Entgegen der allgemeinen Klage, Video würde noch immer von der Kunstwissenschaft marginalisiert, ist die Frühphase der Videokunst mittlerweile ein lebhaftes Forschungsfeld. Dies belegt nicht nur die vorliegende Dissertation von Irene Schubiger, sondern zeigt sich auch an den Publikationen von Anja Osswald [1] und Barbara Engelbach. [2] Mit unterschiedlicher Gewichtung kreisen alle Arbeiten um das Thema von Subjekt und (neuem) Medium, bzw. dem Wandel von Selbstdarstellung und künstlerischem Selbstverständnis in Beziehung zum technischen Apparat. Im Gegensatz zu den Arbeiten von Osswald und Engelbach, die exemplarisch vorgehen, unternimmt Schubiger den Versuch, sich eine breite Materialbasis zu erschließen, d. h. eine große Anzahl von Videobändern zum Thema Selbstdarstellung unterschiedlichster Künstlerinnen und Künstler zu untersuchen (z. B. von Bill Viola, Frederike Pezold, Valie Export, Nan Hoover, Linda Montano, Urs Lüthi, Vito Aconcci, Peter Campus, Douglas Davis). Gerade in Anbetracht der immer noch rudimentären und schwierigen Bedingungen für die Archivierung und Sichtung von Videokunst stellt Schubigers Materialbearbeitung eine beachtliche Leistung dar.
Schubiger geht davon aus, dass die künstlerische Selbstdarstellung im Video einerseits die kunsthistorische Tradition des Selbstporträts aufgreift, andererseits die Technik diese gleichzeitig transformiert und neue Formen von Subjektivität nicht nur wiedergibt sondern erst ermöglicht. Dabei sind die Technik des Closed Circuit, das Monitorbild, Ton und Editing entscheidend. Mit Schützenhilfe von Jean Baudrillard plädiert Schubiger für eine Interpretation der klassischen Videotechnik des Instant Feedback als "Schaltkreis", in den sich das Individuum einfügt und so Teil der Apparatur wird. Es würde keine Reflexion des Selbst in Gang gesetzt, sondern der Künstler/die Künstlerin "schließe sich an sich selbst an". Mit Vilém Flusser betont sie, dass das menschliche Abbild vom Monitor ohne Volumen und Raum auf eine leuchtende Erscheinung reduziert, dadurch der Körper zu einer "apparative[n] Erscheinung" transformiert und sein/ihr Subjektstatus geschwächt wird. Der Ton fügt der Selbstdarstellung eine nicht gekannte narrative Dimension hinzu und das Editing ermöglicht durch die Bearbeitung zeitlicher Abläufe einerseits einer "inneren, subjektiven Zeit" näher zu kommen und diese für andere zu veranschaulichen. Andererseits zeigt sich auch hier, so Schubiger, die prekäre Situation des modernen Subjekts, das, und hier folgt sie wieder Jean Baudrillard, vom (technischen) Objekt bestimmt wird und dadurch seine Autonomie opfert.
Schubigers Konzentration auf die technischen Voraussetzungen der Videoselbstdarstellungen ermöglicht es ihr, sich kritisch mit dem die Videotheorie immer noch dominierenden Bild des Spiegels von Rosalind Krauss produktiv auseinander zu setzen. Ihrer Meinung nach beherrscht Krauss' psychologische Kontextualisierung weiterhin die wissenschaftliche Rezeption von Video und verankert Videokunst außerhalb kunsthistorischer Zusammenhänge, ein Manko, dem Schubiger im fünften Abschnitt "Medium, Innovation, Tradition" abzuhelfen versucht. Auch fordert sie eine Berücksichtigung von Zeit, Körperlichkeit und Geschlecht, die durch die Vorherrschaft von Krauss' Narzissmus-Dispositiv bisher zu wenig berücksichtigt seien. Vorrangig für Schubigers Argumentation ist allerdings ihre Kritik an Krauss' Interpretation der Closed Circuit-Installation als narzisstische Spiegelsituation, die sie mit Hilfe von Baudrillards "Schaltkreis" und Vilém Flussers Videogenealogien entkräftet.
Die sich an den Forschungsüberblick anschließenden Beschreibungen der einzelnen Bänder, die Schubiger in zwölf Kategorien (zum Beispiel "Konzept/Körper/Störung" oder "Innenstatus. Anzeige, Wandlung, Aneignung" oder "Doppelgänger") aufteilt, erscheinen zuerst isoliert. Innerhalb dieser Kategorien wird nicht deutlich, warum sie einzelne Bänder ausführlicher darstellt, andere wiederum nur kursorisch. Leider erschließen sich ihre Kategorisierungen außerdem erst in späteren Abschnitten, wenn sie diese in Verbindung mit Theorien der Subjektwerdung Jacques Lacans und den Thesen Jean Baudrillards und Vilém Flussers zu Subjekt und Neuen Medien ein weiteres Mal aufgreift. Abgesehen von einer Referenzfunktion erfüllen diese Darstellungen aber keine weitere Funktion innerhalb des Buches, und man wünscht sich gerade hier eine weniger didaktische, vielmehr auf die Komplexität der Werke ausgerichtete Struktur. Grundsätzlich wäre die indirekt vorausgesetzte Vorstellung einer "neutralen" Beschreibung zu hinterfragen, gerade wenn sie konstatiert, dass auf die Arbeit mit Videobändern mit ihrer zeitlichen und auditiven Dimension, "das methodische Vokabular der kunstwissenschaftlichen Untersuchung nicht uneingeschränkt [...] übertragen werden" kann (20).
