Der vorliegende Band vereint 14 Aufsätze, die aus Anlass des 500. Geburtstags Kaiser Ferdinands I. im Jahr 2003 aktuelle Forschungsergebnisse zur Herrschaft dieses Habsburgers präsentieren. Ferdinand I., der lange Zeit auch in der historischen Forschung im Schatten seines Bruders Kaiser Karls V. stand, erfährt hier eine umfassende Neubewertung vieler Aspekte seines Lebens und seiner Regierung in den verschiedenen Teilen seines Herrschaftsbereiches. Besonderen Wert legen die einzelnen Aufsätze auf die Herausarbeitung der individuellen Leistungen dieses Kaisers, die ihn von seinem älteren Bruder unterscheiden und ihn als kompetenten Planer und eigenständig Handelnden profilieren.
Wolfgang Hilger diskutiert im Anschluss an sein noch immer grundlegendes Werk "Ikonographie Kaiser Ferdinands I." (1969) jenen Teil der Bildwerke, die als "authentische Aufnahmen nach der Natur", also als nach dem Augenschein des Künstlers erstellt gelten können und demnach einen Grad von Individualisierung annehmen lassen, den repräsentative Darstellungen in Massenkopien nicht erreichen (sollten). Anlass der Erstellung, bekannte wie ermittelte Künstler und zeittypische Moden in der Darstellung werden einzeln erläutert und zu späteren typisierenden Kopien in Beziehung gesetzt. Vom Kinder- bis zum Totenbild Ferdinands veranschaulichen die beigefügten Illustrationen (23-33) Hilgers Ausführungen.
Raymond Fagel rekonstruiert die drei bisher kaum erforschten Jahre 1518-1521 im Leben des späteren Kaisers, die er nach seiner Abberufung aus Spanien, wo er aufgewachsen war, in den Niederlanden verbrachte. Die spärlichen Quellen aus der Korrespondenz Ferdinands ergänzt der Autor dabei um die Nachweise zu Aufenthalt und Lebensführung aus den Rechnungsbüchern der habsburgischen Buchhaltung. So lässt sich die Zusammensetzung des Hofstaates nach burgundischem Vorbild ermitteln, in dem, obwohl einige Spanier genannt werden, die auch nach 1521 weiter für Ferdinand in Österreich tätig bleiben, doch die Niederländer zahlenmäßig dominierten. Ebenso lässt sich Ferdinands Itinerar exakt erstellen, anhand dessen festzumachen ist, dass Ferdinand mit ablenkenden Zeitvertreiben, vor allem der Jagd, auch ganz einfach räumlich abseits des politischen Geschehens gehalten wurde und Karl sowohl bei der Vermittlung der ungarischen Ehe Ferdinands als auch bei der Regelung der habsburgischen Hausangelegenheiten die Initiative behielt.
Ralph Andraschek-Holzer untersucht die sechs Visitationen in den Erblanden zwischen 1528 und 1561/63, aufgrund der lückenhaften Forschungs- und Quellenlage mit verstärktem Blick auf Niederösterreich, respektive Steiermark. Er stellt die zu Grunde liegenden Fragenkataloge, die "Interrogatoria", detailliert vor, denen er durchaus inquisitorischen Charakter zuspricht. Das Interesse der Visitatoren wandelte sich in dieser Zeit von der reinen Feststellung der materiellen Gegebenheiten der Einrichtungen hin zur Prüfung der spirituellen Qualitäten ihrer Bewohner. Unmittelbare Anweisungen des Landesherrn zur Verbesserung der sowohl materiellen als auch spirituellen Situation vor Ort in Reaktion auf die Ergebnisse dieser Befragungen kann der Autor erst für die letzte Klostervisitation von 1561/63 nachweisen.
Herbert Knittler stellt für die Städtepolitik Ferdinands in den Erblanden zwischen 1520 und 1565 fest, dass sich zwar kein konsequent verfolgtes Konzept für das Gesamtterritorium ausmachen lässt, sondern eher nach Problemlage in städtischen Fragen entschieden wurde. Allerdings kann er verfolgen, dass unabhängig von der Größe der jeweiligen Stadt das Bestreben der landesfürstlichen Einflussnahme in jedem Fall auf eine erweiterte und verstetigte bürokratische Kontrolle der ständischen Vertreter vor Ort abzielte.
