Als Wolfgang Kaiser 1985 in der Zeitschrift Francia über Forschungen zur Rolle der Städte während der Französischen Religionskriege, insbesondere in ihrer Spätphase, der Zeit der radikal-katholischen Ligue, berichtete, hatte sich ein eindeutiges Erklärungsmuster für die städtischen Rebellionen zwischen ca. 1584 und 1598 herausgebildet. Die Ligue erschien als eine Emanzipationsbewegung von der monarchischen Zentrale, die sozialhistorisch vor allem als Konflikt innerhalb der städtischen Eliten gedeutet wurde. Diese Sozialrevolution erfasste vor allem während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zunehmend marginalisierte kaufmännische Eliten, den Klerus und die religiös aufgehetzten unterbürgerlichen Schichten, die ihre traditionellen Positionen gegen die wachsende Macht königlicher Amtsträger in den Städten verteidigten. Dieses Erklärungsmodell, das vor allem Elie Barnavi und Robert Descimon auf der Grundlage ihrer Pariser Studien und im Anschluss an Henri Drouot und Fernand Braudel entworfen hatten, sollte auch für Provinzstädte Gültigkeit beanspruchen können. Die Ligue erschien in dieser Perspektive als ein Masterplan zur Autonomisierung städtischer Herrschaft und Ausdruck einer konservativen Revolution, die die herkömmliche Balance innerstädtischer Machtverhältnisse wiederherstellen sollte. [1] Noch 1996 konnte Jean-Marie Constant feststellen, das Modell der Ligue als sozialrevolutionärer Bewegung sei weitgehend unangefochten. [2]
Seitdem hat sich in der Forschung einiges getan. Dies betrifft vor allem die bereits von Kaiser beklagte Paris-Zentrierung, die zwar auf zeitgenössischer Wahrnehmung fußt - sans Paris, point de Ligue -, doch der Komplexität der Situation zwischen der Mitte der 1580er Jahre und dem Edikt von Nantes nicht gerecht wird. Zahlreiche Lokalstudien zu Provinzstädten, aufbauend auf Philip Benedicts bahnbrechendem Buch über Rouen, haben das Bild nuanciert, wenn nicht entscheidend revidiert. [3] Regional und lokal außerordentlich differenzierte Konstellationen aus Institutionen wie Stadtverfassungen, Parlamenten und königlichen Verwaltungsorganen, adligen und kirchlichen Klientelnetzwerken und wirtschaftlichen Verflechtungen legten beinahe eine vollständige Umkehrung der Perspektive nahe: Es schien so viele Ligues zu geben, wie es Städte gab.
Auch die beiden anzuzeigenden Bücher stehen in der revisionistischen Tradition einer Lokalisierung der Ligue. Sie sind überdies deshalb von besonderem Interesse, weil es sich bei beiden Städten - Amiens und Nantes - um Extremfälle handelt. Nantes war die letzte der größeren Städte Frankreichs, die sich dem siegreichen König Heinrich IV. erst 1598 ergab und damit den Weg für das nach ihr benannte Edikt freigab, das dem Königreich für die nächsten zwanzig Jahre Stabilität verleihen sollte. Amiens hingegen blieb die einzige der ligistischen Städte, die 1597 für ihre Rebellion mit dem vollständigen Entzug aller städtischen Rechte und Privilegien bestraft wurde - ein Schicksal, das 1628 nur die reformierten Hochburgen Saint Jean d'Angély und vor allem La Rochelle ereilen sollte. Amiens und Nantes: zwei "Jusqu'au-boutistes" des radikalen städtischen Katholizismus?
Die Autorinnen geben erwartungsgemäß differenzierte Antworten. Beide legen ihre Narrative auf eine langfristige Erklärung der jeweiligen Parteinahme für die Sache der Ligue an und erzählen die Stadtgeschichte seit Beginn der Religionskriege. Drei zentrale Problemkomplexe lassen sich hier isolieren: die Konfessionsfrage, das soziale Profil der Ligueurs und das Verhältnis zwischen den Städten und der Institution der Monarchie.
