Rezension über:

Miyako Sugiyama: Images and Indulgences in Early Netherlandish Painting (= Distinguished Contributions to the Study of the Arts in the Burgundian Netherlands; Vol. 4), Turnhout: Brepols 2021, 192 S., 126 Farb-, 10 s/w-Abb., ISBN 978-1-912554-58-4, EUR 50,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Étienne Doublier
Historisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Philippe Cordez
Empfohlene Zitierweise:
Étienne Doublier: Rezension von: Miyako Sugiyama: Images and Indulgences in Early Netherlandish Painting, Turnhout: Brepols 2021, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 3 [15.03.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/03/37026.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Miyako Sugiyama: Images and Indulgences in Early Netherlandish Painting

Textgröße: A A A

Am Beispiel der Malerei und Buchmalerei in den Niederlanden des 15. und frühen 16. Jahrhunderts untersucht die vorliegende Studie von Miyako Sugiyama - eine an der Universität Gent entstandene und 2017 abgeschlossene Dissertation - die Verbindung zwischen Bildern und Ablässen in der spätmittelalterlichen Kunst und Frömmigkeit. Die Arbeit geht von der Feststellung aus, dass in den Niederlanden solch eine Verbindung vergleichsweise stark war und einen wichtigen Bestandteil des sozialen und religiösen Lebens der Gläubigen ausmachte. Die Objekte, durch deren Verehrung der Erwerb eines Nachlasses der Sündenstrafen möglich war, teilt die heute an der Universität Nagoya tätige Verfasserin in drei Kategorien auf (17): Die erste Gruppe umfasst diejenigen Bilder, die an ein bestimmtes Gebet gebunden waren; zur zweiten Gruppe zählt sie die Bilder, die "virtuelle Wallfahrten" ermöglichten; eine dritte Gruppe setzt sich aus den Bildern zusammen, die an einem öffentlichen Ort wie einer Kirche oder Kapelle zum Zweck der Verehrung gezeigt wurden, wobei innerhalb dieser Gruppe eine weitere Unterscheidung zwischen klosterinternen, für die Mitglieder von Bruderschaften und für die sonstigen Gläubigen bestimmten Praktiken vorgenommen wird. Bei der Analyse bedient sich die Verfasserin dreier Ansätze. Im Rahmen der ersten Gruppe werden Gemälde bzw. Bildtafeln mit handschriftlichen und gedruckten Stundenbüchern verglichen. Im Rahmen der zweiten Kategorie werden Pilgerführer untersucht. Von den schriftlichen Quellen wie Traktaten oder Urkunden wird die Funktion herausgearbeitet, die in ihnen den Bildern zugewiesen wird.

Die Struktur des Bandes entspricht weitgehend der erwähnten Klassifizierung. Nach einem einleitenden Abschnitt, in dem die Entwicklung der Ablasspraxis und der Forschungsstand summarisch skizziert werden (5-17), geht Sugiyama im ersten Kapitel auf die mit Ablassverleihungen ausgestatteten Bilder ein (19-51). In der Unmöglichkeit, alle Ablassbilder zu erfassen, werden drei besondere Typen in Blick genommen: die wahre Ikone (Vera Icon), die Jungfrau Maria (mit dem Kind oder in sole) sowie die Gregorsmesse. Erste Beispiele für eine Verehrung des abgebildeten Antlitzes Christi in Kombination mit dem Sprechen des Gebets Ave sancta facies sind um die Mitte des 13. Jahrhunderts fassbar, wobei diese Praxis erst im 14. Jahrhundert breite und allgemeine Verbreitung fand. Auf Jan van Eyck gehen zwei Portraits Christi zurück, die in den darauffolgenden Jahrzehnten Mustercharakter erlangten (um 1437 und 1440; beide Gemälde sind lediglich als Kopien erhalten; die jüngere Kopie entstand im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts und befindet sich heute in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen in Berlin). Um 1500 wurde das von van Eyck inspirierte Antlitz Christi zunehmend auf Mitteltafeln von Triptychen abgebildet, wobei die Flügeltafel mit dem Gebet Ave sancta facies beschriftet wurden. Marienbilder - vor allem die Typen der Jungfrau mit Kind und die Virgo in sole - fanden in Kombination mit dem das unbefleckte Empfängnis thematisierenden Gebet Ave sanctissima Maria mater Dei beachtliche Verbreitung. Hier werden vor allem solche von Schülern des Hugo van der Goes und Robert Campin behandelt. Von dem dritten Typus - der Gregorsmesse - liegen zahllose Varianten vor. Das Motiv wurde in Codices, auf Einblattdrucken, Gemälden und Fresken abgebildet. In der Regel war der Ablass durch das Sprechen von fünf Pater noster und ebenso vielen Ave Maria erhältlich.

