Rezension über:

Jan Matthias Hoffrogge: Von der Grenzinformationsstelle zur Grenzgedenkstätte? Ausstellungen der innerdeutschen Grenze von 1963 bis 2018 (= Geschichtskultur und historisches Lernen; Bd. 22), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2022, XVII + 537 S., 102 s/w-Abb., 8 Tbl., ISBN 978-3-643-15157-5, EUR 49,90
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Rezension von:
Stefan Rongen
Aachen
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Rongen: Rezension von: Jan Matthias Hoffrogge: Von der Grenzinformationsstelle zur Grenzgedenkstätte? Ausstellungen der innerdeutschen Grenze von 1963 bis 2018, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 3 [15.03.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/03/37426.html


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Jan Matthias Hoffrogge: Von der Grenzinformationsstelle zur Grenzgedenkstätte?

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In seiner Dissertation untersucht der Münsteraner Geschichtsdidaktiker Jan Matthias Hoffrogge die Wandlung von Grenzinformationsstellen zu Grenzgedenkstätten. Wie der Titel der Arbeit bereits vermuten lässt, wird zunächst untersucht, inwiefern der Begriff der Grenzgedenkstätte aus wissenschaftlicher Perspektive heraus passend für die untersuchten Objekte ist. Zudem geht es um die Organisation dieser Einrichtungen und ihre inhaltlichen Angebote. Der Fokus liegt dabei auf den Dauerausstellungen und deren Präsentation. Angeregt durch die seit den 2010er-Jahren herrschende Forschung zur Signifikanz, Authentizität und Bedeutung für die Geschichtskultur von Grenzgedenkstätten knüpft Jan Matthias Hoffrogge mit seiner Dissertation an aktuelle Thesen zur Homogenisierung von Grenzgedenkstätten [1] sowie an die strukturelle Präfiguration [2], resultierend aus der westdeutschen Sicht aus den Jahren vor 1990, an. Diese analysiert und diskutiert er am Beispiel von vier Gedenkstätten. Hierzu erforscht der Autor die Bestände des Bundesbeauftragten für Unterlagen der Staatssicherheit, des Bundesarchives Koblenz und der drei Bundesländer Bayern, Hessen und Niedersachsen. Durch eine vergleichende Analyse sollen Muster identifiziert und beschrieben werden, um eine fundierte empirische Untersuchung zu ermöglichen. Neu an der Arbeit ist der umfangreiche Vergleich zwischen vier unterschiedlichen Einrichtungen zum übergreifenden Gegenstand, insbesondere die detaillierte Betrachtung der Genese dieser Orte.

Nach einer kurzen Einleitung, in der das Forschungsinteresse dargestellt wird, werden im nachfolgenden Theorie- und Methodenteil verschiedene Theorien und Kategorien herausgearbeitet. Schwerpunktmäßig werden die Typologie von Präsentationsstrategien, die Fokalisierung beziehungsweise die Hierarchien von Kommunikation, sowie ein Kriterien-Katalog zur Analyse historischer Ausstellungen erörtert. Alle Theorien werden dabei, ohne etwaige Kritik an ihnen auszusparen, argumentativ für die vorliegende Forschung interpretiert und eine Einordnung und Diskussion der Ergebnisse ermöglicht. Anschließend wird die spezifische Geschichte der Grenzinformationsstellen detailliert und entlang der Elemente der Geschichtskultur herausgearbeitet. Im Blick sind dabei die vier Grenzgedenkstätten Deutsch-Deutsches Museum Mödlareuth, Gedenkstätte Point Alpha (Geisa), Grenzlandmuseum Eichsfeld (Teistungen) sowie die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn mit dem Grenzdenkmal Hötensleben. Sie wurden aufgrund ihrer Förderung aus dem Bundeshaushalt sowie durch das Tragen des Siegels "Europäisches Kulturerbe" als repräsentativ ausgewählt und werden im vierten Abschnitt verglichen. Die aktuellen Ausstellungen werden den ehemaligen Grenzinformationsstellen gegenübergestellt. Der Autor konstatiert, dass es eine deutliche Veränderung zwischen den früheren Grenzinformationsstellen hin zu den heutigen Grenzgedenkstätten gab. Diese Einordnung hätte noch begründeter an späterer Stelle erfolgen können, denn dort werden sodann die Ausstellungen in den Grenzgedenkstätten vorgestellt.

Bei der Analyse der Ausstellungen beziehungsweise bei der Betrachtung der Objekte, ihrer Präsentation und der Texttafeln gelingt eine stringente und nachvollziehbare Einordnung mittels der Methode der Hierarchisierung. Im Diskussionsteil des Vergleichs der Grenzausstellungen werden sieben Themenbereiche detailliert betrachtet. Die Auswahl orientiert sich dabei an den Ausstellungen selbst und beleuchtet jene Bereiche, die an jedem Standort auffindbar sind. So bleiben einige standortspezifische Themenschwerpunkte unerörtert, wie beispielsweise die Alltagsinteraktionen zwischen US-Amerikanern und Deutschen am Point Alpha. Im Fokus liegen die Ursachen der Grenzziehung, der technische Aufbau der Grenze sowie der heutige Zustand, Grenzmodelle und Übersichtsskizzen, die Grenzüberwachung in Ost und West mit dem Schwerpunkt Uniformen und Waffen, das Alltagsleben an der Grenze, die Darstellung des Zeigens zu der Zeit vor 1990 und zuletzt die Öffnung der Grenze und die Wiedervereinigung.

Durch die beschriebene Vielfalt der Grenzausstellungen, die unter anderem auf die komplexe Geschichte jedes einzelnen Standortes zurückgeführt sowie in den betrachteten Themenbereichen dargestellt wird, wird sowohl die These der Harmonisierung als auch die der Präfiguration überzeugend widerlegt. Jedoch wird dieser Befund nur für vier von insgesamt 39 Grenzgedenkstätten beziehungsweise ähnlicher Institutionen entlang der ehemaligen Grenze nachgewiesen.

Die Arbeit legt die Entstehung und Entwicklung von Grenzinformationsstellen und ihren Weg zu den aktuellen Grenzgedenkstätten überzeugend dar und analysiert sie unter Berücksichtigung von interessanten Details und wissenschaftlichen Standards. Dabei erscheint die Entwicklung dieser Institutionen nicht weniger komplex und kontrovers als die Entwicklung der Bundesrepublik selbst. Die sorgfältige Recherche und Archivarbeit, die sich durch die gesamte Arbeit zieht, verleiht dieser trotz bestehender Limitationen einen besonderen Mehrwert.


Anmerkungen:

[1] Pamela Heß: Gleichförmig statt vielfältig. Die DDR im öffentlichen Erinnern, in: Der Osten. Neue sozialwissenschaftliche Perspektiven auf einen komplexen Gegenstand jenseits von Verurteilung und Verklärung, hg. von Sandra Matthäus / Daniel Kubiak, Wiesbaden 2016, S. 99-123.

[2] Astrid M. Eckert: West Germany and the Iron Curtain. Environment, Economy, and Culture in the Borderlands, Oxford 2019. Die These befindet sich auf S. 122-123.

Stefan Rongen