Das mittelalterliche Ablasswesen gewann insbesondere im Gefolge der Kreuzzugsbewegung an Bedeutung. Aus dieser gingen auch die geistlichen Ritterorden hervor, die wie viele andere geistliche Institutionen ihrerseits vielfach von Ablässen profitierten. Umso erstaunlicher ist es, dass es bisher nur wenige Untersuchungen gibt, die der Bedeutung des Ablasswesens für die einzelnen geistlichen Ritterorden nachgehen. Für den Deutschen Orden musste man bisher im Wesentlichen auf einen Aufsatz von Beda Dudίk von 1858 und ein einschlägiges Kapitel im 1922/23 erschienenen monumentalen Werk von Nikolaus Paulus über die Geschichte des mittelalterlichen Ablasswesens zurückgreifen. [1] Eine Ausnahme bildete nur die ausführlichere Darstellung von Ablasskampagnen des livländischen Ordenszweiges zu Anfang des 16. Jahrhundert, die Leonid Arbusow jun. 1909 veröffentlichte. [2] Die wenigen Studien wurden zudem in der Deutschordensforschung oft nicht rezipiert, so dass es immer wieder zu Missverständnissen kam. In der Erforschung der anderen geistlichen Ritterorden fand der Aspekt der Ablässe noch geringere Beachtung. Die vorliegende Arbeit von Axel Ehlers, eine von Wolfgang Petke betreute, im Sommersemester 2002/03 von der Universität Göttingen angenommene Dissertation, schließt daher nicht nur für den Deutschen Orden eine empfindliche Lücke.
Die Untersuchung zielt auf eine umfassende Behandlung der Rolle von Ablässen im Deutschen Orden. So geht es insbesondere darum, herauszuarbeiten, welche Ablässe es gab, wie sie genutzt wurden, welche Rolle die Ablässe für einzelne Kirchen spielten, ob der Deutsche Orden als "Kreuzzugsorden" über einen großen Reichtum an Ablassprivilegien verfügte und welche Rolle er auf dem spätmittelalterlichen Ablassmarkt spielte. Der Untersuchungszeitraum umfasst die gesamte mittelalterliche Geschichte des Ordens bis zur Säkularisierung des Ordenslandes Preußen 1525. Der Verfasser hebt die besondere Bedeutung dieses Umbruchs hervor, denn die zur selben Zeit in Preußen und in Teilen des Reiches erfolgreiche Reformation ließ das Interesse der Gläubigen an Ablässen erlahmen, so dass sie auch im livländischen Ordenszweig und im Reich nach 1525 faktisch keine Rolle mehr spielten.
Da das Heilige Land nur als Anlass für die Gewährung von Ablässen eine Rolle spielte, stehen Preußen, Livland und das Heilige Römische Reich im Zentrum der Untersuchung, wobei Ablässe für einzelne Kapellen nur für das Reich untersucht werden. Die Grundlage der Untersuchung bildet neben den älteren Editionen umfangreiches, aber übersichtliches ungedrucktes Material, das aus dem Historischen Staatsarchiv Königsberg im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin (XX. Hauptabteilung) und aus dem Zentralarchiv des Deutschen Ordens in Wien sowie unter anderem aus Augsburg, Bremen, Karlsruhe, Koblenz, Ludwigsburg, Marburg, Metz, München, Nürnberg, Stuttgart und Würzburg stammt. Das Archivio Segreto Vaticano wurde nur über die Nachweise im Repertorium Germanicum berücksichtigt.
Nach einer konzisen Einleitung, die die Fragestellung erläutert und eingrenzt, Ablass definiert und in seiner Entwicklung vorstellt sowie Forschungsstand und Quellenlage präsentiert, gliedert sich die Arbeit in die Kapitel II-VII. Das zweite behandelt die päpstlichen Ablässe für den Orden allgemein, das dritte die Ablässe für einzelne Kirchen, das vierte die in den einzelnen Ordenshäusern angelegten Ablasssummarien, das fünfte den tatsächlichen Gebrauch der Ablässe und Privilegien. Die beiden kürzeren Kapitel VI und VII sind der Bedeutung von Ablässen für die Mitglieder des Ordens selbst sowie den schon von Arbusow untersuchten livländischen Ablasskampagnen des früheren 16. Jahrhunderts gewidmet. Danach fasst ein knapper Schlussteil die Ergebnisse zusammen.
