Klaus Ries' Untersuchung entstand im Sonderforschungsbereich 482 "Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800" der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Jena. Gegenstand seiner Arbeit ist die Herausbildung des "politischen Professorentums" an der Universität Jena zwischen der Großen Französischen Revolution seit 1789 und den Karlsbader Beschlüssen von 1819. Der zeitliche Rahmen der Studie wird allerdings durch einen im letzten Kapitel vorgenommenen Ausblick auf die Jahrzehnte bis zur Jahrhundertmitte und darüber hinaus erheblich erweitert. Ries ambitionierte "Sozialgeschichte politischer Ideen" dieser Zeit versteht sich als eine "moderne Entwicklungsgeschichte", die methodisch einer politischen Ideen- und Öffentlichkeitsanalyse folgt und gleichzeitig die politischen und allgemeingesellschaftlichen Kontexte einbindet, die für die Argumentation notwendig sind.
Der Autor ergründet das Verhältnis von Wissenschaft und Politik anhand namhafter Professoren der Universität Jena, die maßgeblich zur Entstehung der frühen deutschen Verfassungs- und Nationalbewegung sowie zu ersten Ansätzen späterer Parteibildungen beitrugen. Hauptprotagonisten der Untersuchung sind Friedrich Schiller, Gottlieb Hufeland, Johann Gottlieb Fichte, Heinrich Luden, Lorenz Oken und Jakob Friedrich Fries, sowie die Studenten der Universität Jena in dieser Zeit. Klaus Ries löst sein Forschungsproblem mit Hilfe einer "Konstellationsanalyse" des akademischen Milieus an der Universität Jena im Kleinstaat Sachsen-Weimar-Eisenach. Dabei stützt er sich auf eine breite und vielfältige Quellengrundlage: Neben den zahlreichen, zumeist gedruckten Schriften und öffentlichen Verlautbarungen der betrachteten Professoren selbst hat der Autor umfangreiches archivalisches Material erschlossen: zu den einschlägigen Festen, zu den verschiedenartigen Vereinigungen, insbesondere auch der Burschenschaftsbewegung oder zu den Gerichtsverfahren im Anschluss an die Karlsbader Beschlüsse. Besonders hervorzuheben ist die gründliche und durchgängig argumentativ genutzte Auswertung der Akten der Mainzer Untersuchungskommission des Deutschen Bundes.
Bereits die Einleitung der Studie ist vorbildlich gestaltet und bereitet den Leser auf den weiteren Verlauf der Darstellung vor. Im Hauptteil untersucht Ries das Verhältnis von "Wort" und "Tat", indem er die politischen Ideen und im Anschluss daran ihre Öffentlichkeitswirkung analysiert. Den umfangreichen drei Hauptkapiteln stellt er ein kurzes Grundlagenkapitel voran, das den zentralen Begriff der Untersuchung definiert: "Politisches Professorentum" meint einen Wissenschaftlertypus, der sich nicht mehr auf die wissenschaftliche Sphäre beschränkte, sondern im Anschluss an den Wissenschaftsbegriff Fichtes begann, immer stärker in die politische Sphäre der Gesellschaft hineinzuwirken. Darüber hinaus zeigt Ries die besonderen Bedingungen des untersuchten Phänomens im "Ereignisraum Weimar-Jena" auf: Sie waren zum einen von der Bedeutung Weimars als eines der Zentren deutscher Kultur geprägt und zum anderen von den großen Freiräumen der Wissenschaft, die der Politik des liberalen Landesherren Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach zu verdanken waren. Insbesondere genossen die Professoren der Universität Jena eine weitgehende Presse- und Lehrfreiheit.