Weder Amiens noch Nantes erwiesen sich in konfessionspolitischer Hinsicht zunächst als besonders radikal; in keiner der beiden Städte fanden größere Ausschreitungen oder gar Massaker an Protestanten statt, auch weil zumindest in Nantes der reformierte Bevölkerungsanteil nie die kritische Masse einer echten Bedrohung des Katholizismus annahm. Nach 1570 hatte die Stadt dank der weitgehenden Emigration der wenigen Calvinisten kein eigentliches Protestantenproblem mehr und blieb konfessionell homogen. Elizabeth Tingles These, dass "[t]he presence of a Huguenot community had a profoud effect upon city governance" (78), überzeugt daher nur in sehr allgemeiner Hinsicht und kann kaum die späte Hinwendung zur Ligue als Abwehrstrategie gegen eine protestantische Bedrohung in der Stadt erklären. Auch für Amiens kann Olivia Carpi zeigen, dass nach einer zwischenzeitlichen reformierten Dominanz im Rat 1561/62 die katholische Seite die absolute Oberhand gewann und die konfessionelle Einheit der Stadt zwar rigoros auch gegen die Bestimmungen königlicher Friedensedikte verteidigte, ohne dabei aber das Ideal einer pax civilis aus den Augen zu verlieren. Andere Fermente der Radikalität, wie sie vor allem für Paris wichtig waren, spielten kaum eine entscheidende Rolle: Laienbruderschaften waren in beiden Städten relativ schwach ausgeprägt. Das Prozessionswesen wirkte zwar durchaus konfessionell integrierend, spielte sich aber in den traditionellen kirchlichen Bahnen ab und hatte keinerlei eskalatorischen Effekte wie etwa die Kinderprozessionen oder die processions blanches in Paris. Eine eschatologische Grundstimmung, wie sie vor allem Denis Crouzet als charakteristisch für die Ligue beschrieben hat [4], ist jedenfalls weder in Nantes noch in Amiens auszumachen.
Die Erklärung für die konkrete Hinwendung zur ligistischen Rebellion sehen beide Autorinnen daher weniger in einem Konfessionsfundamentalismus als vielmehr auf einer sozialen und vor allem genuin politischen Ebene. Im Gegensatz zu Paris stellte die Parteinahme für die Ligue dabei weder in Amiens noch in Nantes einen Putsch einer bis dato im Untergrund operierenden Guerilla gegen die bestehende städtische Ordnung dar. Charakteristisch ist vielmehr für beide Städte eine erstaunliche Stabilität der munizipalen Institutionen, vor allem des Rates, während der gesamten Phase der Rebellion. Die Städte schlossen sich demnach als institutionelle und ideelle Einheiten der Ligue an. Dem entspricht auch die soziale Zusammensetzung der jeweiligen ligistischen Aktivisten. Sie entstammten im Fall Nantes vor allem dem hohen Klerus und der schon zuvor politisch aktiven Kaufmannselite. Die Situation in Amiens gestaltete sich zwar etwas komplexer, zeichnete sich aber ebenfalls durch eine starke Präsenz der Kaufleute, vor allem aber königlicher Amtsträger aus - insgesamt also ebenfalls ein "mouvement de notables" (140). Die Ligue erscheint also nach der Analyse beider Autorinnen keinesfalls als soziale Revolution gegen die bestehende politische Ordnung, sondern vielmehr als Versuch, diese in Zeiten existenzieller Krisen auf lokaler Ebene zu stabilisieren. Die konfessionelle Krise der Monarchie, immer höhere königliche Steuerforderungen, verstärkte Intervention der Zentrale in der städtischen Politik und allgemeine Subsistenzkrisen der 1580er Jahre ergaben ein Faktorenbündel, das den städtischen Eliten die ligistische Rebellion als Parteinahme für eine politische Ordnung erscheinen ließ, welche die Monarchie gerade nicht mehr zu garantieren vermochte. Als theoretische Basis dieser Ordnung identifizieren beide Autorinnen ein "concept of mutual obligation or contract" (Tingle, 19) bzw. "une sorte de pacte tacite, fondé sur un principe de réciprocité" (Carpi, 36). Die Wahrnehmung eines durch Heinrich III. gebrochenen Herrschaftsvertrags zwischen Städten und König artikulierte sich dabei weniger in politischer Theorie, wie sie vor allem die Vordenker der Pariser Ligue wie Jean Boucher und Louis Dorleans hervorbrachten, als vielmehr in einer Sorge um städtische Privilegien und Freiheiten. Damit war zugleich auch die Hoffnung auf Rückkehr zu einem geordneten Verhältnis zur Krone verbunden. Gleichwohl reichte diese Position in beiden Fällen unterschiedlich weit. Elizabeth Tingle erkennt für Nantes, das erst 1565 durch Karl IX. eine eigene Ratsverfassung erhalten hatte, in der Rebellion keinesfalls ein "desire for greater independence from the crown", sondern nur das Ergebnis einer im Verlauf des 16. Jahrhunderts "increased municipal authority" (212). Verantwortlich für die außergewöhnliche Dauer des ligistischen Engagements waren letztlich weniger politische Ambitionen der Stadt als vielmehr der Einfluss des Duc de Mercœur und die enge wirtschaftliche Beziehung zu Spanien. Demgegenüber verweist Olivia Carpi für Amiens auf starke städtische Autonomietraditionen und erkennt in der Ligue durchaus Elemente jenes untheoretischen Stadtrepublikanismus, wie er auch deutsche Reichsstädte und niederländische Kommunen gekennzeichnet hatte (230f).