Kapitel II ist im Wesentlichen chronologisch gegliedert. Den Anfang machen die päpstlichen Privilegien seit 1221, dann folgen im umfangreichsten Abschnitt die Privilegien für die Kriege in Preußen und Livland bzw. für die Litauer-Feldzüge des 14. Jahrhunderts. Schließlich werden noch weitere päpstliche Ablässe des 14. und 15. Jahrhunderts behandelt. Kapitel III unterscheidet zunächst verschiedene Kategorien von Ordenskirchen und differenziert Anlässe, Aussteller, Regelungen und formale Gestaltung der Ablassprivilegien. Dies wird an vier Beispielen (Rothenburg ob der Tauber, Mühlhausen, Marburg und Nürnberg) sowie im Überblick verdeutlicht. Ergänzend werden Sammelindulgenzen und besondere Ablassformen vorgestellt. Kapitel IV widmet sich erstmals systematisch der Quellengruppe der Ablasssummarien. Ausgehend von der Annahme eines möglichen "Ursummariums", zu erschließen als Vorlage des ältesten, auf 1371/72 zu datierenden Summariums aus Trier, werden zunächst vier Textgruppen unterschieden sowie weitere Überlieferungen untersucht. Dann folgen eine präzise Analyse der Inhalte, speziell der aufgenommenen Ablassprivilegien, sowie Überlegungen zur Entstehungszeit und zur Verwendung der Texte. Kapitel V setzt sich schließlich mit der Verkündigung der Ablässe, mit Problemen und Konflikten um die Ablasspraxis des Ordens, der öffentlichen Wahrnehmung sowie den Fragen von Kosten und Nutzen auseinander.
Im Ergebnis kann der Verfasser nachdrücklich deutlich machen, dass die Forschung bisher die Bedeutung des Ablasswesens für den Deutschen Orden unterschätzt hat. Die Brüder verfügten über umfangreiche Privilegien, die sich teils auf die Kreuzzüge (darunter auch auf die "Reisen" gegen die Litauer), teils aber, wie bei vielen anderen geistlichen Institutionen, auf einzelne Kirchen und Kapellen bezogen. Sie wurden kontinuierlich genutzt, die Sammlung von Almosen hielt bis ins 15. Jahrhundert an. Mit dem 14. Jahrhundert begann man, die Ablassprivilegien in Summarien zusammenzuführen, nach dem Vorbild anderer Orden, auch der Johanniter. Dabei entstand jedoch kein einheitliches Textcorpus, vielmehr waren die Summarien ungeachtet der Aufnahme der Ablässe für den gesamten Orden immer lokal und regional geprägt. In der Tendenz wurden dabei immer wieder begrenzte Privilegien auf den gesamten Orden ausgeweitet, auch die Zahl der Ablasstage wurde erhöht, und die Fälschungen wurden nicht erkannt, sondern weiter verbreitet. Dennoch kam es - mit der Ausnahme eines Streits mit Nikolaus von Kues - zu keiner auf die Ablasspraxis des Ordens gerichteten Kritik, vielmehr fanden die Ablässe bis zuletzt vor allem positive Resonanz. Insgesamt war der Deutsche Orden mit seiner Ablasspraxis recht erfolgreich.
Der gewichtige Band ist durch ein ausführliches Personenverzeichnis erschlossen, bietet aber neben der Untersuchung noch einen umfangreichen Regesten- und Editionsteil. Er enthält zunächst Regesten der Ablassprivilegien, nach Balleien geordnet, dann die sorgfältig gearbeitete, grundlegende Edition von Ablasssummarien der unterschiedenen Textgruppen und weitere Beispiele. Dazu kommen eine Konkordanz der Ablasssummarien sowie ein Abbildungsteil mit Reproduktionen insbesondere von Ablasssummarien und Ablasstafeln. Die gelungene Untersuchung lässt damit nichts zu wünschen übrig. Sie stellt eine Beschreibung und Erschließung der Ablässe des Deutschen Ordens und ihrer Nutzung auf hohem Niveau dar und wird so der Erforschung der geistlichen Ritterorden insgesamt zweifellos gute Dienste leisten.
Anmerkungen:
[1] Beda Dudίk: Über Ablaßtafeln, in: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 58, Wien 1868, S. 155-80; Nikolaus Paulus: Geschichte des Ablasses im Mittelalter, 3 Bde., Paderborn 1922-1923, 2. Aufl. Darmstadt 2000, insbesondere Bd. 3, 196-99, 525-26.
[2] Leonid Arbusow [jun.]: Die Beziehungen des Deutschen Ordens zum Ablaßhandel seit dem 15. Jahrhundert, Diss. phil. Göttingen 1909, zugleich in: Mitteilungen aus dem Gebiete der Geschichte Liv-, Est- und Kurlands 20 (1910), 367-478.
Axel Ehlers: Die Ablasspraxis des Deutschen Ordens im Mittelalter (= Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens; Bd. 64), Marburg: N.G.Elwert 2007, X + 659 S., ISBN 978-3-7708-1307-0, EUR 48,00
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