Seit 2006 bietet die Wissenschaftliche Buchgesellschaft nicht nur die bekannte, inzwischen in 6. Auflage erschienene "Einführung in die Archivkunde" von Eckhart G. Franz an [1], sondern zudem die "Einführung in die moderne Archivarbeit" von Sabine Brenner-Wilczek, Gertrude Cepl-Kaufmann und Max Plassmann. Zwei Einführungen - zur selben Thematik: Das wirft die Fragen auf, ob die neue an denselben Leserkreis gerichtet ist, ob sie als Ergänzung, als Fortführung oder gar als Ersatz der älteren gedacht ist?
Beide Einführungen erläutern zunächst, was unter der Institution zu verstehen ist, wie sich Archive im Lauf der Jahrhunderte entwickelten, welche unterschiedlichen Archivtypen es gab und welche es heute gibt. In der neuen Einführung wird stärker herausgestellt, dass Archivgut nicht nur in Archiven, sondern auch in Bibliotheken zu finden ist. Brenner-Wilczek, Cepl-Kaufmann und Plassmann gehen auf archivische Gesetze sinnvollerweise im Rahmen der Benutzung ein, Franz erklärt darüber hinaus, wie in der Bundesrepublik die Archivgesetzgebung entstand. In beiden Einführungen werden die archivischen Ordnungsprinzipien, die verschiedenen Archivgutgattungen und Findmittel vorgestellt. In der älteren Einführung wird dabei ein wenig mehr Gewicht auf die Darstellung gelegt, welche Aufgaben von der Behördenbetreuung bis zur Öffentlichkeitsarbeit der Archivar erfüllt. Dem Archivbenutzer widmet Franz zwar ein Kapitel, jedoch ist in der neuen Einführung Fragen der Archivbenutzung wesentlich mehr Raum gegeben. So stellt Teil II einen "Leitfaden für die Praxis" dar, der hilft, die Vorbereitung des Archivbesuchs sehr effektiv zu gestalten. Franz bietet am Ende eines jeden Kapitels weiterführende, aber auch ältere, mitunter sogar veraltete Literatur, die Herausgeber der neuen Einführung bündeln hingegen in grau unterlegten Checklisten die wesentlichen Aspekte der Unterkapitel. Diese Listen sind überaus hilfreich für die Forschenden.
Ebenso wie Franz Wege der archivischen Forschung und Ermittlung aufzeigt und anhand von Beispielen das Vorgehen zum Auffinden relevanten Quellenmaterials darstellt, ist der Praxisbezug bei dem Herausgeber-Trio vorhanden. Jedoch wird er hier in zwei Bereichen deutlich gemacht: Teil III widmet sich der Frage nach Recherchestrategien in den historischen Wissenschaften vom Mittelalter bis zum Nationalsozialismus, Teil IV wendet sich denen in den Literatur- und Kulturwissenschaften zu und hebt die wissenschaftliche Aktualität von Archiven hervor. Es wird unterstrichen, welche Schlüsselkompetenzen im digitalen Zeitalter durch die Recherche in Archiven erworben werden können. Anhand von mehreren einschlägigen Beispielen wird erläutert, dass Archive dem Studium und Examen nutzen (123), weil die archivische Forschung Such- (101-117) und Analysekompetenzen (117-123) fördert. Diese schlagen sich in der studienpraktischen Verwertungskompetenz nieder (123). Mit anderen Worten: "Rein ins Archiv" (128), denn dort werden die Suchenden fündig, erfahren "nachhaltige Erfolgserlebnisse" (123) beim Heben der "schlummernden Schätze der Geschichte" (123), deren Aussagekraft die Forschenden in "angemessene Erkenntnisformen" (123) transformieren, um die "zeitgenössische Öffentlichkeit" (123) zu erreichen.
Im Mittelpunkt der Franz' schen Einführung steht der Historiker-Archivar. Dem Berufsfeld Archiv wendet sich auch die neue Einführung zu. Im abschließenden Teil V werden Ausbildungswege aufgezeigt, die Curricula der Archivschule in Marburg, der FH Potsdam und der Bayerischen Archivschule in München vorgestellt, die wichtigsten Adressen und Homepages genannt. [2]
Beide Einführungen richten sich an Laien, die sich für die archivischen Tätigkeiten interessieren, sowie vor allem an Studierende und Forschende, die ihren ersten Aufenthalt im Archiv vorbereiten. In der Einführung von Brenner-Wilczek, Cepl-Kaufmann und Plassmann liegt der zusätzliche Gewinn darin, dass Kulturwissenschaftler stärker angesprochen werden. Einerseits kann sich diese 'Kundengruppe' mit Hilfe der gut lesbaren Einführung, nicht zuletzt aufgrund der übersichtlichen Checklisten das Archiv als Forschungsinstitution erschließen. Andererseits werden Archivare aufmerksam gemacht auf die Potenziale, die die modularisierten BA- und MA-Studiengänge bieten. Denn nicht nur Studierende der Geschichtswissenschaften, sondern auch Studierende der literatur- und kulturwissenschaftlichen Fächer können als Nutzer angesprochen und als Praktikanten gewonnen werden, da die BA- und MA-Studiengänge einen engen Praxisbezug durch Praktika vorsehen. Archive sollten sich der Möglichkeit zur Kooperation mit Universitäten nicht verschließen. Die Einführung von Brenner-Wilczek, Cepl-Kaufmann und Plassmann, die mit einem Glossar der wichtigsten Fachbegriffe, einem Verzeichnis der wichtigsten Literatur und den wichtigsten Internetadressen schließt, ist eine außerordentlich gute Ergänzung zur Einführung von Franz.
Anmerkungen:
[1] Eckhart G. Franz: Einführung in die Archivkunde, Darmstadt, 2004.
[2] In der Postleitzahl des Landeshauptarchivs Koblenz ist ein Zeichendreher, es muss korrekt lauten 56068 Koblenz. M. E. ist es heute in einem Buch unnötig, Adressen und ggf. schnell veraltende Homepages anzugeben; besser sind diese über das Internet, bspw. über die Homepage der Archivschule Marburg abzufragen. URL: http://www.archivschule.de
Sabine Brenner-Wilczek / Gertrude Cepl-Kaufmann / Max Plassmann: Einführung in die moderne Archivarbeit, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006, 151 S., ISBN 978-3-534-18190-2, EUR 14,90
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