Das zweite Kapitel ist den geistig-virtuellen Wallfahrten gewidmet (mental pilgrimage) (53-84). Dabei geht es um Gebetshandlungen, die nicht an klassischen Pilgerschafts- und Wallfahrtsorten, sondern in Städten, darunter in Kirchenhallen, Kapellen oder Klosterkreuzgängen stattfanden. Spezifika von solchen "Wallfahrten" waren die Reproduktion an Ort und Stelle und in kleinerem Maßstab von für Pilgerschaften typischen Erfahrungen und Praktiken und deren Verlagerungen auf die intime Sphäre des Einzelnen. So entstanden im 15. und frühen 16. Jahrhundert neben buchförmigen Pilgerreiseführern für den tatsächlichen Besuch der sieben Hauptkirchen Roms auch solche für den virtuellen Besuch Roms und Jerusalems. In beiden Fällen spielten Bilder und Gebete eine zentrale Rolle, denn ihnen kam sowohl eine performative als auch eine erläuternde Funktion zu. Virtuelle Wallfahrten wurden ab dem 15. Jahrhundert auch durch Fresken- oder Gemäldezyklen innerhalb von kirchlichen Gebäuden ermöglicht. Jenseits der Niederlande werden die Augsburger Basilikazyklen von Hans Holbein dem Älteren (um 1499) und Hans Burgkmair (um 1501) als besonders prominente Beispiele für diese Praxis angeführt.

Das dritte Kapitel behandelt die mit der Verehrung von Statuen, Bildtafeln, Medaillen und sonstigen Objekten verbundenen Ablässe (85-116). Besondere Aufmerksamkeit wird hierbei der Rolle von Auftraggebern sowie der sozialen Funktion von Patronage geschenkt. Unter den niederländischen Beispielen ragen die vom Deutschordensbruder Jan Vos in Auftrag gegebenen Madonnen besonders hervor. Die eine - die sog. Madonna von Jan Vos (um 1441/1443, New York, Frick Collection) - wurde von Jan van Eyck gemalt und war ursprünglich als Memorial- und zugleich Ablassbild konzipiert und wurde in der Kartause Genadedal gezeigt. Die vom Brügger Maler Petrus Christus realisierte sog. Exeter-Madonna (um 1450, Berlin, Gemäldegalerie) war eher für die private Frömmigkeit bestimmt.

Illuminierte Ablassbriefe und Ablasstafel als Werbungsmittel stehen im Mittelpunkt des vierten Kapitels (117-140). Als Beispiele werden u.a. eine Reihe von Objekten aus der St.-Salvator Kathedrale in Brügge angeführt. Um 1517 entstanden zwei illuminierte Ablasstafeln auf Pergament, die eine mit einer Ode zum heiligen Sakrament. Beide wurden wohl durch die lokale eucharistische Bruderschaft in Auftrag gegeben und durch die Karmeliterin und Buchmalerin Cornelia van Wulfschkercke geschaffen.

Einige mit der vom Brügger Kanoniker Jan van Coudenberghe gegründeten Bruderschaft der sieben Schwerter Marias im Zusammenhang stehenden Objekte werden im fünften und letzten Kapitel behandelt (141-164). Einen prächtigen Ausdruck fand diese Variante der Marienverehrung in dem Trascoro und dem Hauptaltar der Kathedrale von Palencia, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf Initiative Bischof Juan Rodríguez' de Fonseca entstanden.

Im Fazit werden ein Ausblick auf die durch die Reformation eingeleitete Vernichtung devotionaler Objekte geboten und die wesentlichen Ergebnisse der Studie resümiert (165-169): Die Bedeutung der behandelten Ablassbilder liegt in ihrer sozialen und medialen Dimension, denn sie wurden von vornehmen Gläubigen in Auftrag gegeben bzw. gestiftet und den sonstigen Christen als effektive Instrumente der Gnadenvermittlung wahrgenommen. Sie bildeten zudem Medien, also Mittel, welche gewissermaßen die Erde mit dem Himmel und die Gegenwart mit der Vergangenheit zu verbinden vermochten. Ein Literaturverzeichnis und ein Namenregister beschließen den Band (171-192).

Die Lektüre hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Das Werk bildet sicherlich eine anschauliche und anregende Galerie von zumeist in den Niederlanden entstandenen Ablassbildern und -objekten und verdeutlicht somit die hohe Relevanz der Ablasspraxis im Rahmen des religiösen Lebens des Spätmittelalters. Auch ist sehr zu begrüßen, dass dieses Phänomen im kunsthistorischen Diskurs an Präsenz gewinnt und von einer aus Japan stammenden und in Japan wirkenden Kunsthistorikerin untersucht wird. Doch aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive (der Rezensent ist kein Kunsthistoriker) wäre eine eingehendere historische Kontextualisierung oder zumindest der Verweis auf die einschlägige Literatur zu den behandelten Vorgängen wünschenswert gewesen. Dasselbe gilt für die Rezeption der nicht englischsprachigen Forschung. [1]


Anmerkung:

[1] Geboten wird ein Überblick über herkömmliche und aktuelle Tendenzen der internationalen Ablassforschung in Étienne Doublier: L'indulgenza tra storia e storiografia, in: Economia della salvezza e indulgenza nel Medioevo, (= Ordines. Studi su istituzioni e società nel Medioevo europeo, 6), hg. von ders. / Jochen Johrendt, Mailand 2017, 3-30. Zu berücksichtigen sind zwei jüngere Sammelbände: Esther Dehoux (Hg.): Des usages de la grâce: pratiques des indulgences du Moyen Âge à l'époque contemporaine, Villeneuve d'Ascq 2021; Andreas Rehberg (Hg.): Ablasskampagnen des Spätmittelalters: Luthers Thesen von 1517 im Kontext, (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 132), Berlin 2017.

Étienne Doublier