Fabienne Will