Rosemarie Aulinger, Ursula Machoczek und Silvia Schweinzer-Burian verfolgen die Rolle Ferdinands auf den Reichstagen zu Lebzeiten seines Bruders, des Kaisers. Sinnvoll unterschieden werden die Reichstage, die Ferdinand in Abwesenheit seines Bruders als dessen Stellvertreter leitete, von denjenigen acht Reichstagen (1530, 1532, 1541, 1544-1550/51), auf denen Karl und Ferdinand gemeinsam in Erscheinung traten. Durchgehend ist ein hoher Grad an gegenseitiger Abstimmung auf ein gemeinsames Auftreten nach Außen hin für die Reichstagspolitik der beiden Habsburger festzustellen, obwohl beide inhaltlich von Anfang an andere Schwerpunkte setzten: Für Ferdinand entwickelte sich das Thema der Türkenhilfe im Lauf der Jahre zur Priorität, die sie bei Karl nie hatte.
Ernst Laubach verfolgt die Kaiseridee Ferdinands und stellt im Kontrast zu seinem Vorgänger Ferdinands Verwurzelung im deutschen Königtum fest sowie seine demgemäße Orientierung am Reichsgebiet ganz ohne die universalistischen Ansprüche, die Karl noch verfolgt hatte. Nicht zuletzt aus Ferdinands ständigem Krieg gegen die Türken resultierte sein traditionelles Verständnis der Verbindung von weltlicher und kirchlicher Macht und ihren vornehmsten Repräsentanten, Kaiser und Papst, als Schutzmächte der Christenheit gegen den Ansturm der Andersgläubigen. Wie Karl geriet jedoch auch Ferdinand über politische Sachfragen in einen Widerspruch zur römischen Kurie, den Laubach als konstitutiv für die verstärkte Hinwendung Ferdinands zu einer kooperativen Politik mit den Kurfürsten des Reiches ausmacht.
Teréz Oborni diskutiert Erwerb und Durchsetzung von Ferdinands Königsherrschaft in Ungarn nach dem Tod seines Schwagers König Ludwig in der Schlacht von Mohács 1526 gegen die Ansprüche des Gegenkönigs János Szapolyai. Nach Jahren unentschiedenen Krieges befand der Frieden von Wardein 1538 Ungarn zunächst de facto als ein Reich mit zeitweilig zwei Königen; Ferdinand wurde jedoch als Gesamterbe János Szapolyais unter Ausschluss von dessen leiblichen Kindern eingesetzt. Eine Zusammenfassung aller Gebiete in Ferdinands Hand gelang nominell 1551 mit dem Verzicht von Szapolyais Witwe Isabella auf Siebenbürgen, führte aber nur zu weiteren Kriegen, die erst nach Ferdinands Tod mit dem Speyerer Vertrag von 1570 zur Grenzsetzung zwischen Habsburgisch-Ungarn und Siebenbürgen ein Ende fanden. Trotz der ständigen Bedrohung für den inneren und äußeren Frieden während Ferdinands Königsherrschaft in Ungarn wird diese insgesamt als Modernisierungsschub für die ungarische Verwaltung bewertet, und das nicht nur auf dem Gebiet des Militärwesens.
Karlheinz Blaschke beschreibt die kurzzeitige Kooperation König Ferdinands als dem böhmischen Nachbarn Sachsens mit Herzog Moritz von Sachsen im Schmalkaldischen Krieg nach der Achterklärung Kaiser Karls V. über Kurfürst Johann Friedrich 1546. Er konstatiert Ferdinands von Anfang an positive Einschätzung des Herzogs als wertvollen Verbündeten - Ferdinand drängte seinen Bruder mehrmals zur Übertragung der Kurwürde auf den Ernestiner. Den tatsächlichen militärischen Beitrag Moritz von Sachsens zum kaiserlichen Gesamtheer gegen die Schmalkaldener, einen Zuzug mit 1600 Reitern zu Karls 30.000 Mann, bewertet Blaschke jedoch als randständig.
Franz Brendle untersucht die habsburgische Interimsherrschaft 1519/20-1534 in Württemberg während des Exils des vom Schwäbischen Bundesheer vertriebenen Herzogs Ulrich. Trotz dessen ständiger Störaktionen erwies sich das habsburgische Regiment dieser Jahre als durchaus effektiv. Ferdinand setzte sich zwar stark für die Bekämpfung der Reformation ein, verlor jedoch mit seiner römischen Königswahl und gleichzeitiger Belehnung mit Württemberg 1530 unter Umgehung von Ulrichs Sohn Herzog Christoph die politische Unterstützung des Bundesmitglieds Bayern, das sich in der Folge für die Einsetzung Herzog Christophs engagierte. Letztlich bewirkte ein von Habsburgs Gegner Frankreich finanzierter Feldzug der Neugläubigen Philipp von Hessen und Ulrich von Württemberg 1534 des Letzteren Restitution, der Ferdinand im Frieden von Kaaden zustimmen musste.