Schubigers kunsthistorische Kontextualisierung im fünften Kapitel beginnt mit der Aufzählung der "medial bedingten Innovationen in der Videoselbstdarstellung" (120), die sie neben dem schon erwähnten "Schaltkreis", vorrangig in der Möglichkeit sieht, Handlung und Körperbewegung, Ton und Sprache festzuhalten. Die sich nun anschließende Reihe der Themen und Verfahren, durch die die Videokunst ihrer Meinung nach "wesentlich die Tradition der künstlerischen Selbstdarstellung fortsetzt" (124) sind ihre Beispiele untergeordnet. So wird zum Beispiel Pipilotti Rists Band "I am not the Girl who misses much" von 1986 in der Unterkategorie "Überzeichnung, Selbstentblößung" des Kapitels zu "Schwächung, Störung" mit Egon Schieles aquarelliertem "Selbstporträt in Straßenkleidung, gestikulierend" von 1910 verglichen und das "Verfahren, sich körperlich zu entblößen und an dieser Blöße das Bedürfnis nach Schutz und Integrität, nicht nur körperlicher Art, zu zeigen" (142) als verbindendes Element nicht nur dieser beiden Selbstdarstellungen, sondern dazu noch von Hannah Wilkes "S.O.S. - Starification Series" von 1974 hervorgehoben. Anstatt die ikonografischen Traditionen hervorzuheben, wäre es besonders hier sinnvoller gewesen, die gesellschaftlichen, historischen sowie identitäts- und geschlechterspezifischen Unterschiede dieser Selbstdarstellungen herauszuarbeiten (was Schubiger selbst einfordert).
Das folgende Kapitel stellt den Versuch dar, die Brüche und Veränderungen im Verfahren der, wie sie es nennt, Selbst-Präsentation durch technische Innovation zu belegen. Auch hierfür zieht sie den Unterschied zwischen Monitor und Spiegel heran. Im Gegensatz zur Zeichnung und zur Malerei, die ein Sich-Vertiefen und "Zeiten des Nachsinnens über inneres Befinden und Erfahrung sowie das Ringen um die Übertragung von äußeren Zügen und Innenerfahrung auf die Fläche umfasst" (167), würde das Individuum einerseits durch das Erscheinen des eigenen Gesichts/Körpers auf dem Monitor in Closed Circuit-Arbeiten auf die Ebene der Apparate reduziert, andererseits erhalte es durch die Möglichkeiten der Videonachbearbeitung, das von Schubiger äußerst passend als Self-editing definiert wird, ein Stück Autonomie zurück.
Um die Selbst-Präsentationen theoretisch zu fassen, die nicht mit Closed Circuit-Verfahren entstanden sind, werden von Schubiger drei Gruppen etabliert aus denen sie schließt, dass für die von ihr ausgewählten Videos auf je unterschiedliche Weise von der "Konzeption eines dezentrierten Subjekts" ausgegangen werden muss, und zieht damit Parallelen zu Jacques Lacans Analyse der Subjektkonstitution, der von einer das "Ich" stabilisierenden Verkennung ausgeht. Ihre nun anschließende Diskussion des Verhältnisses von Apparat und Mensch, Kamera und Subjekt, in der sie neben Walter Benjamins Begriff des Optisch-Unbewussten wieder Jean Baudrillard Vorstellung eines mechanisierten Menschen heranzieht, mündet in der Feststellung, dass von einer "Verunklärung" des Subjekt-Objekt-Verhältnisses ausgegangen werden muss, denn "Agieren vor und mit der Kamera ist nicht auseinander zu halten, ebenso wenig wie autonomes Handeln und Selbstbeobachtung" (180). Das Nachsinnen über das eigene Selbst im Angesicht des eigenen Spiegelbildes sei der Faszination an der Verlängerung des Körpers durch die Videotechnik gewichen, was an Bill Violas Video "The reflecting pool" (1977-1979) erläutert wird. Hier wird deutlich, dass es keiner Reflexion des eigenen Abbildes mehr bedarf, sondern das die technischen Möglichkeiten von Ton und Zeit Selbsterfahrung ebenso zu veranschaulichen vermögen. Der Faktor Zeit ist dann auch der letzte Aspekt, den sie ausführlich bespricht. Ohne eine komplexere Wechselwirkung zwischen Imagination und Medium in Betracht zu ziehen, instrumentalisiert Schubiger Nam June Paiks Idee, dass die Bearbeitung der Realzeit durch unser Gehirn im Zustand des Erinnerns oder Träumens mit der Nachbearbeitung von Video (Editing) gleichzusetzen sei. Zudem beziehen sich die Zeitmuster der elektronischen Medien, so Schubiger mit Götz Grossklaus, nicht mehr auf einen von der Natur gegebenen Zeitrhythmus, sondern auf "die Simulation der Innenzeit unseres Gehirns" (203).
Das Verdienst von Schubigers Untersuchung, die medialen Bedingungen in die Analyse der künstlerischen Selbstpräsentation mit einzubeziehen und diese in ihrem Einfluss auf die künstlerische Arbeit und Subjektkonstitution herauszuarbeiten, ist gleichzeitig ihre Schwäche: Grundlegende Faktoren der künstlerischen Selbstpräsentation wie das Verhältnis von Körper, Subjektivität und Geschlecht sowie die Rolle von Künstlermythen werden Schubigers Technikdispositiv entweder untergeordnet oder fast zum Verschwinden gebracht.
Anmerkungen:
[1] Anja Osswald: Sexy Lies in Videotape. Künstlerische Selbstinszenierung im Video um 1970, Berlin 2003.
[2] Barbara Engelbach: Zwischen Body Art und Videokunst. Körper und Video in der Aktionskunst um 1970, München 2001.
Irene Schubiger: Selbstdarstellung in der Videokunst. Zwischen Performance und "Self-editing", Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2004, 237 S., ISBN 978-3-496-01294-8, EUR 39,00
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