Rezension über:

Parastoo Jafari: New Word, Other Value. Artistic Modernism and Private Patronage: Associations and Galleries in Pre-Islamic Revolution Iran, München: Universitätsbibliothek 2020, VIII + 384 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-95925-150-1, EUR 43,90
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Rezension von:
Katrin Nahidi
Institut für Kunstgeschichte, Karl-Franzens-Universität, Graz
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Katrin Nahidi: Rezension von: Parastoo Jafari: New Word, Other Value. Artistic Modernism and Private Patronage: Associations and Galleries in Pre-Islamic Revolution Iran, München: Universitätsbibliothek 2020, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 3 [15.03.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/03/37958.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Parastoo Jafari: New Word, Other Value

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Durch die wachsende Institutionalisierung der global art history rückte in den letzten Jahren nicht-westliche Kunst in den Forschungsfokus vieler Kunsthistoriker*innen. Während globale zeitgenössische Kunstproduktionen vor allem auf internationalen Großausstellungen präsent sind und somit auch oft ins Forschungsinteresse rücken, wurden schrittweise auch vermehrt moderne nicht-westliche Kunstgeschichten erforscht. Mit ihrer Monografie New Word, Other Value. Artistic Modernism and Private Patronage: Associations and Galleries in Pre-Islamic Revolution Iran, die aus ihrer Dissertation hervorgegangen ist, legt Parastoo Jafari eine umfassende Studie über moderne iranische Kunst und deren Entstehungsgeschichte vor. Bezugnehmend auf eine Vielzahl persischer Originalquellen zeichnet die Autorin die komplexen Rezeptionsdiskurse nach, die iranische moderne Kunstproduktionen von der Zeit ihrer Entstehung bis heute begleiten. Parastoo Jafari beleuchtet ausführlich die anhaltenden und kontroversen Diskussionen im Iran und inwieweit Terminologien und Begriffe einer eurozentrisch geprägten akademischen Disziplin überhaupt auf den iranischen Kontext übertragen werden können.

Um den Diskussionen über moderne iranische Kunst eine neue Perspektive zu verleihen, untersucht Jafari aus einem kunstsoziologischen Ansatz moderne Kunstproduktion. Im Fokus des Buchs steht die Fighting Cock Association, eine private Künstlervereinigung, die sich 1948 gegründet hat. Die Fighting Cock Association kooperierte eng mit der Apadana Gallery, einer der ersten privaten modernen Kunstgalerien im Iran. Bis heute wird moderne iranische Kunst oftmals als im Dienste der Monarchie stehend angesehen. Grund hierfür ist, dass moderne Kunst während des Kalten Kriegs als wichtiges kulturpolitisches Mittel diente, um den westlichen Mächten zu zeigen, dass Iran auf dem Weg zu einem westlichen Nationalstaat und somit ein zuverlässiger Partner im Kampf gegen den Kommunismus war. Diese Strategie wurde unter Mohammad Reza Shah Pahlavi (1941-1979) und nach dem Staatsstreich 1953, gegen den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mohammad Mossadeq und sein Verstaatlichungsprogramm der iranischen Ölindustrie, besonders wirksam. Aufgrund der politischen Nähe der Künstler zu sowjetischen Ideologien jedoch wurde deren Kunst nie Teil der offiziellen Pahlavi Kunst- und Kulturpolitik. Da die Mitglieder der Fighting Cock Association ausschließlich Männer waren, kann hier die Bezeichnung Künstler bewusst im generischen maskulin verwendet werden.

Überzeugend argumentiert Jafari unter dem Stichwort "artistic patronage", dass in den 1940er und 1950er Jahren künstlerische Initiativen und Programme zur Formation eines lokalen Modernismus im Iran führten und entgegen der gängigen Annahme eben nicht die staatlich geförderten Kulturprogramme der Monarchie.

Dennoch war die kaiserliche Institutionalisierung und Instrumentalisierung moderner Kunst so mächtig, dass sie vor allem in der Rezeption zu einer anhaltenden Entpolitisierung moderner Kunstproduktionen geführt hat. Bis heute wird in der existierenden iranischen Kunstgeschichtsschreibung oftmals ein Narrativ favorisiert, das von westlichen Formen der Wissensproduktion geprägt ist und eine lineare Fortschrittsgeschichte einer stilistischen und künstlerischen Entwicklung unter der kaiserlichen Schirmherrschaft erzählt. Dieser formalistische und biografische Kanon führt jedoch dazu, dass iranische Kunstproduktion außerhalb ihres soziokulturellen und soziopolitischen Entstehungskontextes erforscht wird. Kunstwerke werden auf rein formale Experimente reduziert, die in der Rezeption durch den ewigen Vergleich mit einer vermeintlich homogenen westlichen Moderne als verspätete Imitationen abgewertet werden.