Die Ligue-Bewegung in Amiens und Nantes erscheint damit als durch und durch traditionalistische Revolte, die sich nicht gegen die Institution der Monarchie, sondern ausschließlich gegen ihre wahrgenommene Degeneration im Zeichen der konfessionellen Krise richtete. Olivia Carpis und Elizabeth Tingles angenehm schmale und skrupulös argumentierende Bücher sind demnach nicht nur sorgfältige Fallstudien, sondern tragen Entscheidendes zu einer Neubewertung sowohl der Ligue-Bewegung als auch der Rolle der Städte während der Französischen Religionskriege allgemein bei.
Anmerkungen:
[1] Wolfgang Kaiser: Die "bonnes villes" und die "Sainte Union". Neuere Forschungen über die Endphase der französischen Religionskriege, in: Francia 13 (1985), 638-650; Elie Barnavi: Le parti de Dieu. Etude sociale et politique des chefs de la Ligue parisienne, 1585-1594, Brüssel 1980; Robert Descimon: Qui étaient les Seize? Etude sociale de 225 cadres laïcs de la Ligue radicale parisienne (1585-1594), Paris 1983.
[2] Jean-Marie Constant: La Ligue, Paris 1996, 309.
[3] Philip Benedict: Rouen during the Wars of Religion, Cambridge u.a. 1981; an neueren Forschungen vor allem: Michel Cassan: Le temps des guerres de religion. Le cas du Limousin (vers 1530 - vers 1630), Paris 1996; Penny Roberts: A City in Conflict. Troyes during the Wars of Religion, Manchester 1996; Stéphane Gal: Grenoble au temps de la Ligue. Étude politique, sociale et religieuse d'une cité en crise (vers 1562 - vers 1598), Grenoble 2000; Laurent Bourquin: Les nobles, la ville et le roi. L'autorité nobiliaire en Anjou pendant les guerre de Religion, Paris 2001; Yann Lignereux: Lyon et le Roi. De la "bonne ville" ô l'absolutisme municipal (1594-1654), Seyssel 2003; Hilary J. Bernstein: Between Crown and Community. Politics and Civic Culture in Sixteenth-Century Poitiers, Princeton 2004; Mark W. Konnert: Local Politics in the French Wars of Religion. The Towns of Champagne, the Duc de Guise, and the Catholic League, 1560-1595, Aldershot 2006.
[4] Denis Crouzet: Les guerriers de Dieu. La violence au temps des troubles de religion, Seyssel 1990.
Olivia Carpi: Une république imaginaire. Amiens pendant les troubles de religion (1559 - 1597) (= Histoire et Société. Essais d'Histoire Moderne), Paris: Éditions Belin 2005, 255 S., ISBN 978-2701-132396, EUR 26,50
Elizabeth C. Tingle: Authority and society in Nantes during the French wars of religion, 1558-98, Manchester: Manchester University Press 2006, X + 230 S., ISBN 978-0-7190-6726-6, GBP 55,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.