Marija Wakounig geht der Ansiedlung der Uskoken in Ferdinands Herrschaft nach, orthodoxer Christen, die nach der Schlacht von Mohács 1526 im osmanischen Reich ihre bisherigen Privilegien verloren und nach Kroatien flüchteten. Ferdinand als ungarischer König privilegierte sie seinerseits zur Besiedelung dieses Grenzgebietes und versuchte damit, sich diese zahlenmäßig nicht unerhebliche Bevölkerungsgruppe für die Grenzsicherung taktisch zu Nutze zu machen. Zwar gelang dies einigermaßen in militärischer Hinsicht, die sozialen Unterschiede zur indigenen Bevölkerung (Lebensweise und Kirchenzugehörigkeit) waren jedoch zu verschieden, als dass die Autorin schlussendlich eine "Integration oder gar gedeihliche Koexistenz in der ferdinandeischen Zeit" (201) feststellen könnte.
Paula Sutter Fichtner verfolgt die Krankengeschichte Ferdinands und seiner direkten Nachkommen, bei denen sich anhand der zeitgenössischen Symptombeschreibungen mit ziemlicher Sicherheit Tuberkulose sozusagen als Familienkrankheit diagnostizieren lässt. Die Autorin interpretiert anhand der Erkenntnisse der modernen Medizin die Krankheitssymptome von Ferdinands Kindern und Enkeln als verschiedene Formen von Tuberkulose, die jeweils neben den offensichtlichen Atembeschwerden eine ganze Reihe weiterer, erheblicher körperlicher Beeinträchtigungen mit sich bringen, die sich in den Krankengeschichten dieser Familiengruppe teils ganz deutlich nachweisen lassen.
Elisabeth Klecker und Franz Römer interpretieren das lateinische Herrscherlob des italienischen Dichters Rocco Boni anlässlich der Kaiserproklamation Ferdinands. Sie weisen nach, wie die Dichtung den neuen Kaiser in die Tradition seiner direkten kaiserlichen Familienvorfahren stellt und im Streit mit dem Papsttum um die Vorrangsstellung Position zu Gunsten Ferdinands bezieht. Literarische Vorbilder der Dichtung sind dazu vorrangig der Stoff- und Motivwelt der griechischen und lateinischen Klassik entlehnt.
Alfred Kohler liefert einen kenntnis- und detailreichen Forschungsüberblick zu Kaiser Ferdinand von der Kaiserpanegyrik des 16. Jahrhunderts bis zu den neuesten Publikationen des 500. Jubiläumsjahres 2003 mit ausführlichen Literaturhinweisen.
Martina Fuchs schließlich bietet einen Überblick über das literarische Nachleben der Figur des Kaisers Ferdinand. Dieser erscheint belletristisch als "der ewige Zweite" neben seinem Bruder Kaiser Karl, aber auch neben tragischen Helden wie dem Tiroler Michael Gaismair, dem Herzog und Kurfürsten Moritz von Sachsen oder der romantischen Philippine Welser, heimlicher Ehefrau Erzherzog Ferdinands II. Für diese weit schillernderen Figuren ist der Kaiser Ferdinand in literarischen Bearbeitungen historischer Ereignisse Bezugsfigur, er selbst avancierte aber nicht zum tragenden Helden einer dichterischen Umsetzung seines Lebens und seiner Zeit.
Insgesamt gesehen vermitteln die Beiträge dieses Bandes ein facettenreiches Bild Kaiser Ferdinands I., das gerade in Bezug auf seine Reichspolitik an Tiefenschärfe gewinnt und ihn neben Karl V. als dem Visionär eines universalen Herrschertums als zwecktoleranten und umsichtigen Organisator des Machbaren innerhalb seines Vielvölkerreiches profiliert.
Martina Fuchs / Alfred Kohler (Hgg.): Kaiser Ferdinand I. Aspekte eines Herrscherlebens (= Geschichte in der Epoche Karls V.; Bd. 2), Münster: Aschendorff 2003, VI + 271 S., ISBN 978-3-402-06571-6, EUR 34,00
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