In insgesamt fünf Kapitel entwirft Jafari, bezugnehmend auf Pierre Bourdieus theoretischen Ansatz des künstlerischen Felds, eine kultursoziologisch inspirierte Studie. Dabei zeigt sie die Wirksamkeit moderner Kunst, die etablierte Maßstäbe und Konzepte des Künstler*innentums im Iran maßgeblich veränderten. Beispielsweise war das Konzept vom Künstler*innen-Sein lange Zeit von der Idee des Handwerks geprägt, das in Schulen von Meister*innen gelehrt und durch eine Vielzahl von Wiederholungen erlernt und auch vom jeweiligen Königshof gefördert wurde. Durch die Modernisierung lässt sich ab den 1940er Jahren eine Verschiebung dieser Konzepte beobachten, so werden Künstler*innen zu Intellektuellen und auch zu Multiplikator*innen moderner Kunst.

Die ersten beiden Kapitel widmen sich theoretischen Überlegungen und Konzepten nicht-westlicher Kunst, postkolonialer Theorie, und kunst- und kultursoziologischen Aspekten. Die Autorin macht deutlich, dass sie sich mit den gegenwärtigen Diskursen ausführlich auseinandergesetzt hat und ihr kaum ein aktueller Ansatz entgangen ist. Hierbei stellt sich jedoch eine allgemeine Frage: Wie gehen wir mit kritischer Theorie in der Kunstgeschichte um? Welche Funktion kann diese übernehmen? Verleiht sie den Stimmen die nötige Autorität, um sich in einem neu etablierten Forschungsfeld zu behaupten? Oder kann sie vielmehr ein methodischer Schlüssel für tiefer gehende Analysen sein?

Nach den theoretischen Ausführungen, beschäftigt sich das darauffolgende dritte Kapitel spezifischer mit dem historischen Kontext im Iran, der Gründung der Kunstakademie an der Universität Teheran (1940) nach Vorbild der französischen Beaux-Arts Akademien, die Ablehnung staatlicher Institutionen von Seiten der Künstler*innen und die zunehmende Politisierung der Gesellschaft als Gegenreaktion auf die staatlich verordneten Modernisierungsprogramme. In Kapitel 4 und 5 wird die Ausstellungspraxis der bereits erwähnten Fighting Rooster Association analysiert und näher beleuchtet, welche Rolle die Künstler für die Institutionalisierung moderner Kunst im Iran spielten, dabei greift die Autorin auf persische Originalquellen und Interviews mit den Produzenten zurück. Das ist zweifelsohne eine weitere Stärke des Buchs und zeigt, wie wichtig Sprachkenntnisse sind, um bisher nicht übersetzte Quellen für die Analyse zu nutzen.

Jafaris Buch ist eine umfassende Stoffsammlung für all diejenigen, die sich mit nicht-westlicher moderner Kunst und/oder moderner Kunst im Iran auf einem wissenschaftlichen Niveau auseinandersetzen wollen. Ohne Frage ist diese Studie ein großer Gewinn für das Forschungsfeld. Dennoch ist ihr Umfang und ihre Dichte aber Fluch und Segen zugleich, denn ausgehend von der Fighting Cock Association beleuchtet die Autorin nahezu alle bestehenden Diskussionen über moderne Kunst im Iran. Das spiegelt zwar das breite Spektrum des sich neu etablierenden Forschungsfeldes wider, andererseits droht die Gefahr, dass die Leser*innen nicht nur den roten Faden verlieren könnten, sondern dass wir Forschenden eine allumfassende Kunstgeschichte neuschreiben, die wir zu Anfang unserer Forschungsreisen eigentlich dekonstruieren wollten. Diese Pionierarbeit dient trotzdem innerhalb und außerhalb des Irans als wichtige Grundlage für weitere Diskussionen und Forschungen. Denn durch das open access Format ist sie auch Forschenden im Iran zugänglich, die oftmals nur bedingt auf internationale Forschungsliteratur zugreifen können.

Katrin Nahidi