Die chronologisch angeordneten drei zentralen Kapitel der Studie beginnen jeweils mit einer einleitenden Skizze des historisch-politischen Kontextes der empirischen Untersuchungsstränge. Thematisch schreiten sie in drei Schritten voran, die sich an der Chronologie der historischen Entwicklung orientieren: Zunächst stellt Ries die Politisierung der Professoren unter dem Eindruck der Französischen Revolution dar. Es folgt eine Phase, die vom Aufleben des Nationalgefühls durch das Ende des Alten Reiches bis zu den Befreiungskriegen gegen Napoleon reicht. Und schließlich analysiert er in einem besonders umfangreichen dritten Abschnitt die Entwicklung der liberal-nationalen Bewegung in den Anfangsjahren des Deutschen Bundes. Ein recht kurzes letztes Kapitel arbeitet die Bedeutung der Karlsbader Beschlüsse und die Entwicklung des politischen Professorentums im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts heraus.
Abschließend bringt der Autor die wichtigsten Ergebnisse seiner Untersuchung in einer erfreulich knappen und prägnanten Zusammenfassung der Untersuchung noch einmal auf den Punkt. Auch der Anhang ist mit dem Blick für das Wesentliche gestaltet. Schließlich weist das Buch einige gut ausgewählte Abbildungen auf, insbesondere Portraits der behandelten Persönlichkeiten. Besonders hervorzuheben sind die konsequente "Leserführung" und der klare "Rote Faden" der Arbeit. Insgesamt ist Ries Arbeit formal weithin vorbildlich gestaltet. Allerdings hätte diesem ansonsten gut gemachten Buch ein noch etwas gründlicheres Lektorat gut getan: die relativ häufigen kleineren Flüchtigkeitsfehler seien jedoch ausdrücklich nicht dem Autor, sondern dem Verlag angelastet. Inhaltlich zu kritisieren ist lediglich die Tatsache, dass Ries in alter und inzwischen überholter deutscher Wissenschaftstradition dem Modell einer Dichotomie von Staat und Gesellschaft folgt.
Diese eher marginale Kritik soll freilich die Verdienste des Autors in keiner Weise schmälern: Ries gelingt es, eine andere Denkfigur der deutschen Forschungstradition überzeugend zu widerlegen, die bereits von Heinrich v. Treitschke vertreten wurde und über Theodor Schieder bis hin zu Thomas Nipperdey ihre Wirkung entfaltete: die These von der Praxisferne der frühliberalen deutschen Intellektuellen. Er weist anhand der von ihm betrachteten, politisch durchaus unterschiedlich ausgerichteten Professoren nach, wie sich aus dem Zusammenwirken von frühem deutschen Idealismus, deutscher Romantik und Französischer Revolution erste ideelle Ansätze einer deutschen National- und Verfassungsbewegung herausbildeten. Er kann zeigen, dass das Ende des "Alten Reiches" diese Bewegung zunächst unter den Professoren weiter belebte. Dann sprang der Funke auf die Studenten über und die Bewegung erreichte einen ersten Höhepunkt in der Folge der Befreiungskriege. Kurz darauf bildeten sich neben der Burschenschafts- und der Turnerbewegung erste Vorformen von Parteien heraus, die nun auch in die nicht-akademischen Kreise der Bevölkerung hineinwirkten. Ihren Höhe- und Wendepunkt erreichte diese Bewegung mit dem Wartburgfest von 1817. Die massive Reaktion der konservativen Mächte in der Folge der Karlsbader Beschlüsse bewirkte zwar einen tief greifenden Rückschlag, doch zeigt Ries "Ausblick", dass die liberale und demokratische Bewegung auch schon in den 1820er-Jahren durchaus fortlebte. In den revolutionären Bewegungen der 1830er- und 1840er-Jahre erreichte sie neue Höhepunkte.
Diese vorbildlich gestaltete Arbeit bereichert die historische Forschung um grundlegende Einsichten in die Bedingungsfaktoren und Verlaufsformen der Anfangsphase der deutschen Verfassungs- und Nationalbewegung. Und sie macht neugierig auf die übrigen Arbeiten aus dem Jenaer Sonderforschungsbereich.
Klaus Ries: Wort und Tat. Das politische Professorentum an der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert (= Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; Bd. 20), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, 531 S., ISBN 978-3-515-08993-7, EUR 88,00
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